Er hat das Licht der Welt gesehen und spiegelt dieses Licht

Bei aller Intellektualität ist er ein frommer, einfacher Mensch geblieben  *UPDATE

“Die Welt”-Interview mit Peter Seewald über das Papstbuch – Von Paul Badde/DieWelt
21. November 2010

DIE WELT: Sie haben 6 Stunden mit Papst Benedikt XVI. gesprochen. Eine solche Audienz hätte selbst der Präsident der Vereinigten Staaten unmöglich bekommen. Was haben Sie, was Barack Obama nicht hat? Peter Seewald: Ich weiß es nicht. Schicksal, Vorsehung? Vielleicht ist es die gemeinsame bayerische Herkunft. Wir sprechen dieselbe Sprache. Er mag es, dass man Dinge ohne Scheu erfragt und sich ohne Zynismus mit jedem Thema auseinandersetzt. Hilfreich war sicher, dass wir schon in seiner Zeit als Kardinal zwei Dialog-Bücher gemacht haben, die nicht ohne Wirkung blieben. Er ist ein team-player – und wir waren schon einmal ein winning team. DIE WELT: Welches Argument gab den Ausschlag, dass er Ihnen diesen publizistischen Scoop bewilligt hat?

Seewald: Ich habe verschiedene Anläufe gemacht. Anlass für das Projekt war das fünfjährige Jubiläum seines Pontifikates und das bevorstehende Erscheinen vom zweiten Band seines Jesus-Buches. Am Schluss hat aber wohl die krisenhafte Entwicklung nach Bekanntwerden vom ganzen Ausmaß der schrecklichen Missbrauchsfälle den Ausschlag gegeben. Auch dazu hat er sich nun wie noch nie zuvor ein Papst vor mir geäußert. Es ist ein Novum in der Papstgeschichte. …

DIE WELT: … bei dem er sogar gestanden hat, in begründeten Einzelfällen auch den Gebrauch von Kondomen gut zu heißen. Haben Sie nur Reizthemen mit ihm abgehakt? Und gibt es eine Frage, die Ihnen im Nachhinein gekommen ist, die Sie ihm am liebsten jetzt noch stellen würden?

Seewald: Ich habe keine Frage ausgelassen, die sich mir aufgedrängt hat. Aufgrund der dann doch sehr begrenzten Zeit konnte ich viele Themen aber nicht in der Art ausführen, wie ich mir das gewünscht hätte. Das betrifft beispielsweise den Skandal der zunehmenden Christenverfolgung weltweit. Oder auch das Phänomen, dass sich eine säkulare, gottferne Gesellschaft, die die Frage der Religion schon für erledigt hielt, plötzlich über die Ausbreitung islamischer Kultur in ihrer Mitte ganz neu mit Glauben auseinandersetzen muss. Dem müden Christentum wäre es vermutlich nicht mehr gelungen, diese Grundfrage unserer Existenz so vehement in die öffentliche Debatte zu bringen.

DIE WELT: Weitere Fragen, die noch auf der Strecke blieben?

Seewald: Ungefähr eintausend.

DIE WELT: Gab es Fragen, die er nicht beantworten wollte?

Seewald: Nein. Ich habe eine Konzeption vorgelegt, aber weder wurden die Fragen abgestimmt noch wurde auch nur eine einzige dieser Fragen zurückgewiesen. Tabuthemen gibt es für ihn nicht. Er hat das gesprochene Wort dann so stehen lassen und für die Autorisierung des Textes nur kleinere sachliche Präzisierungen vorgenommen.

DIE WELT: Welche Antwort hat Sie am meisten überrascht?

