Sonntagslesung – Der Splitter und der Balken

In der Lebensschule Christi ist kein Platz für Gutmenschentum oder die oberflächliche Haltung “wir haben uns alle lieb”

Der Splitter und der Balken | Die Tagespost
Andrzej Kucinski
Wir sind Doktor!
Unser Sonntag: Das Herz entscheidet – Vatican News
Wenn wir uns in die Schule Christi begeben, werden wir ihm ähnlich sein

01.03.2025

Andrzej Kucinski

Jesus setzt sich mit den Pharisäern auseinander. Sie sind die Hauptadressaten seiner Kritik. Seine provokativen Worte riskieren das Beleidigtsein der anderen Seite. Denn im Zentrum seines Urteils steht ein Begriff, der ursprünglich im Theaterbereich angesiedelt war. Dort wurden „Schauspieler“ wegen Verstellung und „fehlender Ehrlichkeit“ als „Heuchler“ bezeichnet. Als der stets auf das Heil des Menschen bedachte Heiland verwendet Jesus diesen Ausdruck für Menschen, deren Haltungen und Handlungen nur auf die äußere Wirkung abzielen und das Innere vernachlässigen sowie für Menschen mit der Überzeugung, dass es nur auf bestimmte Taten und nicht auf die sie erzeugende moralische Gesinnung ankommt.

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Jesus bedient sich bei seiner Kritik des Stils zeitgenössischer Moralisten (zum Beispiel Wechsel von positiven und negativen Aussagen, rhetorische Fragen, konkrete Beispiele). Dass man zunächst auf die eigenen Fehler bedacht sein soll, bevor man den anderen zurechtweist, wusste zum Beispiel auch der Stoiker Epiktet. Christus verwendet jedoch den Verweis auf Gott als den letzten Maßstab jeglichen Urteilens. Er ist nämlich am Ende dafür verantwortlich, uns mit der gleichen Münze zurückzuzahlen, die wir in Beziehung mit den anderen benutzt haben.

 

Andere zu verurteilen ergibt keinen Sinn 

So klingt es auch heute selbstverständlich, dass man nicht anhand von Äußerlichkeiten urteilen soll. Das ist eine allgemeine Menschenweisheit, die keineswegs die Neuheit der Lehre eines Rabbi von Nazareth ausmacht. Das Sprengpotenzial des Evangeliums liegt tiefer, und zwar zunächst in der impliziten Aussage „es gibt das objektiv Gute“, um das es sich lohnt zu ringen. Sonst ergäbe es überhaupt keinen Sinn, den Splitter mit dem Balken zu vergleichen. Wozu überhaupt jemanden führen, wenn es kein gemeinsames Ziel gibt? Das sagt Jesus gerade nicht. Im Gegenteil: Gerade, weil so viel auf dem Spiel steht, ist es notwendig, gut zu führen und gut geführt zu werden. Das erfordert Arbeit und Studium in der Lebensschule Jesu Christi. Das Gutmenschentum und die oberflächliche Haltung „wir haben uns alle lieb“ scheiden als Synonyme für Modellhaltungen im anbrechenden Gottesreich leider aus. Dafür hätten wir das blutige Kreuzopfer des inkarnierten Logos nicht gebraucht. Und die zweite Unbequemlichkeit des Evangeliums: Ideen haben Konsequenzen. Deshalb: Solange das Hauptquartier menschlichen Selbstseins – sein „Herz“ – nicht heil ist, ist es empfehlenswert, den zufälligen Handlungen kein allzu großes Gewicht beizumessen. Denn Umkehr beginnt ständig mit der Heilung des Herzens beziehungsweise mit der Korrektur von Vernunft und Wille: Dann können sich aus der guten Haltung auch dauerhaft gute Handlungen ergeben.
 

Sirach 27,  4–7 (5–8)
1 Korinther 15,  54–58
Lukas 6,  39–45
Zu den Lesungen des 8. Sonntags im Jahreskreis 2025 (Lesejahr C)

 

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