In memoriam – Franziskus‘ Kampf gegen Missbrauch

In memoriam – Franziskus‘ Kampf gegen Missbrauch: Gemeinsam für die Würde

Quelle
Apostolische Reise des Heiligen Vaters nach Chile und Peru (15.-22. Januar 2018) | Franziskus
Biblische Exegese – Wikipedia

“Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit”: Größter Verdienst des argentinischen Papstes im Kampf gegen Missbrauch ist sein Beitrag zu einem Kulturwandel im Verständnis davon, was klerikaler Missbrauch und sexualisierte Gewalt bedeuten und was es braucht, um sie zu verhindern. Dabei hat er Fehler genutzt, um zu lernen und für eine Kultur der Würde und des Schutzes geworben

Anne Preckel – Vatikanstadt

Papst Franziskus hat den Kampf gegen Missbrauch und sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche in zwölf Jahren Pontifikat ausgeweitet und verstärkt. Er benannte das Problem bei vielen Gelegenheiten, leitete auf verschiedenen Ebenen Maßnahmen ein, traf Überlebende und warb für Kinderschutz innerhalb und außerhalb der Kirche.

Dabei hat der Papst in seiner Amtszeit selbst viel hinzugelernt – und er hat dieses Lernen nicht versteckt. Paradigmatisch dafür war Papst Franziskus‘ Reise nach Chile im Jahr 2018, die als eine der schwierigsten seines Pontifikates gelten kann. Franziskus hatte einen Bischof verteidigt, der der Vertuschung von Missbrauch beschuldigt wurde und begriff später, dass er die Lage falsch eingeschätzt hatte. In Chile traf er auf eine Kirche in der Krise und den Schmerz von Betroffenen. Er begann, besser hinzusehen und ließ die Fälle untersuchen, entschuldigte sich für seinen Irrtum und leitete eine gründliche Aufarbeitung ein, die Betroffene ebenso einbezog wie kirchliche Verantwortliche.

Lernen

“Was mich betrifft, so bekenne ich – und möchte, dass Ihr es treu weitergebt –, dass ich schwerwiegende Fehler gemacht habe in der Bewertung und Wahrnehmung der Situation, besonders aus Mangel an wahrhaftiger und ausgewogener Information”, schrieb Franziskus 2018 an Chiles Bischöfe, die im Zuge des Missbrauchsskandals gesammelt ihren Rücktritt anboten.

Franziskus, der Starrheit im Geist immer verurteilt hat, war bereit, aus Fehlern zu lernen, angefangen bei den eigenen. Missbrauch lasse alle Glieder der Kirche kranken, hob der Papst in seinem Brief weiter hervor und zitierte aus dem Ersten Korintherbrief (1 Kor, 12), die Kirche habe versagt: “Wir haben die Kleinen vernachlässigt und allein gelassen”, so Franziskus und er bekräftigte, der Schmerz der Opfer und ihrer Familien sei “auch unser Schmerz”.

Zuhören

In seinem Pontifikat hat sich der Papst diesem Schmerz ausgesetzt, er hat ihm zugehört. Mehrfach traf er Missbrauchs-Überlebende, im Vatikan und bei Auslandsreisen, und ließ sich ihre Erfahrungen schildern. Er hörte still und genau zu, immer wieder: den Opfern klerikalen Missbrauchs ebenso wie den Überlebenden sexualisierter Kriegsgewalt oder den Betroffenen des Menschenhandels, der oft mit sexueller Ausbeutung verbunden ist.

Beim Kampf gegen den klerikalen Missbrauch hat der Papst, ausgehend auch von solchen Begegnungen, Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen ergriffen. Dazu zählen große symbolische Gesten, viele päpstliche Wortmeldungen zum Thema sowie strukturelle Neuerungen, die den kirchlichen Kinderschutz verbessert haben, auch unter Einbezug von Wissenschaft und Forschung.

