Aktenzeichen: Jon Svensson
Aktenzeichen: Jon Svensson – Erster Jesuit auf Island
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DVD: Rezension amazon (59)
Folge-Literatur: Jon Svensson
Jón Svensson, „Nonni“ genannt, der erste Jesuit auf Island, war im vergangenen Jahrhundert einer der bekanntesten isländischen Schriftsteller. Er begeisterte junge und ältere Leser mit seinen Erzählungen von der abenteuerlichen Welt seiner Kindheit auf Island. Nonnis Lebenslauf war sehr ungewöhnlich. Er wurde 1857, also vor bald 160 Jahren, in Island geboren und verliess schon im Alter von 12 Jahren sein Heimatland, um in Frankreich eine Jesuitenschule zu besuchen. Nach Abschluss seiner Gymnasialstudien trat er in den Jesuitenorden ein. Erst mit 55 begann seine Laufbahn als Schriftsteller. Er schrieb hauptsächlich auf Deutsch, und der Verlag Herder in Freiburg gab die meisten seiner Bücher heraus. Sie wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, u.a. ins Japanische, Chinesische und Baskische. Im Alter von 80 Jahren machte er noch eine Weltreise. Nonni starb 1944 in Köln und liegt dort auch begraben. Frau Friederika Priemer aus Köln hat den isländischen Jesuiten und Schriftsteller mit unermüdlichem Einsatz und wissenschaftlicher Akribie aus der Vergessenheit gehoben. Sie ist heute unser Studiogast.
*Frau Priemer, Sie haben Jón Svensson, genannt “Nonni”, in Ihr Herz und Ihre Seele aufgenommen. Alles, was diese ausserordentliche Persönlichkeit betrifft, haben Sie mit Geduld, Fleiss und liebendem Interesse gelesen, gesammelt und aufgearbeitet. Durch Sie wurde der vor 72 Jahren gestorbene Isländer zu neuem Leben erweckt. Sie versäumen keine Gelegenheit, Jón Svensson alias “Nonni”, wieder ins Gespräch zu bringen. So wie heute bei Radio Vatikan. Was brachte Sie auf die Idee, die Erinnerung an diesen aussergewöhnlichen Menschen für die Öffentlichkeit wieder wach zu rufen?
„Herzlichen Dank, Herr Parmeggiani, dass Sie mir dazu Gelegenheit geben.In meinen Augen war es „Fügung“, dass ich vor 10 Jahren durch höchst ungewöhnliche Umstände auf Jón Svensson und seinen Bestseller „Nonni. Erlebnisse eines jungen Isländers, von ihm selbst erzählt“ aufmerksam wurde. Ich beschaffte mir das Buch im Internet, „verschlang“ es abends im Bett und konnte dann kaum einschlafen, so spannend und aufregend ist es. Und es berührte mich zutiefst. Deshalb wollte ich mehr über den Schriftsteller erfahren – per Internet ist das ja kein Problem. Als ich dann ein Jahr vor seinem 150. Geburtstag erfuhr, dass „Nonni“ in Köln begraben liegt und dass es in Köln weitere „Nonni-Gedenkstätten“ gibt, stand für mich fest: du musst diesen wunderbaren Autor wieder bekannt machen. Zusammen mit der Deutsch-Isländischen Gesellschaft e.V. in Köln, von der ich vorher auch nichts wusste, wurde ein umfangreiches Geburtstagsprogramm auf die Beine gestellt. Seitdem werbe ich für „Nonni“.
*Sie sprechen und schreiben über Jón Svensson, wo immer sich eine Gelegenheit dazu bietet. Welche ist die Triebfeder zu so viel Begeisterung?