Seewald: Da gibt es viele. Von früher kenne ich ihn ja schon als sehr genauen, aber auch besonders originellen Beobachter, bestens informiert und stets auf der Höhe der Zeit. Dazu verfügt er über eine einzigartige Bildung und die Kraft, komplizierte Dinge einfach und begreifbar formulieren zu können. Erwarten konnte ich in seinen Antworten also eine Vielzahl von Nuancierungen, die man so noch nicht kannte. Etwa in seiner Interpretation des Papsttums, in der Ökumene oder in Fragen der Sexualmoral, oder auch im Bereich der Aids-Prävention. Überrascht hat mich seine Haltung in den Fragen des Dialogs mit der islamischen Welt.

DIE WELT: Wieso?

Seewald: Er integriert. Von ihm kann man lernen, nicht zu eng und zu ängstlich zu denken. Er sieht die Dinge gewissermaßen immer aus dem Blickwinkel Gottes, den er als Gott der Liebe kennt, der niemanden ausgrenzt. Wirklich erschüttert hat mich, von ihm zu hören, wie ernst er die Lage der Menschheit in unserer Epoche einschätzt. Das betrifft unsere ökologische, unsere wirtschaftlich-gesellschaftliche und insbesondere auch unsere geistliche Situation. Er fragt mit uns: Was haben wir aus diesem Traum von einem Planeten gemacht? Und was aus uns selbst? Seine Botschaft ist ein Appell an Kirche und Welt, an jeden Einzelnen: Zeit für den Wechsel! Zeit für Umkehr! „Es gibt so viele Probleme“, sagt er, „die alle gelöst werden müssen, die aber alle nicht gelöst werden, wenn nicht im Zentrum Gott steht und neu sichtbar wird in der Welt.“

DIE WELT: In letzter Zeit wirkte er oft abgekämpft. Auch vor Ihnen?

Seewald: Mit gut 83 Jahren die katholische Kirche mit 1,2 Milliarden Mitgliedern zu führen, ist kein Pappenstil. Unbegreiflich, wie er dieses Pensum bewältigt. So gesehen ist es nur natürlich, wenn er immer wieder auch müde und angeschlagen wirkt. Die Sorge um seine Kirche, aber auch die oft so mangelhafte Unterstützung durch seine Kirche und die Zähigkeit des Apparates tun vermutlich ein Übriges, dass manchmal die Schultern etwas herunterhängen. Aber er kann sich auch unglaublich schnell regenerieren. Von heute auf morgen. Ich kenne sonst keine Menschen, die so leistungsstark, so fit und wach und auch so jung und modern sind wie dieser alte Mann auf dem Stuhl Petri.

DIE WELT: Gab es Stellen in Ihrem Gespräch, wo er gelacht hat.

Seewald: Natürlich. Er hat einen sehr hintergründigen Humor, man kann gut mit ihm lachen. An dem öffentlichen Bild, er sei ein verknöcherter Typ, eine Art Bitterholz, ein Aktenfresser, ist nichts dran. Er ist eine Seele von Mensch. Ich habe erlebt, wie er im Auto laut ein Lied aus dem Radio mitsang. Wir haben auch immer wieder Persönliches besprochen. Man will ja auch wissen, wie sich ein Papst fühlt, wie er seine Freizeit verbringt und ähnliches.

DIE WELT: Wie würden Sie – von seiner Kleidung abgesehen – am ehesten den Unterschied zwischen Joseph Ratzinger und Benedikt XVI. beschreiben?

Seewald: Wie gesagt, er ist zunächst ganz einfach älter geworden. Aber wenn man ihm gegenübersitzt, spürt man sehr schnell, dass er sich in seinem Wesen, in seiner Art, in seiner Liebenswürdigkeit nicht verändert hat. Insgesamt, denke ich, kommen in diesem Amt seine guten Eigenschaften besser zum Tragen als zuvor. Er ist als Hirte noch feinfühliger, großzügiger und weiser geworden ist.

DIE WELT: Wir erklären Sie das?

Seewald: Vermutlich durch seine noch größere Nähe zu Gott. Er hat das Licht der Welt gesehen und spiegelt dieses Licht. Bei aller Intellektualität ist er ein frommer, einfacher Mensch geblieben.

