Aufruf des Papstes an die Jugend

Aufruf des Papstes an die Jugend: “Schwimmt gegen den Strom, seid keusch!”

Im Rahmen der Begegnung mit den jungen Menschen der Diözese Turin übte Franziskus Kritik an der Heuchelei in den Waffenhandel investierender Christen.

Turin, Luca Marcolivio

Der wahre Sinn der Liebe, die Keuschheit, das Misstrauen in die Politik, der Krieg und die Wegwerfkultur – dies waren die wichtigsten Themen des von Papst Franziskus mit 90.000 Jugendlichen der Diözese Turin geführten Gesprächs. Die Begegnung fand gestern Abend auf der Piazza Vittorio statt und beendete den ersten Tag des Besuchs von Papst Franziskus in der piemontesischen Hauptstadt.

Zur Beantwortung der ersten Frage zitierte der Heilige Vater Piergiorgio Frassati (1901-1925), einen aus Turin stammenden Seligen, der dazu ermahnt hatte, zu “leben und sich nicht nur recht und schlecht durchzuschlagen”.

Ohne Umschweife sagte der Papst, dass es “hässlich” sei, “junge Menschen gleichsam in einem vegetativen Zustand leben zu sehen”. Dabei bezog er sich auf “früh gealterte” junge Menschen, die metaphorisch betrachtet “mit 20 Jahren in Pension gehen.”

Das Gegenmittel zu diesem Übel sei ein vollkommen im “Willen zur Liebe” geführtes Leben, so der Kommentar des Papstes. Die Liebe sei dennoch etwas sehr “Konkretes”, dessen Bedeutung über die Worte “ich liebe dich” hinausgingen und sogar “mehr in den Werken als in den Worten” zu finden sei.

Gott selbst “ist die Liebe” und habe begonnen, “seinem Volk von der Liebe zu erzählen, als er einen Bund mit ihm geschlossen hat”. Er habe ausgehend von der Vergebung des Volkes selbst “Werke” für sein Volk vollbracht.

Ferner betonte der Papst, dass “die Liebe stets mitgeteilt wird, sich im Dialog und in der Kommunikation erfüllt, anhört und antwortet, nie stumm und nie taub ist”. Ebenso wenig sei sie ein “romantisches Gefühl”.

Daraufhin nutzte Franziskus die “unbeliebte” Wendung, da der Papst in dieser vom Hedonismus geprägten Welt ein Risiko eingehen müsse, wenn er die Wahrheit sagt: “Ich sage euch: Übt Keuschheit, denn die Liebe ist keusch”.

Keuschheit sei, den Worten des Heiligen Vaters zufolge, zweifellos eine “schwer” zu lebende Tugend. Dennoch sei sie “der Beweis wahrer Liebe, die Leben schenken kann” und die “den anderen nicht als Mittel des Vergnügens benutzt”.

Die Liebe sei letztlich ein Opfer, wie das Beispiel “vieler Mütter und Väter” vor Augen führe, die “am Morgen müde zur Arbeit kommen, da sie in der Nacht ihr krankes Kind umsorgt haben”. Dies sei wahre Liebe und bedeute, den anderen der Lehre Jesu zufolge zu dienen. Der Papst ergänzte: “Wenn ich sage: ‘Ich liebe dich‘, mich aber nicht für den anderen opfere, dann ist das keine Liebe”.

Das unter den jungen Menschen verbreitete Misstrauen habe seine Wurzeln in der Heuchelei oder der Böswilligkeit der Mächtigen. In diesem Zusammenhang verwies Franziskus erneut auf den neuen “in Teilen ausgetragenen Weltkrieg”, angesichts dessen sich die Frage aufdränge: “Kann ich den globalen Führungskräften vertrauen? Kann ich einem Kandidaten vertrauen, der dann einen Krieg auslöst?”

Dem Papst zufolge existierten “Führungskräfte und Unternehmer”, die sich als “Christen” bezeichnen oder “vom Frieden sprechen”, dann aber “mit Waffen handeln” oder “in Waffenfabriken investieren”.

Im Falle der meisten Kriege, Diktaturen oder Genozide “wenden” die Mächtigen “ihren Blick ab”: Dies geschah im vergangenen Jahrhundert in Zusammenhang mit der “Tragödie Armeniens”, der Gulags der Sowjetunion oder der “Schoah”. Im Falle Letzterer hätten die grossen Mächte über Bilder von Zügen verfügt, die die Deportierten nach Auschwitz brachten, ohne selbst einen Finger zu rühren.

Der dritte Abschnitt des Gespräches betraf die “Wegwerfkultur”, die die Kinder berühre (“Sie werden nicht empfangen oder vor der Geburt getötet”), die Alten (“die man im Zuge der versteckten Euthanasie sterben lässt”) und die jungen Menschen, denen man “keine Arbeit gebe“ und die in den Abgrund der “Abhängigkeiten“, des Selbstmordversuches fielen oder sich – angelockt durch die Verwendung falscher “Ideale” als Köder – sogar in den Netzen terroristischer Gruppen verfingen.

Der wahre Weg zur persönlichen Verwirklichung und zum Glück bestehe jedoch in einem “Schwimmen gegen den Strom“ und im Einsatz für Werke der Solidarität für die “Strassenkinder” oder zugunsten der “Migranten” oder in einem Leben in der “Freude der Jugendfreizeitstätten der Pfarrgemeinden”.

Diese Einladung richtete der Papst insbesondere an die Studierenden: “Hütet euch davor zu glauben, dass ihr nur studieren sollt: Ein Universitätsstudent zu sein bedeutet auch hinauszugehen und sich in den Dienst der Armen zu stellen”, so Franziskus.

Diese Herausforderung “gegen den Strom” sei in jeder Epoche möglich: auch während des italienischen Risorgimento; jene Zeit, in die die “Freimaurerei fällt, in der die Kirche nichts tun konnte, in der Priester verachtet wurden, das Dämonische existierte – einer der hässlichsten Zeiten und Schauplätze der italienischen Geschichte”.

Die Gegenwart vieler Heiliger in dieser Epoche zeige dennoch, dass “man sich jener Kultur, jener Lebensweise und jenes Umgangs mit der Realität entgegensetzen musste, und wenn diese Realität aus Glas und nicht aus Diamant ist, dann suche ich die Gegenstrom-Realität und gestalte mir meine eigene, die jedoch ein Dienst an den anderen sein soll!”, so Franziskus abschliessend.

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