Der Betrachter – Aufzeichnungen 1991-2001
Wohl bei keinem anderen Schriftsteller bilden Werk und Tagebuch ein so enges Geflecht wie bei Imre Kertész
Wohl bei keinem anderen Schriftsteller bilden Werk und Tagebuch ein so enges Geflecht wie bei Imre Kertész. Die von ihm veröffentlichten Extrakte aus seinen Diarien sind, im Wortsinn, existentielle Literatur. Den Anfang machte nach der Wende sein berühmtes “Galeerentagebuch”, die erschütternde Dokumentation seiner 30-jährigen Isolation und geistigen Geheimexistenz im sozialistischen Ungarn zwischen 1961 und 1991. Unter dem Titel “Letzte Einkehr” folgten 2013 Aufzeichnungen aus dem Jahrzehnt 2001 bis 2009, in dem er sich von Ungarn abwandte und Berlin zu seiner Wahlheimat machte.
“Der Betrachter” mit Notaten aus den Jahren 1991 bis 2001 schliesst die Lücke zwischen beiden Tagebüchern. Es sind die Jahre nach der europäischen Wende, Aufbruchsjahre, in denen Kertész eine späte, unverhoffte Anerkennung seines Schaffens erfährt, zunächst in Ungarn, vor allem jedoch in Deutschland, Westeuropa und schliesslich, im Nobelpreis gipfelnd, weltweit. Zugleich sind es die Jahre, da er sich mit dem in Ungarn neu aufkeimenden Nationalismus und Antisemitismus konfrontiert sieht. Reflexionen über den Epochenwechsel, das Judentum, die „Fatalität Ungarn“ und die ihm mit wachsendem Ruhm zufallende, ungeliebte Rolle einer „öffentlichen Existenz“ durchziehen die Aufzeichnungen wie Motivstränge. Sehr berührende Passagen sind dem Abschied von der langjährigen Lebensgefährtin Albina gewidmet, die 1995 an Krebs starb.
Mit “Der Betrachter” rundet sich die Reihe von Kertész’ Tagebuchveröffentlichungen zu einer fünfzig Lebensjahre umspannenden Trilogie – einer monumentalen Entwicklungsgeschichte seines Denkens und Schreibens.
Pressestimmen
Aus dem Nachlass des ungarischen Nobelpreisträgers: Das berührende Tagebuch eines klarsichtigen und desillusionierten Melancholikers. (Iris Radisch, Die Zeit)
Es ist ein grosses emotionales und intellektuelles Abenteuer, Imre Kertész bei dem Erinnerungskampf mit seiner eigenen Geschichte zu folgen. (Claus-Ulrich Bielefeld, Die Welt)
‘Der Betrachter’ fasst nochmals die Summe von Kertész’ Denken. Er ist eine untröstliche Bibel des Trostes – ein Gepäck fürs Leben. Literarisch wie moralisch bleibt Imre Kertész die höchste Messlatte für die negative Ästhetik einer unverwüstlichen Moderne, die im Scheitern die Erfüllung findet. (Andreas Breitenstein, Neue Zürcher Zeitung)
Überwältigend in seinem Streben nach Wahrhaftigkeit. (Stefan Berkholz, WDR 3)
Die Tagebücher leben von einer einzigartigen Dringlichkeit. Man möchte dieses Gedankenbuch am liebsten seitenweise zitieren. (Gregor Dotzauer, Der Tagesspiegel)
Dieses Tagebuch (…) birgt brillante Analysen der Gesellschaft in Ost und West, die jede Existenz weit über ein Schriftstellerleben hinaus betreffen. (Roswitha Haring, Berliner Zeitung)
Vibrierende Kondensate eines solitären Lebens (…) Imre Kertész zu lesen ist immer wieder ein denkerisches und emotionales Abenteuer, das einen zu den pochenden Fragen des 20. Jahrhunderts und der unmittelbaren Gegenwart, aber auch zu den Voraussetzungen der eigenen Weltwahrnehmung führt. (Cornelius Hell, Die Presse)
Eine tief beeindruckende Lektüre … ein grosses trauriges Tagebuch. (Tobias Wenzel, NDR Kultur)
Über den Autor
Imre Kertész, 1929 in Budapest geboren, wurde 1944 als 14-Jähriger nach Auschwitz und Buchenwald deportiert. In seinem Roman eines Schicksallosen hat er diese Erfahrung auf aussergewöhnliche Weise verarbeitet. Das Buch erschien zuerst 1975 in Ungarn, wo er während der sozialistischen Ära jedoch Aussenseiter blieb und vor allem von Übersetzungen lebte (u.a. Nietzsche, Hofmannsthal, Schnitzler, Freud, Joseph Roth, Wittgenstein, Canetti). Erst nach der europäischen Wende gelangte er zu weltweitem Ruhm, 2002 erhielt er den Literaturnobelpreis. Seitdem lebte Imre Kertész überwiegend in Berlin und kehrte erst 2012, schwer erkrankt, nach Budapest zurück. Er starb am 31. März 2016.
Der Betrachter – Aufzeichnungen 1991-2001
Autor: Imre Kertész
Übersetzer: Heike Flemming, Lacy Kornitzer
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Verlag: Rowohlt; Auflage: 1 (21. September 2016)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3498035614
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