Maria. Der andere Anfang

Warum sich eine deutsche Philosophin am Beginn 21. Jahrhunderts über das Thema “Maria” wagt, begründet Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz so

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Mit Chagall in Tudeley – Evangelische Emmausgemeinde Eppstein

Warum sich eine deutsche Philosophin am Beginn 21. Jahrhunderts über das Thema “Maria” wagt, begründet Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz so: Zu seinem neunzigsten Geburtstag 1977 malte Marc Chagall ein Marienbild auf eine 2×3 Meter große Leinwand, ekstatisch, in viel Blau und Weiß. Le Monde schrieb, dieses Bild sei ein Gipfel abendländischer Malerei, eine Offenbarung mit den reinsten und sparsamsten Mitteln. Das Gemälde sollte nicht in Privatbesitz verschwinden und auch nicht in einem Museum. “Ich habe es der mutterlosen Christenheit geschenkt”, sagte Chagall.

Die “mutterlose Christenheit” – 1800 Jahre lang hätte niemand diesen Satz verstanden. Weil es mittlerweile leider möglich ist, so zu reden, ist dieses Buch entstanden. Direkte und unkomplizierte Bestellung unter: bestellung(at)klosterladen-heiligenkreuz.at

Rezension: Dr. Stefan Hartmann

Ein besonderes Marienbuch jenseits aller Klischees

Bewertet in Deutschland am 17. November 2017

Eine goldene Rose, so wie sie Päpste Marienbildern oder Statuen in ihnen verbundenen Wallfahrtsorten widmen, ziert das ungewöhnlich komponierte Marienbuch der durch ihre Romano Guardini- und Edith Stein-Forschungen bekannten Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (Jg. 1945).

Auf Rilkes Grabstein an der Hügelkirche in Raron/VS steht das von ihm dafür bestimmte Wort: “Rose, o reiner Widerspruch, Lust, niemandes Schlaf zu sein unter so viel Lidern.” Das Symbol der Liebe steht für die große Frau, die Löwin des Löwen von Juda (Gen 49, 9), die Marc Chagall mit einem blau-weißen Marienbild an seinem neunzigsten Geburtstag 1977 einer “mutterlosen Christenheit” schenken wollte (7). Mit diesem Hinweis beginnt Gerl-Falkovitz ihre Betrachtungen und schöpft aus dem Füllhorn ihrer Bildung und Belesenheit, um dem Marienthema einen überzeitlichen und dennoch zeitnahen gedanklichen Kranz zu flechten. Fragen um Gender und Feminismus, denen die Autorin 2009 (³2016) unter dem Titel “Frau – Männin – Menschin” eine eigene Veröffentlichung widmete, werden elegant umgangen, um das Loblied einer unvergleichlichen Frau zu singen.

Unter “Stern über dem Meer”, eine Übertragung ihres Namens, geht es um Marias symbolische und biblische Gestalt. Kosmische und archetypische Bezüge ihrer Fraulichkeit und Mütterlichkeit werden mit Carl G. Jung und Erich Neumann – darin fast den Deutungen Eugen Drewermanns verwandt – ihrer paradoxen Jungfräulichkeit gegenübergestellt: “Das Mütterliche, Bindende ist durch das Jungfräuliche geklärt; das Jungfräuliche wird durch die Mütterlichkeit vor der Sterilität bewahrt” (30). Allen mythischen Mondgöttinnen steht die Frau “mit dem Mond unter ihren Füßen” (Offb 12, 1) einzigartig gegenüber.

