Nicht trennen, was zusammengehört
Lehre und Pastoral, Ortskirche und Weltkirche, Tradition und Wirklichkeit von heute: Eine Papstbotschaft an die Theologische Fakultät in Buenos Aires
Die Theologische Fakultät der Katholischen Universität Buenos Aires bekam von ihrem vormaligen Grosskanzler Jorge Bergoglio eine Art akademischen Gewissensspiegel.
Rom, Die Tagespost, 07. September 2015
“Kirche, was sagst du von dir selbst?” Diese Frage war der Ausgangspunkt einer etwa halbstündigen Videobotschaft von Papst Franziskus an die Theologische Fakultät der Argentinischen Katholischen Universität in Buenos Aires, die mit einem Kongress vom 1. bis 3. September ihr hundertjähriges Bestehen und den fünfzigsten Jahrestag des Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils gefeiert hat.
Hundert Jahre einer Theologischen Fakultät zu begehen, so Franziskus in seiner am Samstag veröffentlichten Botschaft, bedeute auch, hundert Jahre eines Volkes Gottes zu feiern, das seinen Weg mit dem Heiligen Geist gegangen sei. Dieses Volk, das auf argentinischem Boden lebe, glaube, hoffe und liebe, wolle auch über seine Besonderheiten nachdenken, in denen sich der Glaube eingewurzelt, inkarniert und interpretiert habe. Aber es sei auch von grosser Bedeutung, die Erinnerung an sich selbst mit dem Gedenken an das Ende des Zweiten Vatikanums zu verbinden. “Es gibt keine Ortskirche, die für sich dasteht, die für sich selber entscheiden kann, als wäre sie die Herrin und alleinige Interpretin der Wirklichkeit und des Handelns des Heiligen Geistes”, so der Papst. Es gebe keine Gemeinschaft, die ein Monopol der Interpretation oder der Inkulturation habe. Jedoch ebenso würde auch gelten: “Im Gegenteil gibt es aber auch keine Universalkirche, welche die Wirklichkeit vor Ort ignoriert oder sich unwissend stellt.” Katholizität entstehe in der spannungsreichen Pluralität zwischen dem Einen und dem Vielen, zwischen dem Einfachen und dem Komplexen, zwischen dem Besonderen und dem Universalen. “Diese Spannungen auszulöschen, geht gegen das Leben des Geistes.”
Der Papst wollte diese Wechselwirkung auch als theologisches Prinzip verstanden wissen: Die Beziehung zwischen der empfangenen Tradition und der konkreten Realität vor Ort zerbrechen zu wollen, hiesse, den Glauben des Volkes Gottes zu gefährden. Diese Kommunikation zu stören würde bedeuten, “aus unserer Sichtweise, aus unserer Theologie eine Ideologie zu machen”. Darum freue es ihn, dass in Buenos Aires die hundert Jahre der Fakultät und die fünfzig Jahre seit dem Konzil gefeiert würden. “Das Lokale und das Universale kommen zusammen, um sich gegenseitig zu nähren, um den prophetischen Charakter zu fördern, dessen Träger die ganze Theologische Fakultät ist.” Die Kirche sei heute nicht mehr dieselbe wie vor hundert Jahren, als die Universität von Buenos Aires ihre theologische Fakultät bekam. “Deswegen ist es eine der wichtigsten Aufgaben des Theologen, zu unterscheiden und zu reflektieren, was es heute bedeutet, Christ zu sein, im Jetzt und Hier.”
Papst Franziskus griff in seiner Ansprache ausserdem mehrere Versuchungen auf, denen sich die Theologie ausgesetzt sehe. Als erstes sei da die Versuchung zu glauben, dass früher alles besser gewesen sei, indem man in einen Konservatismus oder Fundamentalismus fliehe. Im Gegensatz dazu sei es auch eine Versuchung, alles zu entweihen, alles für unwichtig zu halten, was nicht nach Neuigkeit rieche, und die empfangene Weisheit und das reiche kirchliche Erbe zu relativieren. Um diese Versuchung zu überwinden, brauche es laut Franziskus das bereits angesprochene Prinzip des Zusammenspiels von Tradition und heutiger Wirklichkeit, es brauche einen Dialog. Gerade hier sei das Studium der Theologie zu Hause.
