Die Ukrainer bewiesen Reife

War es klug, mitten im entbehrungsreichen Kampf um die Freiheit und Souveränität der Ukraine Parlamentswahlen abzuhalten?

FriedenSchutzmantelmadonna UkraineDie Tagespost, 29. Oktober 2014

Von Stephan Baier

War es klug, mitten im entbehrungsreichen Kampf um die Freiheit und Souveränität der Ukraine Parlamentswahlen abzuhalten? Offensichtlich ja, denn die Ukrainer haben eine bewundernswerte demokratische Reife bewiesen, indem sie sowohl der Unterwerfung unter das Diktat Moskaus wie auch den nationalistischen Populisten eine viel deutlichere Absage erteilten als alle Umfragen ahnen liessen. Kommunisten, Nationalisten und korrupte Clans – einschliesslich der verblassten Ikone Julia Timoschenko – mussten eine klare Niederlage einstecken.

Auf den ersten Blick verwirrend, doch mittelfristig stabilisierend wirkt auch, dass nicht ein neuer starker Mann geboren wurde, sondern nun eine Machtbalance gesucht werden muss. Drei Politiker müssen sich künftig miteinander arrangieren: Präsident Petro Poroschenko, Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk und der Bürgermeister von Lemberg, Andrej Sadowy.

Alle drei sind solide, pro-europäische Demokraten, frei vom Verdacht persönlicher Bereicherung und keinesfalls Moskau-hörig. Die Parlamentswahl vom Sonntag hat den Kurs der Ukraine in Richtung echter Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und EU-Annäherung inhaltlich bestätigt und formal legitimiert.

Umso entlarvender ist die Propaganda, mit der Moskau auf die Richtungswahl in der Ukraine reagierte. Obgleich die nationalistischen Kräfte in der Ukraine marginalisiert wurden, warnte Präsident Wladimir Putin in alter Sowjetdiktion vor “einer Wiederkehr faschistischer Ideologie, nationalem Hass und einer Fälschung unserer gemeinsamen Geschichte”. Indem er die “wunderbare Tradition der brüderlichen Freundschaft” zwischen Russen und Ukrainern beschwor, reihte sich Putin selbst unter die sowjetischen Geschichtsfälscher ein, die Millionen ukrainischer Opfer der brutalen kommunistischen Russifizierung im 20. Jahrhundert einfach negierten. Der Zweck dieser Geschichtsmythen und Polemiken ist offensichtlich: Putin ist weiterhin nicht bereit, den – in den Präsidentschafts- wie nun in den Parlamentswahlen demokratisch bestätigten – europäischen Kurs der Ukraine zu respektieren.

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