Christen sind jetzt gefordert

Die Gesellschaft nichts dringender als den Beitrag zur Entideologisierung. Christen, als “geborene Anti-Ideologen”, können hier Wesentliches beitragen

markus rederUPDATE: Kölner Silvester: Woelki verurteilt Übergriffe und warnt vor Hetze

Von Markus Reder

Die Tagespost, 08. Januar 2016

Mehr als eine Woche liegen die gewalttätige und sexuellen Übergriffe in Köln zurück. Noch immer ist vieles ungeklärt. Doch was inzwischen bekannt ist, reicht aus, um die politische und gesellschaftliche Sprengkraft dieser Ereignisse klar zu erkennen. Ihre Wucht ist gewaltig. Bis in die USA ist das mediale Echo auf die dramatischen Übergriffe und den unsäglichen Umgang damit zu hören.

Da ist zunächst die Informationspolitik von Polizei und Sicherheitsbehörden. Nach jüngsten Erkenntnisse verheimlichte man offenbar die Herkunft der Verdächtigen, weil man dies für “politisch heikel” hielt. Das ist informationspolitischer Wahnsinn und zeigt, wie weit die Diktatur der politischen Korrektheit gediehen ist. Wenn man das ohnehin schon ramponierte Vertrauen in den Rechtsstaat und seine Organe endgültig zerstören will, erreicht man das genau so. Das ist dann nicht mehr “politisch heikel”, sondern politisch katastrophal. Wer das Vertrauen in einen funktionierenden Rechtsstaat derart untergräbt, setzt die Stabilität des gesamten demokratischen Systems aufs Spiel.

Auch in den Medien hat die “Schere im Kopf” zugeschlagen. Ganz gleich, ob man die Vorgänge in Köln zunächst kleinhalten oder die Nennung des Täterkreises vermeiden wollte: Wenn man rechten Dumpfbacken mit ihrem Lügenpresse-Gegröle Bestätigung geben will, dann genau so. Erste Aufgabe von Journalisten ist es, zu sagen und zu schreiben, was ist, und nicht zu erklären, wie man die Welt gerne hätte. Für Politik und Medien gilt in gleicher Weise: Die Wirklichkeit aus politisch-ideologischer Motivation zu verbiegen, zeigt letztlich nur, dass man ihr nicht mehr gewachsen ist.

Christen kommt in dieser ideologisch aufgeladenen Atmosphäre besondere Verantwortung zu. Das Evangelium immunisiert gegen ideologische Anfälligkeiten von rechts wie links und schärft den Blick für die Wirklichkeit. Wem es ernst ist mit der vom Evangelium gebotenen Hilfe für Flüchtlinge, der wird Schutzbedürftigen engagiert helfen, aber mit gleicher Entschiedenheit gegenüber jenen auftreten, die das Schutzrecht für Straftaten missbrauchen, wie gegenüber jenen, die meinen, solche Verbrechen verschweigen zu müssen, um ihre eigene Multi-Kulti-Idylle vor der Realität zu retten. Er wird sich deutlich gegen jede Form von fremdenfeindlichen Pauschalierungen verwahren und ebenso nachdrücklich diejenigen kritisieren, die den Eindruck erwecken, die ungeheure Integrationsaufgabe und die sozialpolitischen Spanungen, vor denen dieses Land steht, seien lediglich Schwarzmalerei.

Mit Beifall wird man dabei freilich nicht rechnen dürfen. Die ideologischen Gräben sind tief. Sprungbereit lauert Feindseligkeit hinter jeder zweiten Ecke. Hass und Wut bricht sich nicht nur im Internet, sondern zunehmend auch auf der Strasse Bahn. Und der Wunsch, der Einfachheit halber in “rechts” und “links” zu schubladisieren, wird umso grösser, je komplexer sich die gesellschaftliche Wirklichkeit darstellt. Gerade weil das so ist, braucht die Gesellschaft nichts dringender als diesen Beitrag zur Entideologisierung. Christen, als “geborene Anti-Ideologen”, können hier Wesentliches beitragen. Nach der immensen Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge wird dies der nächste grosse Dienst sein, den die Kirchen in einer zum Zerreissen gespannten gesellschaftlichen Situation zu leisten haben. Dazu muss ihre Stimme aber auch in diesen Fragen noch deutlicher hörbar werden.

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