Was Rom ausmacht
Wer sich von einer kreativ ausgelegten Straßenverkehrsordnung im “caput mundi” nicht abschrecken lässt, könnte Gott auf die Spur kommen
Quelle
Sankt Laurentius vor den Mauern – Wikipedia
Susana Tamaro: “Mit dem Glauben verbinde ich maximale Freiheit” | Die Tagespost
Amazon.de : Reinhard Raffalt
Caput Mundi – die Geschichte des alten Rom – pomalo pomalo
08.11.2024
Marc Stegherr
Vergangene Woche war ich mit drei Seelsorgskollegen und sage und schreibe achtzig Ministranten in Rom. Beim Namen dieser Stadt hebt der eine die Augen vor Verzückung gen Himmel, der andere verdreht sie. Rom sei eine unregierbare Zumutung, haben immer wieder römische Bürgermeister geklagt. Vor allem der Straßenverkehr raubt auch stresserprobten Römern den letzten Nerv. Die Straßenverkehrsregeln werden elegant und virtuos ausgelegt. Dabei passieren, wie es heißt, weniger Unfälle als bei uns.
“Ein Leben reicht nicht aus, um Rom zu begreifen”
Der junge Goethe, der diese römische Lebensart schätzte, verbrachte fast zwei Jahre in Rom, ergriffen von den Altertümern und von der Schönheit der Römerinnen. Die Touristen von heute stehen verzückt vor der Pracht der unzähligen Kirchen und Gebäude, bekommen aus Mangel an Zeit aber nur eine Ahnung davon, was Rom eigentlich ausmacht. Von Papst Leo XIII. ist die Bemerkung überliefert, er wäre zwar schon über dreißig Jahre ohne Unterbrechung in Rom, beginne aber jetzt erst zu ahnen, “was Rom eigentlich ist”. Reinhard Raffalt, der den Papst in seinem vielbändigen Werk über Rom zitiert, meint, ein Leben reiche nicht aus, um Rom zu begreifen.
Aber manchmal hat man das Gefühl, daß einem plötzlich eine Ahnung davon geschenkt wird. Inmitten des Trubels der Weltstadt Rom liegt wie eine Oase die Kirche San Lorzeno fuori le mura, wo die Reliquien des heiligen Märtyrers und Archidiakons Laurentius liegen, den der römische Kaiser Valerian bekanntlich auf einem Rost foltern ließ, weil er sich geweigert hatte, den Kirchenschatz herauszugeben – Schatz im materiellen wie im geistlichen Sinne. Den geistlichen verkörperte auch Papst Pius XII., dessen eindrucksvolle Statue direkt neben San Lorenzo steht. Mit ausgebreiteten Armen stand der Papst 1943 in einer riesigen Menschenmenge verängstigter Römer und sprach ihnen nach dem Bombardement Roms Mut und Trost zu. Auch wenn es bis heute bestritten wird: Pius stand in einer Zeit des Ungeists und der Unmenschlichkeit für den Glauben daran, daß sich Gott in Christus den Menschen zuwendet.
Wo wäre Gott zu finden, wenn nicht in Rom?
In Rom, dem Haupt der Welt, dem caput mundi, ist genau das spürbar, im kleinen wie im großen, in den grandiosen und den unscheinbaren Kirchen und, mag es auch weit hergeholt erscheinen, im nur vordergründig anarchischen Straßenverkehr, quasi als Metapher der römischen Lebensart. Ob man am schlichten Altar von San Lorenzo über der Grablege des Heiligen darunter steht, ob in San Giovanni in Laterano, der “Kirche aller Kirchen” des Erdkreises, wo das “Heil des römischen Volkes” (Salus populi Romani), ein vom Evangelisten Lukas gemaltes Marienbild hängt, ob in Santa Maria in Aracoeli, wo das “Santo Bambino”, das Jesuskind in einem kleinen Seitenaltar zu sehen ist – überall zeigt sich die Zuwendung Gottes zu den Menschen.
Die Römer gehen mit dieser Überfülle sehr locker und direkt um. Manchmal etwas zu sehr, wie sich auch im übervollen Straßenverkehr zeigt. Der deutsche Tourist mag darüber den Kopf schütteln. Der römische Vespafahrer sieht die große Linie, nutzt virtuos jede Lücke in der Blechlawine. Im Kirchlichen sieht das Verhältnis ähnlich aus. Der deutsche Nachbar beißt sich an den Details die Zähne aus und übersieht dabei das Wesentliche. Nicht von ungefähr waren wir am ersten Tag in der Papstmesse im Petersdom, zum Abschluß der Weltsynode, deren sehr deutsche Auslegung Bätzing und Co. schon zur neuen Straßenverkehrsordnung der Weltkirche erhoben haben. Rom wird ihr elegant ausweichen.
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