„Es war eine Art „Damaskus-Erlebnis“, das mich veranlasste, mir alle Bücher von Jón Svensson zu besorgen und sie nicht nur zu „verschlingen“, wie Generationen vor mir, sondern sie vor allem weiter zu empfehlen! Es waren aber nicht in erster Linie die abenteuerlichen Geschichten, die mich faszinierten, sondern das unerschütterliche Gottvertrauen, das aus allen „Nonni-Büchern“ spricht. Damit hat mich Jón Svensson angesteckt und damit hat er mein Leben verändert! Dieses Urvertrauen will ich an meine Mitmenschen weitergeben. Die daraus resultierende Gelassenheit wünsche ich allen Zeitgenossen – vor allem auch Kindern, die zu Hause oft nichts mehr von Gott erfahren, auch nicht aus ihren Büchern. Deshalb verbreite ich die „Nonni-Bücher“. D.h. ich bestelle Second-Hand-Exemplare günstig im Internet und verschenke sie an Freunde, Bekannte und Unbekannte. Die Reaktionen der meisten Leser sind sehr positiv – denn Jón Svensson erhebt nicht den moralischen Zeigefinger, sondern verpackt seine Botschaft vom gütigen Gott gewissermassen „zwischen den Zeilen“.
*Was fasziniert den Leser von “Nonni” so sehr an seinen Büchern? Ist es sein Schreibstil, seine Phantasie, seine spannende Erzähl-kunst? Was gefällt bei Jón Svenssons Büchern besonders?
„Sie haben ins Schwarze getroffen: es sind sein Stil, seine Phantasie, seine Erzählkunst, die die „Nonni-Bücher“ so lesenswert machen, aber auch die bildhafte Ausdrucksweise und die feine, saubere Sprache, die man heute selbst in vielen Kinderbüchern vermisst. Last, but not least, entführt uns „Nonni“ in seine atemberaubende Heimat: „Die Feuerinsel im Nordmeer“, wie er eines seiner Bücher nennt. Durch die „Nonni-Bücher“ sind viele Leser zu begeisterten Island-Fans geworden, so dass anlässlich von Jón Svenssons 150. Geburtstag im Jahr 2007 der isländische Präsident „Nonni“ als den 1. Botschafter Islands bezeichnete! Für Kinder sollten die „Nonni-Bücher“ modernisiert werden, um sie auch für diesen Leserkreis wieder attraktiv zu machen. Im Übrigen träume ich davon, dass einige Nonni-Abenteuer in „Comics“, „Cartoons“, „Mangas“ oder „Graphic Novels“ verwandelt werden, damit auch Lesemuffel in den Genuss dieser spannenden Geschichten kommen. Hoffentlich hört gerade ein Verleger zu!“
*Jón Svensson – einst Bestseller, jetzt ziemlich vergessen. Wie war das zu seinen Lebzeiten? Wie war die Resonanz auf seine Vorträge und Bücher? Können Sie, Frau Priemer, dafür einige Beispiele nennen?
„Als Jesuit wurde „Nonni“ weltweit hauptsächlich von katholischen Einrichtungen zu Vorträgen über seine unbekannte Heimat eingeladen. Die Zeitungen berichteten anschliessend begeistert und ausführlich von überfüllten Sälen und wie gebannt die Zuhörer an den Lippen des hochgewachsenen Mannes mit weissem Bart und wachen, hellblauen Augen hingen.“ Auch die Rezensionen von namhaften Schriftstellern wie Peter Dörfler u.a. empfehlen die Nonni-Bücher wärmstens. Folgender Satz berührt mich besonders:„Wer auch immer diese (Nonni-)Bücher liest, wird mit Sicherheit ein besserer Mensch werden.“ Das schrieb der damalige isländische Minister für Erziehung, Wissenschaft und Kultur Björn Bjarnason im Vorwort zur französischen Neu-Übersetzung von „Nonni. Erlebnisse eines jungen Isländers, von ihm selbst erzählt“.
*Vor kurzem berichteten wir über die Künstlerin Maria Spötl, deren Fleissbildchen einst sehr gefragt waren, jetzt aber wie die „Nonni-Bücher“ in Vergessenheit geraten sind. Trotz der grossen Beliebtheit der „Spötl-Bildchen“ wurde die Künstlerin heftig kritisiert, weil sie eine unwirklich heile Welt darstelle. Ist den Nonni-Büchern Ähnliches widerfahren?
