Generalvikar Martin Grichting nimmt Stellung
Das Interview mit Generalvikar Martin Grichting im Wortlaut
Was sind Ihre Gedanken und Vorschläge in der Kirchensteuerdebatte in der Schweiz?
Der Ausgangspunkt ist, dass wir in der Schweiz eine hohe Zahl von Kirchenaustritten haben, die das bisherige System in Frage stellen und unterspülen. Die Frage ist: Will man warten bis es einfach zusammenbricht und dann die Trennung von Kirche und Staat kommt, sodass nur noch Spenden für die Kirche übrig bleiben, oder will man einen Kompromiss vorschlagen, etwas, das sich auch in anderen Ländern schon bewährt hat.
Deshalb habe ich die Mandatssteuer in die Diskussion gebracht, wie sie in Italien seit 20 Jahren erfolgreich praktiziert wird.
Sie halten das italienische Modell übertragbar auf die Schweiz?
Ich denke schon, weil es den einzelnen Bürger sehr ernst nimmt. Er kann sich entscheiden. Damit durchschneidet man auch dieses unselige Band zwischen Kirchenzugehörigkeit und Zahlen. Das bereitet uns ja gerade grosse Probleme, dass die Leute entweder dabei sind oder nicht. Wir wissen heute: Christ-Sein ist ein lebenslanger Prozess. Da gibt es bei vielen mal mehr Nähe, mal mehr Distanz. Das ist nicht so einfach wie ein Lichtschalter: Entweder “ein” oder “aus”. Dadurch dass es das Mandatssteuermodell ermöglicht auf dem Steuerzettel ein Kreuzchen zu machen oder nicht, ist man nicht entweder aus der Kirche ausgetreten oder nicht. Das kommt auch dem Menschen sehr entgegen. Ich glaube schon, dass es eine Chance hat in der Schweiz. Aber in der Schweiz ist es ja bekanntlich so, da muss etwas erst einmal vom Volk abgelehnt werden bis es sich dann mal irgendwann durchsetzt. Es ist mein Versuch da eine Diskussion in Gang zu bringen. Nur heute oder morgen wird sich da noch nichts ändern.
Wie erleben Sie die Reaktionen von verschiedenen Seiten?
Bis jetzt habe ich es als Diskussion unter Gelehrten erlebt. Die Idee ist nicht neu. Ich selber habe in meiner Dissertation vor 13 Jahren dieses Modell einmal vorgestellt. Wenn man es den Leuten auf der Strasse, den Gläubigen, einmal erklärt, dann bekommt man sehr viele gute Rückmeldungen.
“O, das ist interessant, das ist was Neues!” Aber natürlich: Die Funktionäre, die vom jetzigen System profitieren, die sind alles andere als begeistert.
Glauben Sie, dass die Mandatssteuer die Bindung der Gläubigen zur Kirche stärken könnte?
Ja, ich glaube, dass die Kirche sich viel mehr auch um die Menschen bemühen müsste. Dadurch denke ich an eine stärkere Bindung, weil man sich auch neben der Mandatssteuer um Spenden bemühen muss. Das sieht man in Italien. Man müsste mehr tun für die Leute, dadurch entstünde auch mehr Nähe zu ihnen. In Italien funktioniert das genauso.
Wie haben Sie in der Debatte der vergangen Wochen die Kritik gegenüber Ihrer Person erlebt?
Ich bin natürlich als einer bekannt, der dieses staatskirchenrechtliche System kritisiert hat, das ist klar. Aber ich glaube, es ist mit der Lehre der Kirche über sich selbst nicht vereinbar. Letztendlich hat man, anstatt über theologische Fragen zu diskutieren, versucht, mich als Person zu eliminieren. Das ist natürlich keine zukunftsweisende Lösung. Ich habe einen Weg gewählt, um die Sache in den Mittelpunkt der Diskussion zu rücken und nicht meine Person.
Wie wollen Sie das Thema nun weiterverfolgen?
Gerade heute bin ich von Medienanfragen überschwemmt worden. Die Frage stösst auf riesiges Interesse, weil auch im Volk zu spüren ist, dass dieses System nicht mehr wirklich gut abgestützt ist. Ich werde mich diesem Interesse auch künftig stellen.
Kirche-oder-Kirchenwesen: Martin Grichting
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