Ausgehend von diesem Dialog wies der Papst auf ein Phänomen hin, das sich gerade in jüngerer Zeit und in aktuellen Debatten der Kirche oft zeige, ohne dass der Papst dabei auf eine bestimmte Frage einging: “Nicht selten wird ein Gegensatz konstruiert zwischen der Theologie und der Pastoral, als ob es zwei gegensätzliche Wirklichkeiten wären, getrennt voneinander, die nichts miteinander zu tun hätten. Nicht selten wird die Lehre mit ‘konservativ‘ identifiziert, mit rückwärtsgewandt. Im Gegenzug denken wir dann oft an die Pastoral als Anpassung, Reduzierung, Adaption.” Der hier gemachte Gegensatz zwischen “Pastoralen“ und “Akademikern“, zwischen denen an der Seite des Volkes und denen an der Seite der Lehre, sei falsch. “Diese Trennung von Theologie und Pastoral, Glaube und Leben, zu überwinden, war einer der wichtigsten Beiträge des Zweiten Vatikanischen Konzils.“ Das fortzusetzen sei die Aufgabe heute. Das nicht zu tun, sei im Gegenteil ein Verrat der Botschaft Jesu, sie höre auf, eine frohe Botschaft zu sein und werde zu sterilen Worten. Die grossen Väter der Kirche wie Irenäus, Augustinus, Basilius und Ambrosius, so Franziskus weiter, seien grosse Theologen gewesen, weil sie grosse Hirten waren. Die Scheidung zwischen Theologie und Pastoral zu überwinden, zwischen Glaube und Leben, sei genau eine der wesentlichen Öffnungen des Zweiten Vatikanums gewesen. In gewisser Weise habe das die Theologie revolutioniert, die Art und Weise, gläubig zu handeln und zu denken. Er könne die Worte von Papst Johannes XXIII. nicht vergessen, sagte Franziskus: Eine Sache sei die Substanz der alten Lehre, des “depositum fidei“, eine andere sei es, ihre Ausdrucksweise zu formulieren. Der Papst zitierte einen seiner Lieblingstheologen, den französischen Jesuitenpater Michel de Certeau: “Eine Theologie antwortet auf die Fragestellungen einer Zeit und niemals antwortet sie anders als genau mit den Worten, welche die Worte sind, die die Menschen sprechen und in welchen sie leben.”
“Diese Begegnung zwischen Lehre und Pastoral ist nicht optional, sie ist konstitutiv für eine Theologie, die kirchlich ist“, fasste Papst Franziskus seine Überlegungen zusammen. “Die Fragen des Volkes, seine Ängste, seine Streitigkeiten, seine Träume, seine Kämpfe, seine Sorgen haben einen hermeneutischen Wert, den wir nicht ignorieren können, wenn wir das Prinzip der Menschwerdung ernst nehmen.“ Gott sei in Jesus Mensch geworden inmitten von Konflikten, Ungerechtigkeiten, Gewalt, aber auch inmitten von Hoffnungen und Träumen. Und um diesen Gedanken noch etwas zu präzisieren sprach der Papst ein weiteres seiner zentralen Themen an.
“Die Menschen in ihren Konflikten, an den Peripherien, sind nicht optional, sondern Bedingung für ein besseres Verstehen des Glaubens. Deswegen ist es wichtig sich zu fragen, ‘an wen denken wir, wenn wir Theologie betreiben?‘, ‘wen haben wir vor uns?‘. Ohne diese Begegnung mit dem Volk Gottes läuft die Theologie das Risiko, zur Ideologie zu werden. Vergessen wir niemals, dass der Heilige Geist und das glaubende Volk das Subjekt der Theologie sind. Eine Theologie, die nicht daraus geboren wird, wäre vielleicht schön, aber sie wäre nicht echt.“
Papst Franziskus nannte drei Wesenszüge des Theologen: Dieser sei in erster Linie ein Sohn seines Volkes. Er kenne seine Leute, ihre Wurzeln, ihre Geschichten, ihre Tradition. Der Theologe müsse anerkennen, dass das gläubige Volk, in dem er geboren wurde, eine theologische Bedeutung habe, die er nicht ignorieren könne. Dann sei der Theologe ein Gläubiger. Er müsse die Erfahrung Jesu Christi gemacht und entdeckt haben, dass er ohne Ihn nicht leben kann. Und schliesslich sei der Theologe ein Prophet. Er sei es deswegen, weil er in sich das Wissen um das Vergangene lebendig halte wie auch die Einladungen der Zukunft. Er sei in der Lage, alle Entfremdungen zu denunzieren, weil er im Fluss der Tradition, die er von der Kirche empfangen hat, die Hoffnung erahnt und reflektiert, zu der die Gläubigen berufen seien. Darum gebe es nur eine Form, Theologie zu betreiben: auf den Knien. Theologie, so schloss Franziskus, sei eine dynamische Realität zwischen Nachdenken und Gebet. Eine Theologie auf den Knien würde sich dazu aufschwingen, betend zu denken und denkend zu beten. Sie sei Heiligkeit des Denkens und betende Klarheit. Vor allem sei sie aber Demut, die erlaube, das Herz und den Geist in Einklang zu bringen mit dem “Deus semper maior“.
Mit Material von Radio Vatikan
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