Das Moskauer Patriarchat als Staatsorgan
Russlands Orthodoxie diene neoimperialen Zielen und sei in die aggressive Politik des Kremls integriert, meinen die ukrainischen Kirchen und Religionsgemeinschaften
29.08.2025
Scharfe Kritik an der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) hat der aus 16 Bekenntnissen bestehende “Allukrainische Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften” geübt. Es sei bekannt, “dass die Russische Föderation die Religion, insbesondere die Russisch-Orthodoxe Kirche, in mehreren Ländern als Waffe zur Durchsetzung ihrer neoimperialen Ziele einsetzt”, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der anerkannten Kirchen und Religionen der Ukraine. Und weiter: “Tatsächlich stellt die Führung der Russisch-Orthodoxen Kirche ein russisches Staatsorgan dar, das vollständig in die aggressive Politik des Kremls integriert ist.”
Das sei der Grund, weshalb sich Russlands Präsident Wladimir Putin auf internationaler Bühne für diese Kirche einsetze. Berichten zufolge hatte Putin im Gespräch mit US-Präsident Donald Trump am 15. August in Alaska sowohl Garantien für die Anerkennung der russischen Sprache als auch “Sicherheit” für die Russisch-Orthodoxe Kirche in der Ukraine gefordert. Damit spielte er an auf das am 20. August des Vorjahres verabschiedete „Gesetz über den Schutz der Verfassungsordnung im Tätigkeitsbereich religiöser Organisationen“, das in der “Werchowna Rada”, dem ukrainischen Parlament, mit 265 gegen 29 Stimmen angenommen wurde. Dieses Gesetz verbietet auf dem Gebiet der Ukraine die Tätigkeit “ausländischer religiöser Organisationen, die sich in einem Staat befinden, der anerkanntermaßen eine bewaffnete Aggression gegen die Ukraine begangen hat oder begeht und/oder vorübergehend einen Teil des Territoriums der Ukraine besetzt hat, und die direkt oder indirekt die bewaffnete Aggression gegen die Ukraine unterstützen”.
UOK bisher nicht verboten
Gemeint ist damit die ROK, und im Maß ihrer Verbundenheit mit dem Moskauer Patriarchat die von ihr abhängige Ukrainisch-Orthodoxe Kirche (UOK), die noch bei Kriegsbeginn den Zusatz “…des Moskauer Patriarchats” führte, darauf aber seit Mai 2022 verzichtet. Diese Kirche unter Leitung von Metropolit Onufrij Beresowskyj versteht sich selbst als “autonom”, aber nicht als “autokephal”. Sie beansprucht völlige administrative Selbstständigkeit, betrachtet aber die ROK als ihre Mutterkirche. Innerhalb der Ukraine ist die Streitfrage lediglich, wie (un)abhängig die UOK von Moskau heute ist. Die offizielle Beurteilung für den Staat trifft das “Amt für Ethnopolitik und Gewissensfreiheit” (DESS), das zu dem Schluss kam, dass die UOK trotz ihrer Autonomieerklärung weiter ein Teil des Moskauer Patriarchats sei, in dessen Statut sie auch erwähnt wird.
Trotz dieser Einschätzung und des oben zitierten Gesetzes hat Kiew die UOK bisher nicht verboten. Das wäre auch nicht einfach, denn jede einzelne der rund 8 000 Gemeinden, jedes Kloster und jede Bildungseinrichtung ist jeweils eine juristische Person, sodass tausende Verfahren nötig wären. Bisher wurden nur einige Hundert Strafverfahren eingeleitet und einige Dutzend Gerichtsurteile gefällt, gegen orthodoxe Geistliche, denen strafrechtliche Verstöße vorgeworfen werden: wegen Leugnung der russischen Aggression, prorussischer Kriegspropaganda, Rechtfertigung der militärischen Aggression Russlands und Verherrlichung ihrer Teilnehmer sowie Verbreitung von ethnischem und religiösem Hass.
Das Moskauer Patriarchat warf der Ukraine vielfach und nicht erst seit Kriegsbeginn eine Verletzung der Religionsfreiheit mit Blick auf Maßnahmen gegen die UOK vor. Die ROK sah bereits in der von Kiew unterstützten Gründung einer autokephalen, also tatsächlich eigenständigen “Orthodoxen Kirche der Ukraine” (OKU) durch den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios eine Verletzung ihrer kanonischen Rechte. Weil aber das Moskauer Patriarchat die Existenz einer ukrainischen Identität leugnet und Putins Krieg in vielerlei Weise unterstützt, strebt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nach der “spirituellen Unabhängigkeit” seines Landes. Das oben geschilderte Gesetz verhindert nach seiner Ansicht, dass das kirchliche wie das politische Moskau die Orthodoxie in der Ukraine manipuliert und steuert.
Russland verletzt Religionsfreiheit
Anders als in Russland herrscht in der Ukraine ein bunter konfessioneller Pluralismus, wobei der Staat seit seiner Unabhängigkeit 1991 je nach Regierung die eine oder die andere Orthodoxie unterstützte. In der Erklärung des Allukrainischen Rates heißt es dazu: “Seit Beginn ihrer Unabhängigkeit ist die Ukraine weltweit für ihre hohen Standards der Religionsfreiheit bekannt, die auch unter Kriegsrecht gewahrt und respektiert werden.” Das im August 2024 verabschiedete “Gesetz zum Schutz der Verfassungsordnung im Bereich der Tätigkeit religiöser Organisationen” habe den Grund, dass sich die russische Orthodoxie “direkt am Krieg gegen die Ukraine beteiligt, offen zur Zerstörung der ukrainischen Souveränität, Kultur und nationalen Identität bekennt, den Einsatz von Massenvernichtungswaffen segnet und die Tötung ukrainischer Zivilisten sowie die illegale Besetzung ukrainischer Gebiete offen unterstützt”.
Die ukrainischen Kirchen und Religionen erinnern daran, dass der russische Patriarch Kyrill von einem “Heiligen Krieg” sprach und russischen Soldaten, die im Krieg sterben, die “vollständige Vergebung ihrer Sünden” zusagte. Damit billige er die Tötung von Ukrainern, auch von Christen verschiedener Konfessionen. Die Erklärung des Allukrainischen Rates, dem auch die katholische Kirche des lateinischen wie des byzantinischen Ritus angehört, weist mit Recht darauf hin, dass in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine die Aktivitäten der christlichen Konfessionen eingeschränkt oder verboten sind: “Der russische Staat verletzt und missachtet sowohl auf seinem eigenen Territorium als auch in den besetzten ukrainischen Gebieten systematisch alle Grundprinzipien der Religionsfreiheit.”
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