Die umkämpfte Wüstenbraut
Syrien: Weltkulturerbe Palmyra vom IS eingenommen
Palmyra war eine Weltstadt
Rom, 22. Mai 2015, zenit.org, Tanja Schultz
Die Syrer sagen, Palmyra läge hingegossen wie eine schöne Braut in der goldfarbenen Wüste, mit ihrer prächtigen, tausend Meter langen Säulenstrasse, dem noch intakten Theater und dem hochragenden Baal-Tempel. Die fantastische Ruinenstadt, die die europäische Architektur des 18. Jahrhunderts beflügelt hat, erzählt viele Jahrhunderte Geschichte von der Symbiose griechisch-römischer und orientalischer Kultur. Vor allem ist sie aber verknüpft mit der Geschichte einer aussergewöhnlichen Frau, der gebildeten wie ehrgeizigen Königin Zenobia (240-273 n. Chr.), die Rom zu trotzen wagte. Dieses “Pompeji” des Orients war der ganze Stolz des Landes und Hauptattraktion für alle Reisenden. Nun weht über der Ausgrabungsstätte die schwarze Fahne des islamischen Staats.
Tagelang war Palmyra umkämpft. Seit diesem Mittwoch ist sie zusammen mit der benachbarten Neustadt Tadmor in den Händen der IS-Miliz, die zur Abschreckung beim Einzug in die Stadt die Strassen mit enthaupteten Soldaten der Assad-Regierung pflasterte. Insgesamt soll es laut der syrischen NGO für Menschenrechte bisher 49 Tote geben. Die Sorge um die unter Unesco-Schutz stehenden Kulturgüter scheint fast noch grösser zu sein als die um die Bürger. Der Bürgerkrieg hatte bereits katastrophale Auswirkungen auf Syriens Kulturerbe. Satellitenbilder vom Amphitheater von Bosra, der Kreuzritterfestung Krak des Chevaliers bei Homs und dem heute nunmehr auf ein Trümmerfeld reduzierten Aleppo belegen diese. Die barbarische Spitzhacke des IS machte selbst vor den Jahrtausende alten Städten Ninive und Nimrud im Irak nicht halt. Somit ist die Sorge um das Schicksal von Palmyra nicht unbegründet.
Die westliche Presse ist in Alarm, sie wartet stündlich auf Nachrichten über gefallene Säulen, gesprengte Tempel. Der Direktor der syrischen Antikenverwaltung Dr. Maamoun Abdulkarim beklagte, dass der Aufruf der Unesco um internationalen Schutz nicht umgesetzt wurde. Er räumte jedoch ein, dass die im Museum von Palmyra beherbergten Objekte rechtzeitig in Sicherheit gebracht worden seien. Damit dürfte die Bedrohung zu einem Teil abgewendet sein, da die Dschihadisten vor allem Bildwerke vernichten, die sie als Ausdruck eines verwerflichen Götzendienstes ansehen. Die grandiosen Bauwerke und Nekropolen von Palmyra bleiben der blinden Zerstörungswut des IS natürlich weiter ausgeliefert. Heute Morgen sprach die Unesco ohne Präzisierung von “einigen zerstörten Monumenten”, wohl aufgrund der Bombardierung der Miliz durch die Regierungstruppen.
Die Äusserung von Barak Obama, dass die USA sehr besorgt über die Eroberung von Palmyra seien, bezieht sich aber sicher nicht auf die wertvollen Kulturgüter. Die Oasenstadt liegt an einem Schnittpunkt zwischen den Verbindungsstrassen nach Homs und dem nur 200 km entfernten Damaskus, dem Sitz der Regierung.
Das Kalifat übernimmt damit erstmals eine Stadt, die unter Kontrolle des Regimes stand. Zuvor hatten die Dschihadisten nur Gebiete von anderen Rebellengruppen erobert. Der IS hat mit der Einnahme von Palmyra nunmehr fast die Hälfte des Landes in seiner Hand – wenn es auch ein weitgehend dünn besiedeltes Gebiet ist. Aber es ist strategisch von grosser Bedeutung, weil es ein Vorposten der Hauptstadt ist. Dorthin wollen die Dschihadisten als nächstes vorrücken.
In der Umgebung befinden sich ausserdem grosse Gasfelder, die bisher unter Assads Kontrolle waren. Nun will der IS sie sich als Einnahmequelle sichern. Davon abgesehen wurde der Militärflugplatz eingenommen, womit Assads Truppen ein wichtiger Landeplatz genommen wurde. Eine Rückeroberung wird dadurch erschwert. Die Befreiung der politischen Häftlinge in dem berüchtigten Folter-Gefängnis von Tadmor kann der IS hingegen als wirksamen Propagandazug gegen Assad nutzen. Hunderte Syrer, die an den Protesten gegen das syrische Regime 2011 teilgenommen hatten, wurden dort eingesperrt. Die örtliche Bevölkerung, nach Schätzungen der UN bis zu 200.000 Menschen, sind Sunniten und dürften der IS-Miliz gegenüber nicht unbedingt feindlich eingestellt sein. Ein militärisches Eingreifen der USA ist in diesem Moment nicht sehr wahrscheinlich, denn damit würde man den Diktator Assad direkt unter die Arme greifen, was Washington vermeiden möchte. Somit bleibt das Schicksal der antiken Perle vorerst ungewiss.
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