Humanes Sterben 10. Dezember

Aus der Sicht des Glaubens. Wort zum Tag der Menschenrechte von Bischof Vitus Huonder, Chur

Quelle
Bistum Chur – Original
Kongregation für die Glaubenslehre – Erklärung zur Euthanasie

Chur, kath.net, 3. Dezember 2016

Brüder und Schwestern im Herrn,

“Wir leben in einer Informationsgesellschaft, die uns wahllos mit Daten überhäuft, alle auf derselben Ebene, und uns schliesslich in eine erschreckende Oberflächlichkeit führt, wenn es darum geht, die moralischen Fragen anzugehen” (Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium (24. November 2013), 64.). So Papst Franziskus. Er sieht in diesem Sachverhalt eine Herausforderung der Welt von heute, eine Herausforderung, der wir uns in jeder Hinsicht stellen müssen.

Die Worte aus Evangelii gaudium treffen auch auf das Sterben des Menschen zu. Beim gegenwärtigen Informationsstand wird es immer schwerer, angesichts des Todes die richtigen Entscheide zu fällen. Es tut sich eine gewisse Hilflosigkeit kund. Durch die modernen Möglichkeiten der Medizin sind wir für den letzten Abschnitt unseres Daseins weitgehend von Fachpersonen abhängig, die über unser Leben bestimmen, vor allem, wenn wir nicht mehr urteilsfähig sind und nicht mehr selber entscheiden können. Umso mehr müssen wir uns mit dieser Frage beschäftigen und in Übereinstimmung mit unserem Glauben entsprechende Massnahmen vorsehen.

1. Die gläubige Haltung angesichts des Todes

Aus einer gläubigen Sicht, aus einer christlichen Sicht liegen Leben und Tod in Gottes Händen. Nicht wir bestimmen über Leben und Tod. Gott verfügt über unser Leben. Gott verfügt über unser Sterben: “Der Herr macht tot und lebendig, er führt zum Totenreich hinab und führt auch herauf”, betet Hanna in ihrem Loblied auf Gottes Walten (1 Sam 2,6). Deshalb liegt es uns fern, selber den Zeitpunkt des Sterbens zu bestimmen. Wie der Mord steht auch der Suizid im Widerspruch zur göttlichen Weltordnung: “Wir sind nur Verwalter, nicht Eigentümer des Lebens, das Gott uns anvertraut hat. Wir dürfen darüber nicht verfügen” (Katechismus der Katholischen Kirche, 2280.)

Wir beten um eine gute Sterbestunde, und sollen auch darum beten (Vgl. im Römischen Messbuch das Messformular “Um einen guten Tod” und in der Allerheiligen-Litanei die Bitte “Von einem plötzlichen Tod, Herr, befreie uns”.)

Diese Sterbestunde zu bestimmen, liegt aber in Gottes Allmacht: Wo ich sterbe, wann ich sterbe, wie ich sterbe, überlasse ich der weisen Vorsehung Gottes. Vertrauensvoll schliessen wir uns dem heiligen Paulus und seinen Worten an: “Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn” (Röm 14,8). Ja, Jesus, unser Herr selber ist für uns Vorbild und Richtschnur. Er gibt uns in der Ölbergstunde das Beispiel eines gottergebenen Sterbens mit den Worten:

“Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst” (Mk 14,36). Am Kreuz spricht er mit dem Psalmisten: “Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist” (Lk 23,46).

2. Die Aufgabe der Sterbebegleitung

In den vergangenen Jahren hat sich der Begriff Palliative-Care gebildet. Darunter verstehen wir die umfassende Sorge für Schwerkranke und die einfühlsame Begleitung Sterbender. Wie es das Wort sagt: Es geht um Massnahmen des Schutzes des Schwerkranken und der Linderung seiner Schmerzen. Dabei eröffnet sich ein breites Spektrum von medizinischen, sozialen, humanitären, religiösen und seelsorglichen Fragestellungen. Besonders achtsam muss die medizinische Begleitung erfolgen, da es immer darum gehen muss, das Leben zu respektieren, aber ebenso das Sterben nicht unverantwortlich hinauszuschieben. Letztendlich darf der natürliche Vorgang des Sterbens nicht beeinträchtigt werden, da er auch Ausdruck des Schöpferwillens Gottes ist:

