„Benedikt XVI. – ein Revolutionär”
„Benedikt XVI. – ein Revolutionär”, sagt Franziskus
Papst Benedikt XVI. war „ein Revolutionär“: das sagt sein Nachfolger Franziskus in seinem jüngsten Interview, das an diesem Sonntag in der argentinischen Zeitung „La Nación“ erschien. „Er war ein Revolutionär. In der Versammlung mit den Kardinälen kurz vor dem Konklave vom März 2013 sagte er uns, einer von uns werde der nächste Papst sein, und er kenne den Namen nicht. Sein Loslassen war verdienstvoll. Sein Amtsverzicht legte alle Probleme der Kirche offen. Seine Abdankung hatte nichts zu tun mit persönlichen Gründen. Es war ein Regierungsakt, sein letzter Regierungsakt.“ Die argentinische Journalistin Elisabetta Piqué, die Bergoglio seit 20 Jahren kennt und dieses Interview führte, registriert in ihrem Text eine spürbare „Zuneigung und Respekt“ des amtierenden Papstes für seinen Vorgänger.
Konflikte mit Ultrakonservativen? „Nägel zieht man mit Druck nach oben heraus”
Gefragt nach den „Ultrakonservativen in der Kirche“ antwortete Franziskus, „sie haben ihre Arbeit und ich meine. Ich will eine offene, verständnisvolle Kirche, die an der Seite der verletzten Familien geht. Sie (die „Ultrakonservativen“) sagen Nein zu allem. Ich folge meinem Weg und schaue nicht zur Seite. Ich lasse keine Köpfe rollen. Das hat mir nie gefallen. Nochmals: Ich lehne den Konflikt ab.“ Und „mit einem breiten Lächeln“, so notiert die Journalistin, fährt der Papst fort: „Nägel zieht man mit Druck nach oben heraus. Oder man legt sie zum Ausruhen beiseite, wenn das Pensionsalter kommt.“ Wer genau mit den „Ultrakonservativen in der Kirche“ gemeint ist, bleibt offen, die Antwort scheint aber auf das nächste Umfeld der Kurie zu zielen.
Kein Problem mit Argentiniens Premier Macri
Grossteils geht es in dem Artikel, der wörtliche Papstzitate und Anmerkungen der Journalistin nicht immer klar voneinander trennt, um argentinische Politik. Franziskus erklärte, er habe überhaupt kein Problem mit Argentiniens Präsident, Mauricio Macri scheine ihm „ein nobler Mensch“ zu sein, er habe ihm „keinen persönlichen Vorwurf“ zu machen, und in ihren sechs gemeinsamen Jahren in Buenos Aires habe es nur ein einziges Mal Anlass zu einem Konflikt gegeben, so der Papst. Über „einige andere Probleme“ habe man im Privaten gesprochen und sie gelöst, sagte Franziskus. Manche Beobachter hatten latente Konflikte zwischen dem Regierungschef und dem Papst gemutmasst und erhielten in dieser Meinung Auftrieb von Bildern nach Macris Audienz im Vatikan, die beide mit etwas angespanntem Gesichtsausdruck zeigten.
Franziskus empfing in den vergangenen Wochen nicht weniger als drei Minister seines Heimatlandes, ausserdem sechs Richter, die sich zu einem Kongress zur Bekämpfung des Menschenhandels im Vatikan aufhielten. Ausdrücklich lobte der Papst zwei weibliche Regierungsangehörige Macris, die Gouverneurin der Provinz Buenos Aires, María Eugenia Vidal, und die Ministerin für soziale Entwicklung Carolina Stanley. Er kenne „die soziale Sensibilität“ der beiden Politikerinnen und wisse „von der argentinischen Kirche, dass sie weiterhin empfänglich sind für das Leiden jener, die wenig haben“. Wie es in dem Artikel heisst, geniesst Papst Franziskus in seinem Heimatland 75 Prozent „Volkssympathie“, nur sechs Prozent der befragten Argentinier hätten eine schlechte Meinung von dem Kirchenoberhaupt. „Kein argentinischer Politiker hat ähnliche Zahlen aufzuweisen“, schreibt Piqué.
Argentinische Menschenrechtlerin: „Sie bat um Verzeihung, und die wird niemandem verwehrt“
Kritik erntete der Papst, als er Ende Mai im Vatikan die Präsidentin der „Madres de Plaza de Mayo“ Hebe de Bonafini empfing. Die „Mütter“ sind eine Menschenrechtsgruppe argentinischer Frauen, deren Söhne und Töchter während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 „verschwanden“ und die seit jeher Kirchenvertreter eher als Verbündete der Diktatur wahrnahmen. Auch Hebe de Bonafini hatte nach der Wahl von Kardinal Bergoglio zum Papst Kritik an Franziskus wegen dessen angeblich zu grosser Nähe zur Militärdiktatur geübt, sich wenig später aber dafür entschuldigt und betont, sie habe sein Wirken zu jener Zeit nicht gekannt. „Sie bat um Verzeihung, und die wird niemandem verwehrt“, sagte Franziskus in dem Interview. „Sie ist eine Frau, der sie zwei Kinder umgebracht haben. Ich verbeuge mich, ich knie mich hin vor einem solchen Leiden. Es ist nicht wichtig, was sie über mich gesagt hat. Und ich weiss, dass sie in der Vergangenheit schreckliche Dinge sagte”, so der Papst in dem Interview.
Franziskus, 79 Jahre alt, ist gesundheitlich bestens beisammen, notiert Piqué eingangs. Eine ärztliche Rundum-Untersuchung habe ihm kürzlich den Allgemeinzustand eines 40-Jährigen bescheinigt. Franziskus sei auch „viel schlanker” als bei ihrer letzten Begegnung, dank einer ausgewogenen Ernährung, die ihm „keine grösseren Opfer” abverlange. In seiner Jugend hatte Jorge Mario Bergoglio ein schwerwiegendes Problem mit der Lunge, ein halber Lungenflügel musste ihm entfernt werden.
rv/La Nación 03.07.2016 gs
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