Kardinal Tagle

Kardinal Tagle: Folgt der “asiatische Franziskus” auf das Original? Seit dem Tod Franziskus‘ mutierte der liebenswürdige Philippiner in manchen Kreisen zum Feindbild Nummer eins. Sein weiches Herz ist seine größte Stärke und vielleicht auch seine größte Schwäche

Quelle
Papst Franziskus ernennt Kardinal Tagle zum Sondergesandten für Eucharistischen Kongress in den USA
Kardinal Tagle in den USA: Jesus mit den Müden und Bedürftigen teilen – Vatican News
Kardinal Tagle

05.05.2025

Franziska Harter

Er lächelt viel, spricht sanft, geht auf die Menschen zu und sucht die Nähe der Armen. Längst hat sich Kardinal Luis Antonio Tagle, 67, den Spitznamen “Franziskus Asiens” zugelegt. Seit Papst Franziskus den Philippiner von seinem Bischofssitz in Manila nach Rom geholt hat, hat sich der ehemalige Erzbischof von Manila zu einem der bekanntesten Gesichter der Weltkirche entwickelt. Der verstorbene Heilige Vater machte ihn 2019 zum Präfekten der Missionskongregation und später zum Pro-Präfekten des neuen Super-Dikasteriums für Evangelisierung, das seit der Kurienreform im Geiste Franziskus‘ die Rolle des wichtigsten Dikasteriums übernommen hat.

Dass Tagle dem Papst theologisch und geistlich so nahe steht wie kaum ein anderer, hat ihm den Ruf eines “Papabile” eingebracht. Doch verschiedene Episoden der letzten Jahre ließen Zweifel aufkommen, ob er sich als Nachfolger auf dem Stuhle Petri wirklich eignet. Auch für Franziskus selbst schien er nur zeitweise als präferierter Nachfolger infrage gekommen zu sein. Aufgrund seiner auch inhaltlichen Nähe zu Papst Franziskus mutierte der liebenswürdige Philippiner, befeuert durch die Sozialen Medien, in den letzten Tagen zum Feindbild Nummer eins in US-amerikanischen Kreisen, die sich vom neuen Papst einen klaren Bruch mit den wesentlichen Akzenten des letzten Pontifikats wünschen.

Benedikt XVI. machte ihn 2012 zum Kardinal

Geboren wurde Luis Antonio Tagle 1957 in Manila, als Sohn einer chinesisch-philippinischen Familie. Nach Studien in den USA und Rom wurde er 2001 Bischof in Imus und 2011 zum Erzbischof von Manila ernannt. In der philippinischen Hauptstadt prägte er eine volksnahe Seelsorge, setzte sich für Arme, Migranten und Opfer von Naturkatastrophen ein und wurde durch seine medienwirksamen Predigten schnell zu einer weithin hörbaren Stimme des Gewissens im asiatischen Raum. Benedikt XVI. machte ihn 2012 zum Kardinal. Zusätzlich zu seiner Muttersprache spricht Tagle Englisch und Italienisch fließend, dazu noch Französisch, Chinesisch und Koreanisch.

Tagle promovierte über die Kollegialität der Bischöfe und ist glühender Verfechter einer synodalen Kirche. Er wünscht sich eine Kirche, “die die vielen, vielen Gaben feiert. Es gibt einen Austausch von Gaben, nicht zum persönlichen Vorteil, sondern zum Dienst”. In moraltheologischen Fragen – gerade auch der Familienpastoral – steht er Franziskus nahe, kritisierte aber bei der Familiensynode 2014, dass westliche Medien die Synode auf Sexualmoral reduzierten, während Themen wie Armut, Gewalt und Migration im globalen Süden kaum Beachtung fanden.

Tatsächlich gehört soziale Gerechtigkeit zu Tagles Herzensanliegen. Als Caritas-Präsident zeigte er sich volksnah, umarmte Flüchtlinge, sprach mit Obdachlosen. Umso mehr traf ihn der Eklat im Vatikan: Im November 2022 setzte Papst Franziskus die gesamte Caritas-Spitze ab – auch Tagle. Zwar wurde ihm kein Fehlverhalten vorgeworfen, doch Beobachter kritisierten mangelnde Kontrolle und Führungsschwäche – ein erster Riss im Image des “asiatischen Franziskus”.

Kurz vor dem Konklave gerät der philippinische Kardinal unter Druck

2023 war Tagle wieder als globaler Gesandter des Heiligen Vaters unterwegs: Der Papst entsandte ihn zum Eucharistischen Kongress in der Demokratischen Republik Kongo. Auch beim Synodalen Weltprozess im Vatikan war Tagle sichtbar. Im Sommer 2024 vertrat er Franziskus beim großen Eucharistischen Kongress in den USA – ein weiteres Zeichen, dass er die Gunst des Papstes nicht verloren hatte. Auf dem Kongress in Indianapolis gewann er die Herzen von 70.000 amerikanischen Gläubigen mit einer ebenso liebevollen wie tiefsinnigen Predigt über die Eucharistie. An einem weiteren Wesensmerkmal des Philippiners kann kein Zweifel sein: Kardinal Tagle ist fromm – und eucharistisch.

Kurz vor dem Konklave gerät der philippinische Kardinal erneut unter Druck. Die US-amerikanische Organisation “Bishop Accountability” erhebt schwere Vorwürfe gegen ihn: Während seiner Zeit als Erzbischof von Manila habe Tagle keine ausreichenden Maßnahmen gegen sexuellen Missbrauch getroffen. Noch heute fehlten im Erzbistum offizielle Richtlinien für den Umgang mit solchen Fällen. Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” zitiert dazu: “Sein Schweigen könnte ihn das Papstamt kosten.”

Die Kritik trifft einen, der eher für stille Beharrlichkeit steht als für Durchgriffsmentalität, einen, der Konflikte möglichst meidet und dem es offenbar nicht immer gelang, in Führungsfragen klare Kante zu zeigen. Seine größte Stärke ist sein weiches Herz. Vielleicht ist das auch seine größte Schwäche.

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