Die Kirche bleibt multi-rituell

Was nicht eingeführt wurde, kann man auch nicht abschaffen

Quelle

Die Tagespost, 18. November 2016

Von Guido Horst

Was nicht eingeführt wurde, kann man auch nicht abschaffen. Und eine Reform der Liturgiereform, die nie in Kraft gesetzt wurde, kann man nicht rückgängig machen. Die Anzeichen verdichten sich, dass unter dem Pontifikat von Papst Franziskus die so genannte „Reform der Reform“ – ein Begriff, den 2003 niemand Geringeres als Kardinal Joseph Ratzinger geprägt hat – nicht mehr in Angriff genommen wird.

Eine Interviewäußerung des Papstes, Ernennungen „reformunwilliger“ Mitglieder der Liturgie-Kongregation, ein gewisser Rückzug von Kardinal Robert Sarah: Alles das deutet darauf hin, dass in Sachen Liturgie alles beim Alten bleiben wird. Es war von Anfang an ein Merkmal der von Benedikt XVI. gewünschten Korrekturen an der nach dem Konzil umgesetzten Liturgiereform, dass dieser Wunsch sich nicht in Instruktionen niederschlagen, sondern im Sinne einer liturgischen Bewegung von unten wachsen soll. Benedikt XVI. hat der Kirche den ausserordentlichen Ritus zurückgegeben, aber nie selber als Papst nach diesem Ritus zelebriert. Er hat Zeichen gesetzt, etwa „zum Herrn hin“ zelebriert, das heisst mit Blick auf ein Kruzifix auf dem Altar, aber keine Normen geschaffen, die das durchgesetzt hätten, was der deutsche Papst wollte: Dass sich ordentlicher und ausserordentlicher Ritus gegenseitig befruchten und es in Zukunft ein Messbuch gibt, in dem sich Altes und Neues glücklich verbinden – und statt einer gewissen Vielfalt der Rubriken, Messformulare und fotokopierter Blätter für die Liturgie eine verbindliche und feste Form der Messfeiern entsteht.

Dabei ist etwas geschehen. Es gibt Orte, wo Pfarrer hin und wieder eine Messe nach dem ausserordentlichen Ritus anbieten. Auch junge Gläubige und Priester haben, anstatt sich in nostalgischer Manier nach etwas Altem zurückzusehnen – was sie selber im Übrigen nie erlebt haben –, im „alten“ Ritus eine neue Sakralität entdeckt, die ihnen beim „normalen“ Gemeindegottesdienst fehlte. Aber das war keine Reform, sondern hing ab von dem Verständnis und der Bereitschaft einzelner Pfarrer, solchen Wünschen nach mehr Sakralität mit gelegentlichen Messfeiern im „alten“ Ritus nachzukommen.

Jetzt, wo alles danach ausschaut, dass die „Reform der Reform“ vorerst beendet ist, bevor sie überhaupt angefangen hat, bleibt die tridentinische Messe den sogenannten „Ecclesia Dei“-Gemeinschaften erhalten, sie feiern sie in ihren Konventen, Kapellen und von den Bischöfen bestimmten Kirchen, aber nicht mitten im Leben und liturgischen Vollzug der Kirche. Wenn aber ordentlicher und außerordentlicher Ritus nicht zusammenkommen, können sie sich auch nicht gegenseitig befruchten und das Fernziel von Papst Benedikt verschiebt sich weiter in die Zukunft. Und beim allergrössten Teil der Gottesdienste mit dem derzeit gültigen „ordentlichen“ Messbuch geben die Rubriken den Zelebranten viele Freiheiten, die Messe „moderner“ oder „traditioneller“ zu feiern. Die katholische Kirche ist deswegen nicht bi-rituell, sondern kann einem in der Praxis sogar als multi-rituell erscheinen. Das war nicht die Absicht der Väter des letzten Konzils. Die Reform der Liturgie, die diese im Sinne hatten, steht noch aus.

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