„Ich sehe tatsächlich Parallelen zwischen Maria Spötl und Jón Svensson. Nicht nur, weil beide einst weltbekannt waren – jetzt fast vergessen sind. Dem Schriftsteller wird nämlich Ähnliches vorgeworfen: er habe seine Kindheit ausnahmslos als heiter und unbeschwert dargestellt, während die Tagebücher seines Vaters tragische Lebensumstände dokumentieren. M. E. hat Svensson diese negativen Tatsachen ganz bewusst komplett ausgeblendet. Er wollte ja nichts anderes, als den Lesern mit seinen Büchern Freude machen. Er schrieb sie in den Kriegsjahren zwischen 1913 und 1944, da lag ihm die Freude seiner Mitmenschen besonders am Herzen! Ich bin gespannt, zu welchem Ergebnis der Historiker Gunnar F. Guđmundsson in seiner in 2012 preisgekrönten Nonni-Biographie kommt, die zur Zeit ins Deutsche übersetzt wird. Hoffentlich findet sich bald ein Verlag, der dieses sicher hoch interessante Werk über „Pater Jón Sveinsson. Nonni“ den deutschsprachigen Lesern zugänglich macht.“
*Obwohl die Wiege von Jón Svensson auf Island stand, er in Frankreich studierte und in Dänemark arbeitete, schrieb “Nonni” auf Deutsch. Gibt es dazu eine Erklärung?
„Als sich Jón Svensson mit 55 Jahren für die Schriftstellerei entschied, fragte er sich: „In welcher Sprache soll ich denn schreiben?“ Er hatte nämlich die Wahl zwischen Französisch, Dänisch, Englisch und Deutsch – in seiner Muttersprache Isländisch hatte er keine Übung mehr. Dass er sich für „Deutsch“ entschied, hängt m.E. damit zusammen, dass sein Freund P. Hermann Krose SJ, Schriftleiter der „Stimmen aus Maria Laach“, ihn mit dem Verlag Herder bekannt machte. Damit begann Svenssons Karriere als Autor der „Nonni-Bücher“. Doch zunächst gab es da ein Problem: Jón Svensson sprach zwar Deutsch, aber er hatte mehr als 20 Jahre in Dänemark gelebt, wo er keine Gelegenheit hatte, Deutsch zu schreiben. Daher fragte er einen Mitbruder, wie er möglichst schnell ein schönes und fehlerfreies Deutsch erlernen könne. Der Rat lautete: „Lesen Sie Goethe!“ Daraufhin holte sich Svensson Goethes Werke aus der Hausbibliothek. Und nach drei Monaten hatte er das Gefühl, jetzt wenigstens ein „leidiges“ Deutsch schreiben zu können – welche Untertreibung!
*Die meisten der „Nonni-Bücher“ erzählen von Svenssons Kindheit und früher Jugend. Heißt das, dass sie eigentlich nur für Kinder und Jugendliche geschrieben wurden?
„Jón Svensson wird tatsächlich häufig als „Kinderbuchautor“ bezeichnet. Das greift m.E. viel zu kurz. Aber lassen wir den Autor selbst zu Wort kommen. Ich habe ja glücklicherweise das Buch „Wie Nonni das Glück fand“ mitgebracht. Darin schreibt Svensson (S. 197 ):
„… Als ich vor Jahren anfing, meine Jugenderlebnisse in Vorträgen zu erzählen, da sah ich, wieviel Freude Jung und Alt daran hatten. Der Kreis meiner Zuhörer wurde immer größer. Bald konnte ich nicht mehr überall hin, wo man mich hören wollte, und so begann ich, meine Bücher zu schreiben. Ich wollte damit nichts anderes, als Freude bereiten. Das war meine Mission, die Gott mir aufgetragen hatte – so empfand ich es… Immer wieder trug ich dem lieben Gott das kurze Gebet vor: Sorge dafür, dass meine Bücher allen Menschen, die sie lesen werden, eine wahre, tiefe Freude ins Herz bringen… Gegen das große und leider so verbreitete Übel (der Mutlosigkeit und Traurigkeit) wollte ich durch meine Bücher – nicht nur bei der Jugend, sondern noch viel mehr bei den Erwachsenen – wirken und kämpfen…“ Zitatende.“
*Gibt es noch originale Tonaufnahmen von der Stimme Jón Svenssons?