Ohne polemische Absetzungen wird im zweiten Teil im Anschluss an Novalis‘ „tausend Bilder“ die „Verehrung der Unerschöpflichen“ (32) beschrieben. Biblische Nähe und Volksfrömmigkeit können sich ergänzen, wenn die Mutter nie ohne ihren Sohn gesehen wird. Marienverehrung hat ihre Wurzel in der christlichen Anthropologie, die Mariendogmen „sollen nicht nur auf sie hin gelesen werden. Sie sind in einer zweiten, ergreifenden Hinsicht Aussagen über den erlösten Menschen“ (45). Als „immaculata conceptio“ des Dogmas von 1854 (nicht 1860; 44) ist Maria mit Ida Friederike Görres das „unverdorbene Konzept Gottes“ für den Menschen, ihre Aufnahme mit Leib und Seele in den Himmel konkretisiert den christlichen Glauben an die Auferstehung der Toten und nimmt seine Realisierung vorweg. Maria ist dabei aber nicht jenseitige Ferne, „sondern Alltag: der Tag, an dem alles da ist“ (48).
Im längsten dritten Kapitel widmet sich die Autorin unter mariologischem Aspekt einem ihrer Spezialthemen, den geistigen Strömungen der Renaissance, in denen die blühende Lebendigkeit der Mariengestalt neu hervorbricht, auch was die späteren Dogmen der Immaculata und Assumpta angeht. Geschildert wird das auch auf Maria bezogene Schönheitsverlangen des „Quattrocento“, besonders sichtbar geworden etwa im Dom von Florenz, Santa Maria del Fiore. Zu Wort kommen u.a. Christine de Pizan, der hl. Franziskaner Bernhardin von Siena, ausführlich Erasmus von Rotterdam mit einem fiktiven Marienbrief an einen lutherischen Prediger anlässlich einer Wallfahrt nach Maria-Stein bei Basel, der Bibel-Philologe und Humanist Jacques Lefèvre d‘Étaples und als Frau der späteren Renaissance Lucretia Marinella, von der die Wendung stammt: „Marias göttliche Schönheit war ein Geschenk der Natur und des Himmels“ (91).
Das vierte Kapitel widmet sich der Überwindung des Dualismus von Fleisch und Geist, setzt sich mit der Marienkritik Uta Ranke-Heinemanns und dem oft feministischen Konzept einer „anderen Maria“ auseinander. Die Paradoxalität aller Dogmen ist mit Sören Kierkegaard ihr Kennzeichen. Mit Carl Gustav Jung („Antwort auf Hiob“) wird von Gerl-Falkovitz die Modernität des Mariendogmas von 1950 betont: „Statt unerreichbare und blutleere Ausnahme zu sein, ist [Maria] doch vorweggenommen der menschliche Mensch, der eigentliche Trost unserer Halbheiten. Kann denn ein ganzer Mensch durch seine Ganzheit beleidigen? Doch nur dann, wenn er verdrängte Halbheit neu empfinden lässt“ (104).
Das mit vielen geistvollen „Lumina“ durchsetzte ungewöhnliche Marienbuch endet mit einer von Romano Guardini übersetzten Mariensequenz Hildegards von Bingen und mit aus moderner Literatur entnommenen Litanei-Anrufungen der Autorin (112f), die zuvor zitierte Marienpreisungen der äthiopischen Liturgie (18f) zeitgemäß und ergreifend ergänzen. Das Titelwort vom „anderen Anfang“ hat seinen Ursprung in der Philosophie Martin Heideggers. Das Schlusswort der Autorin lautet: „Maria ist ‚der andere Anfang‘, der den zerbrochenen ersten umwandelt. Ihr Sohn hat daraufhin das Zerstörte ‚noch wunderbarer erneuert‘. Das geht über alles Begreifen und ist doch an der Tochter Israels alltäglich-irdisch erfahrbar“ (114). Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz‘ Heiligenkreuzer Buch setzt religionsphilosophisch und theologisch bleibende Maßstäbe für das oft auf subjektivistische oder pejorative Abwege geratende Marienthema.

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Maria. Der andere Anfang

Herausgeber ‏ : ‎ Medien-GmbH Heiligenkreuz (12. September 2016)
Autor: Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz
Sprache ‏ : ‎ Deutsch
Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 114 Seiten
ISBN-10 ‏ : ‎ 3903118133

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