“Die Moral verlangt keine Therapie um jeden Preis. Ausserordentliche oder zum erhofften Ergebnis in keinem Verhältnis stehende aufwändige und gefährliche medizinische Verfahren einzustellen, kann berechtigt sein. Man will dadurch den Tod nicht herbeiführen, sondern nimmt nur hin, ihn nicht verhindern zu können”. (Katechismus der Katholischen Kirche, 2278. Vgl. zum gesamten Fragenkomplex: Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Iura et bona über die Euthanasie (5. Mai 1980).

In keinem Fall aber darf Sterbebegleitung Beihilfe zum Suizid sein: “Freiwillige Beihilfe zum Selbstmord verstösst gegen das sittliche Gesetz” (Katechismus der Katholischen Kirche, 2285.)

3. Die Spendung der Sakramente

Für Schwerkranke und Sterbende ist der Empfang der Sakramente der Busse, der Krankensalbung und der Eucharistie eine Quelle des Trostes, der Stärkung und des Sich-Ergebens in Gottes Barmherzigkeit und Liebe. Wenn eine schwere Krankheit sich meldet oder die Sterbestunde naht, ist die Gegenwart des Priesters für die Abnahme der Beichte, die Spendung der Krankensalbung und die Darreichung der heiligen Kommunion zu ermöglichen. Rechtzeitig soll daher der Priester beigezogen werden: “Wie die Sakramente der Taufe, der Firmung und der Eucharistie, ‘die Sakramente der christlichen Initiation’, eine Einheit bilden, kann man sagen, dass die Busse, die heilige Salbung und die Eucharistie als Wegzehrung am Ende des christlichen Lebens ‘die Sakramente, die auf die Heimat vorbereiten oder die Sakramente, welche die Pilgerschaft vollenden’, bilden”. (Katechismus der Katholischen Kirche, 1525.)

Anderseits steht der Priester angesichts eines weit verbreiteten Gesinnungswandels bezüglich des “humanen Sterbens”, welcher sich in unserer Gesellschaft in den vergangenen Jahren vollzogen hat, nicht selten vor einer schwierigen seelsorglichen Situation. Denn unter “humanem Sterben” versteht man die Bestimmung der Todesstunde durch die Vorkehrungen der so genannten “Sterbehilfe-Organisationen”.

Die Bereitschaft zur Selbsttötung des Patienten und die Beihilfe Umstehender und Verwandter dazu versetzen den Priester in eine geradezu unmögliche Lage, wenn er für die Spendung der Sakramente gerufen wird. Denn unter diesen Umständen sind die Voraussetzungen für deren Empfang nicht gegeben. Oft wird der Priester zudem im letzten Augenblick vor Tatsachen gestellt, so dass er sich nur noch im fürbittenden Gebet dem Sterbenden zuwenden und ihn der Barmherzigkeit Gottes empfehlen kann. Oft auch kann er die Situation nicht genügend durchschauen, wenn er zu einem Sterbenden gerufen wird, der nicht mehr bei Bewusstsein ist.

Es ist anderseits die schwere Pflicht des Priesters, in pastoraler Liebe Patienten von einem selbstzerstörerischen Vorhaben abzubringen, deren Tragweite für das ewige Heil aufzuzeigen und zur Ergebenheit in Gottes Willen zu bewegen.

4. Die Massnahmen der Vorsorge

Nochmals zum eingangs zitierten Wort von Papst Franziskus: “Wir leben in einer Informationsgesellschaft, die uns wahllos mit Daten überhäuft, alle auf derselben Ebene, und uns schließlich in eine erschreckende Oberflächlichkeit führt, wenn es darum geht, die moralischen Fragen anzugehen”. (Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium (24. November 2013), 64.)