2019 räumte Franziskus als erster Papst öffentlich auch den Missbrauch von erwachsenen Ordensfrauen durch Kleriker ein. Bei diesem schmerzlichen Thema steht die kirchliche Aufarbeitung noch am Anfang. Gleichwohl hat der Vatikan unter Franziskus eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit “geistlichem Missbrauch” befasst, der bei dem Thema oft eine Rolle spielt.

Gesten

Historisch war die Einberufung des ersten kirchlichen Kinderschutzgipfels 2019 im Vatikan, auf dem Kirchenvertreter aus allen Erdteilen Betroffene anhörten und sich mit Fachleuten austauschten. Die Konferenz war ein Weckruf an die Weltkirche, sich mit Missbrauch in den eigenen Reihen auseinanderzusetzen. Sie hat zur Enttabuisierung und Bewusstseinsbildung bei einem Phänomen beigetragen, das zwar kulturübergreifend existiert, aber je nach Weltgegend unterschiedlich bewertet und angegangen wird.

Zum Auftakt der Weltsynode zur Synodalität 2024 im Vatikan ließ Franziskus einen Bußakt durchführen, bei dem die Kirche erstmals öffentlich Gott und die Menschheit um Vergebung wegen des kirchlichen Versagens im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs durch Geistliche bat.

Maßnahmen

Auch hat der Papst Protokolle im Umgang mit kirchlichen Verdachtsfällen geschaffen und verbessert, das Kirchenrecht verschärft und die Rechenschaftspflicht von Bischöfen und Leitern geistlicher Gemeinschaften betont. Sie sollten dabei auch mit staatlichen Behörden zusammenarbeiten. Wer ist eigentlich verantwortlich dafür, wenn Missbrauch nicht gemeldet oder verhindert wird? Diese Frage rückte mit Papst Franziskus stärker in den Fokus. Bischöfe dürfen Missbrauchsfälle nicht verschweigen, sondern müssen sie öffentlich machen und die Täter bestrafen, stellte er 2024 bei einer Reise nach Brüssel nochmals klar.

Parallel regte der Papst Zeit seines Pontifikates Prävention und Ausbildung in den Ortskirchen an und ließ sich darüber informieren, ob es dort Fortschritte gab. Schon früh in seiner Amtszeit begann er, eine “vatikanische Taskforce” gegen Missbrauch aufzubauen (Päpstliche Kinderschutzkommission seit 2014), später kam noch ein Gremium für Kinderrechte hinzu (Komitee für die Belange von Kindern und den katholischen Weltkindertag 2024).

Kulturwandel

Franziskus setzte aber nicht allein auf Gremien, Gesetze oder Protokolle. Er warb für einen tiefen Kultur- und Sinneswandel in Kirche und Gesellschaft, um Missbrauch zu bekämpfen. Diesen Wandel mahnte er bei verschiedenen Gelegenheiten an. In einem Interview mit Rai 1 beklagte er 2023, dass eine Kultur fehle, um gegen den Missbrauch zu arbeiten. Dabei wusste Franziskus zugleich, dass “Kultur” auch Hindernis sein kann – etwa im Fall einer “Kultur des Schweigens” oder eines Klerikalismus, der Macht sucht statt zu dienen und den er oft kritisiert hat.

“Missbrauch steht im Widerspruch zum Evangelium, denn das Evangelium ist Dienst, nicht Missbrauch”, bekräftigte der Papst (im selben TV-Interview, gesendet am 1.11.2023). Eine kirchliche Kultur, in der Missbrauch keinen fruchtbaren Boden findet, ist eine Kultur der Wahrhaftigkeit, in der Hand, Hirn und Herz zusammengehen – ein Dreigestirn, das Franziskus oft beschwor. Diese Wahrhaftigkeit verfolgte er auch mit seinem großen Projekt der Synodalität, das für eine Kirche der Geschwisterlichkeit und Menschenwürde steht.

vatican news – pr, 23. April 2025

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