DIE WELT: Hat er Ihnen auch eine Frage gestellt?

Seewald: Nein. Aber ich hab ihm dafür auch gar keine Zeit gelassen. Ich habe jede Sekunde genutzt.

DIE WELT: Haben Sie zusammen gegessen?

Seewald: Leider nein. Was aber nicht störte. Ich war ja auch froh, wenn ich nach einer Sitzung aufstehen und irgendwo in aller Ruhe eine Zigarette rauchen und ein Bier trinken konnte.

DIE WELT: Gibt es eine Frage, von der Sie sich wundern, dass sie Ihnen nie gestellt wird, wenn Sie nach dem Papst befragt werden?

Seewald: Mich wundert vor allem, dass immer dieselben Fragen kommen. Häufig steckt einfach nur Bequemlichkeit und Unwissenheit dahinter. Du kannst heute als Journalist völlig unvorbereitet jedes Interview zum Thema katholische Kirche bestreiten, wenn du dir drei Begriffe merken kannst: Zölibat, Frauenordination, römischer Zentralismus. Wenn du diesen Kram als Themen aus dem „Reformstau“ verkaufst, darfst du dich schon fortschrittlich fühlen.

DIE WELT: Im nächsten Jahr wird er Deutschland besuchen. Haben Sie auch angesprochen, dass besonders viele Deutsche sich so schwer mit „ihrem“ Papst tun?

Seewald: Das war nicht so sehr das Thema. Doch dem Papst ist diese Problematik besonders nahe. Ihm ist nicht verborgen, dass Deutschland in vielerlei Hinsicht ein gebrochenes Land ist, mit der sprichwörtlichen deutschen „Angst“ und Mutlosigkeit. Hohe Kirchenfunktionäre marschieren im Gleichschritt der antirömischen Blasmusik, auch wenn sie es eigentlich besser wissen müssten und vom Evangelium her den klaren Auftrag haben, gegen den Strom zu schwimmen. – Aber das kann sich auch wieder ändern. Es sind ja nicht gerade die Dümmsten, die an der Kirche längst nicht nur wieder ihre unvergleichliche Liturgie schätzen, sondern auch ihre Widerständigkeit gegen die Deformierungen des Zeitgeistes.

DIE WELT: Teilt der Papst diese Hoffnung?

Seewald: Er ist kein Oberhirt einer deutschen Landeskirche. Global sieht er die katholische Kirche durchaus nicht im Niedergang, im Gegenteil. Sie war noch nie so groß und so verbreitet wie heute.

DIE WELT: Warum provoziert er aber so viele Deutsche, darunter gerade auch viele Katholiken?

Seewald: Weil die Kirche provoziert. Ihre Positionen sind nicht kompatibel mit dem Lifestyle einer Spaßgesellschaft. Ja, das Evangelium selbst ist damit nicht kompatibel. Darüber ist bei vielen verlorengegangen, was Katholizität eigentlich bedeutet. Viele denken, sie könnten sich ihre Kirche irgendwie selbst basteln – und sie dabei, zur Lösung ihrer Probleme, etwas protestantischer machen. Ein Witz. Die evangelische Kirche in Deutschland verliert seit 1950 allerdings konstant mehr Mitglieder als die katholische.

DIE WELT: Sehen Sie das so oder der Papst?

Seewald: Das kann jeder sehen, der genau hinschaut. Jeden Tag erleben wir darüber aufs Neue, dass das Bild dieses Papstes in vielen Medien stark verzeichnet wird. Es gibt hier eine Tendenz, wie man sie früher vom Neuen Deutschland kannte: Der Papst ist der Klassenfeind, und der muss bekämpft werden, mit welchen Mittel auch immer. (lacht) Dieses „neue Deutschland“ kommt er nun besuchen. Da werden sich viele noch über ganz andere Antworten von ihm wundern können.

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