Um in dieser wahllosen Flut von Informationen eine Orientierung im Hinblick auf die letzten Momente des Gläubigen auf seinem irdischen Lebensweg zu geben, hat unser Ordinariat eine Arbeitshilfe zusammengestellt. Es ist ein Leitfaden, und er soll auf die Notwendigkeit der Vorsorge in geistlicher, rechtlicher und organisatorischer Hinsicht hinlenken in einer Zeit, die geprägt ist von einer Verweltlichung aller Lebensbereiche “und von immer komplizierteren ethischen und medizinischen Fragen am Ende des irdischen Lebensweges”. (Bistum Chur, Handreichung Nr. 5, Vorsorge. Vorsorgeauftrag, Patientenverfügung, Anweisung für den Todesfall, Testament, Chur 2016. Vgl. www.bistum-chur.ch; Download –> Handreichungen –> Vorsorge.)

Alle im Dokument vorgelegten vier Vorsorgebereiche sind von Bedeutung. Eigens aufmerksam machen möchte ich auf die Patientenverfügung. Sie muss im eben dargelegten Geist dieses bischöflichen Wortes verstanden werden: Nicht wir bestimmen über Leben und Tod. Gott verfügt über unser Leben. Gott verfügt über unser Sterben.

Für diesen Moment möchten wir bereit sein. In der Patientenverfügung ist auch die Frage der Organspende angesprochen, und in diesem Zusammenhang ebenso das Problem des Hirntodes. Wir müssen uns dabei im Klaren sein, dass die Diskussion darüber in Kreisen der Fachkundigen noch nicht abgeschlossen ist. Zur Organspende hingegen sagt der Katechismus der Katholischen Kirche: “Die Organverpflanzung entspricht dem sittlichen Gesetz, wenn die physischen und psychischen Gefahren und Risiken, die der Spender eingeht, dem Nutzen, der beim Empfänger zu erwarten ist, entsprechen. Die Organspende nach dem Tod ist eine edle und verdienstvolle Tat, sie soll als Ausdruck grossherziger Solidarität gefördert werden. Sie ist sittlich unannehmbar, wenn der Spender oder die für ihn Verantwortlichen nicht ihre ausdrückliche Zustimmung gegeben haben.

Zudem ist es sittlich unzulässig, die Invalidität oder den Tod eines Menschen direkt herbeizuführen, selbst wenn dadurch der Tod anderer Menschen hinausgezögert würde”. (Katechismus der Katholischen Kirche, 2296.)

Mit einem Blick auf die Gottesmutter, die als Heil der Kranken und als Fürbitterin in der Sterbestunde angerufen wird, empfehle ich alle Leidenden und Sterbenden der Barmherzigkeit unseres Herrn und nehme sie in mein tägliches Gebet auf. Meinen Dank lasse ich gerne allen zukommen, die ganz besonders um das ewige und zeitliche Wohl der Kranken und um die geistlich-religiöse Begleitung der Sterbenden bemüht sind.

Mit herzlichen Grüssen und bischöflichem Segen
+ Vitus, Bischof von Chur

Anhang

Auszüge aus: KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE, Erklärung Iura et bona über die Euthanasie (5. Mai 1980)

Unter Euthanasie wird hier eine Handlung oder Unterlassung verstanden, die ihrer Natur nach oder aus bewusster Absicht den Tod herbeiführt, um so jeden Schmerz zu beenden. Euthanasie wird also auf der Ebene der Intention wie auch der angewandten Methoden betrachtet. Es muss erneut mit Nachdruck erklärt werden, dass nichts und niemand je das Recht verleihen kann, ein menschliches Lebewesen unschuldig zu töten, mag es sich um einen Fötus oder einen Embryo, ein Kind, einen Erwachsenen oder Greis, einen unheilbar Kranken oder Sterbenden handeln.

Es ist auch niemandem erlaubt, diese todbringende Handlung für sich oder einen anderen zu erbitten, für den er Verantwortung trägt. Ja man darf nicht einmal einer solchen Handlung zustimmen, weder explizit noch implizit … Man darf auch die flehentlichen Bitten von Schwerkranken, die für sich zuweilen den Tod verlangen, nicht als wirklichen Willen zur Euthanasie verstehen; denn fast immer handelt es sich um angstvolles Rufen nach Hilfe und Liebe. Über die Bemühungen der Ärzte hinaus hat der Kranke Liebe nötig, warme, menschliche und übernatürliche Zuneigung, die alle Nahestehenden, Eltern und Kinder, Ärzte und Pflegepersonen ihm schenken können und sollen (unter II).