„Ach, Herr Parmeggiani, das ist ein trauriges Kapitel, denn ich habe trotz intensivster Bemühungen leider bisher keine Aufnahme von „Nonnis“ Stimme finden können. Obwohl Jón Svensson nachweislich mehrfach im Radio gesprochen hat, so z.B. im Süddeutschen Rundfunk Stuttgart, im Österreichischen Rundfunk in Wien, in Japan, in USA und vielleicht auch in Island. Aber auf meine Anfragen bekam ich stets die Antwort, es gebe keine Aufzeichnungen mehr, sie seien durch Kriegswirren, etc. verloren gegangen. Ich hätte Ihnen sehr gerne eine solche Tonaufnahme mitgebracht.“
*In einem Ihrer Vorträge, Frau Priemer, vergleichen Sie Jón Svensson mit Papst Franziskus. Was führt Sie zu dieser Bestandsaufnahme? Wo sehen Sie da Parallelen?
Um nur einige zu nennen:
– Beide kommen vom „anderen Ende der Welt“!
– Beide sind Jesuiten.
– Noch unter Vorbehalt: Franziskus ist der erste Jesuit auf dem Stuh¬le Petri – „Nonni“ ist der erste Jesuit Islands.
– Beide haben ein Herz für Kinder.
– Beide sprechen und schreiben eine einfache, zu Herzen gehende Sprache.
– Beide nennen Gott „barmherzig“ und „gütig“.
– Beide sind bescheiden.
– Auch Franziskus wollte als junger Jesuit in die Japan-Mission gehen.
– Beide sind in meinen Augen heiligmäßig!
Ob Franziskus einmal „Nonnis“ Heimat besuchen wird – das nördlichste Bistum der Weltkirche, dieses „andere Ende der Welt“? Johannes Paul II. war 1989 dort und er erinnerte die Isländer an ihren „Nonni“ mit den Worten, die ihm seine protestantische Mutter beim Abschied für immer ans Herz gelegt hatte: „Bleib brav und vergiss Gott nicht!“. Welch geniale Hommage an „Pater Nonni“, der nicht nur für manche Isländer ein Heiliger ist!“
Ausleitung
1930 wurde “Nonni” zur Tausendjahrfeier des isländischen Parlaments, des Althing, nach Island eingeladen. Als Preis dafür, dass er durch seine Erzählungen sein Vaterland in der ganzen Welt bekannt gemacht hatte. Es war seine zweite und letzte Rückkehr in seine Heimat nach vielen Jahren. Als der 2. Weltkrieg ausbrach, lebte Jón Svensson im Ignatiuskolleg in Valkenburg/ Holland. Im Juli 1942 wurden die Jesuiten von der Gestapo von dort vertrieben, auf einem Lastwagen nach Aachen transportiert und vor dem Generalvikariat auf die Straße gesetzt. Die Patres und Brüder wurden dann auf katholische Krankenhäuser verteilt. Im St. Antonius-Krankenhaus in Eschweiler schrieb Jón Svensson an seinem letzten Buch „Nonnis Reise um die Welt“. Wegen der näher rückenden Front wurde „Nonni“ schließlich ins St. Franziskus-Hospital nach Köln verlegt, wo er am 16. Oktober 1944 im 87. Lebensjahr seine letzte große Reise – in die Ewigkeit – antrat.
Natürlich war der Musenmensch Jón Svensson, Jesuit, Schriftsteller und Weltautor auch Musikliebhaber. Da “Nonni” auch ein guter Akkordeonspieler war, blenden wir diese Sendung mit Tönen auf der Ziehharmonika – seinem Lieblingsinstrument – aus.
Aldo Parmeggiani
rv 03.07.2016 ap
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