Nach christlicher Lehre erhält der Schmerz jedoch, zumal in der Sterbestunde, eine besondere Bedeutung im Heilsplan Gottes. Er gibt Anteil am Leiden Christi und verbindet mit dem erlösenden Opfer, das Christus im Gehorsam gegen den Willen des Vaters dargebracht hat. … Doch widerspricht es der Klugheit, eine heroische Haltung als allgemeine Norm zu fordern.

Menschliche und christliche Klugheit rät im Gegenteil bei den meisten Kranken, solche Medikamente anzuwenden, welche den Schmerz lindern oder beseitigen können, auch wenn sich dadurch als Nebenwirkungen Schläfrigkeit und vermindertes Bewusstsein einstellen (unter III).

Es ist in unserer Zeit sehr wichtig, gerade in der Todesstunde die Würde der menschlichen Person und die christliche Bedeutung des Lebens zu wahren und sich vor einer gewissen “Technisierung” zu hüten, die der Gefahr des Missbrauchs ausgesetzt ist. So spricht man heute ja auch vom “Recht auf den Tod”, versteht darunter aber nicht das Recht eines Menschen, sich durch eigene oder fremde Hand nach Gutdünken den Tod zu geben, sondern das Recht, in ruhiger Verfassung mit menschlicher und christlicher Würde sterben zu können.

Unter diesem Gesichtspunkt kann die Anwendung therapeutischer Mittel zuweilen manche Fragen aufwerfen. … – Sind andere Heilmittel nicht verfügbar, darf man mit Zustimmung des Kranken Mittel anwenden, die der neueste medizinische Fortschritt zur Verfügung gestellt hat, auch wenn sie noch nicht genügend im Experiment erprobt und nicht ungefährlich sind. … – Ebenso darf man die Anwendung dieser Mittel abbrechen, wenn das Ergebnis die auf sie gesetzte Hoffnung nicht rechtfertigt. Bei dieser Entscheidung sind aber der berechtigte Wunsch des Kranken und seiner Angehörigen sowie das Urteil kompetenter Fachärzte zu berücksichtigen … – Es ist immer erlaubt, sich mit den Mitteln zu begnügen, welche die Medizin allgemein zur Verfügung stellt. Niemand kann daher verpflichtet werden, eine Therapie anzuwenden, die zwar schon im Gebrauch, aber noch mit Risiken versehen oder zu aufwendig ist.

Ein Verzicht darauf darf nicht mit Selbstmord gleichgesetzt werden: es handelt sich vielmehr um ein schlichtes Hinnehmen menschlicher Gegebenheiten; oder man möchte einen aufwendigen Einsatz medizinischer Technik vermeiden, dem kein entsprechender zu erhoffender Nutzen gegenübersteht; oder man wünscht, der Familie beziehungsweise der Gemeinschaft keine allzu grosse Belastung aufzuerlegen. – Wenn der Tod näherkommt und durch keine Therapie mehr verhindert werden kann, darf man sich im Gewissen entschliessen, auf weitere Heilversuche zu verzichten, die nur eine schwache oder schmerzvolle Verlängerung des Lebens bewirken könnten, ohne dass man jedoch die normalen Hilfen unterlässt, die man in solchen Fällen einem Kranken schuldet. Dann liegt kein Grund vor, dass der Arzt Bedenken haben müsste, als habe er seinem Gefährdeten die Hilfe verweigert (unter IV).

Die in dieser Erklärung enthaltenen Normen sind bestimmt vom aufrichtigen Bemühen, dem Menschen nach dem Plan des Schöpfers zu helfen. Wenn einerseits das Leben als Geschenkt Gottes anzusehen ist, so ist andererseits der Tod unausweichlich. Darum müssen wir ihn im vollen Bewusstsein unserer Verantwortung und mit aller Würde annehmen können, ohne die Todesstunde in irgendeiner Weise zu beschleunigen. Der Tod beendet zwar den irdischen Lebenslauf, er eröffnet aber zugleich den Zugang zum unsterblichen Leben (unter Schluss).

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