Zeugen aus Stein und Fleisch

Zeugnisse unserer Vorfahren – Frankreich macht es vor: Gerade junge Menschen lassen sich mehr und mehr für Wallfahrten und Klosteraufenthalte begeistern

Quelle
Chartres-Wallfahrt: “Auf dem Weg zu Christus” | Die Tagespost (die-tagespost.de)
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Ich bin dann mal weg: Meine Reise auf dem Jakobsweg
Chartres

18.05.2024

Franziska Harter

Am Pfingstwochenende machen sie sich wieder auf den Weg: 16000 Pilger aus Frankreich, Europa und der Welt. Drei Tage lang wandern sie von Paris zur ehrwürdigen Kathedrale von Chartres auf den uralten Wegen der Jakobspilger. Weder die 105 Kilometer noch unruhige Zeltnächte, rudimentäre Waschanlagen und lateinische Hochämter können die jungen Menschen davon abbringen, das Ganze für ein wunderbares Abenteuer zu halten.

Der Altersdurchschnitt liegt bei 21. Dieses Jahr ist die traditionelle Wallfahrt Opfer ihres eigenen Erfolgs: Nachdem die Teilnehmerzahlen seit Jahren kontinuierlich anstiegen und die Herkunftsländer immer exotischer wurden, sah sich das Anmeldesystem im April geradezu überrannt. Bereits nach wenigen Tagen dann der vorzeitige Anmeldeschluss, da die Organisation an die Grenzen ihrer logistischen Kapazitäten stieß.

Wiedereröffnung von Notre-Dame de Paris in Sicht

Die Chartres-Wallfahrt startet am frühen Samstagmorgen von der “Ersatz-Kathedrale” Saint Sulpice aus, keine zwei Kilometer von Notre-Dame de Paris entfernt. Fünf Jahre ist es nun her seit deren Großbrand am 15. April 2019. Nicht nur die Bilder des brennenden Mittelschiffs gingen um die Welt. Unvergessen bleiben auch die Massen, die das Inferno weinend und betend aus der Nähe beobachteten.

Die Katastrophe ließ die Franzosen zurück wie Waisenkinder am Totenbett ihrer Mutter, gläubig oder nicht. Aus der ganzen Welt gingen Spenden ein und in null Komma nichts waren die vielen Millionen für den mühsamen Wiederaufbau beisammen. Am 8. Dezember wird Erzbischof Laurent Ulrich die erste Messe in seiner wiedererrichteten Kathedrale feiern. Bis Pfingsten 2025 soll anschließend die Zeit der Wiedereröffnung dauern, markiert durch Wallfahrten, geistliche Konzerte und Liturgie.

Sternwallfahrt nach Paris steht unter Patronat großer Heiliger

An symbolischer Rhetorik mangelte es nach dem Brand der Pariser Kathedrale nicht: Die Kirche brennt, das Abendland bricht zusammen. Doch aus der Asche wächst Neues, denn so leicht lassen sich die Franzosen nicht kleinkriegen: Vom 28. Juli bis zum 14. September findet in Vorbereitung auf die Wiedereröffnung von Notre-Dame de Paris eine große Sternwallfahrt von allen Ecken Frankreichs nach Paris statt.

Sieben Wochen, sieben Routen, sieben Heilige: Das Konzept ist einfach, aber genial, geboren in den Köpfen einer kleinen Gruppe von Laien. Die sieben Wallfahrtsrouten starten in sieben historischen Regionen Frankreichs und stehen unter dem Patronat großer Heiliger, wie der heiligen Anna, des Erzengels Michael, Martin von Tours und Johanna von Orleans.

Wiedereröffnung Notre-Dames – ein spiritueller Aufbruch

Teilnehmen kann jeder – für einen Tagesmarsch, mehrere Tage oder die ganzen sieben Wochen. Die Organisatoren richten sich ganz bewusst nicht nur an Gläubige, sondern auch an Urlauber und Neugierige. Die Botschaft ist klar: Die Wiedereröffnung Notre-Dames muss auch ein spiritueller Aufbruch werden.

Wie sehr das christliche Kulturerbe in Form von Bauten und Pilgerwegen die Herzen auch von Nichtgläubigen anrühren kann, stellte zuletzt eine Umfrage der Französischen Bischofskonferenz unter den erwachsenen Neugetauften unter Beweis. Fast jeder Dritte der Befragten gibt an, seine Bekehrung einer Konfrontation mit einem religiösen Bau- oder Kunstwerk zu verdanken. Einer von ihnen erzählt: “Religiöse Gebäude und vor allem Kirchenfenster hatten einen starken Einfluss auf mich und ich habe mich davon immer schon angezogen und überwältigt gefühlt. Verschiedene haben mich auf den Weg in die Kirche gebracht, aber diese Gebäude waren ausschlaggebend.”

Blitzbekehrung vom Atheisten zum überzeugten Katholiken

Manche Berühmtheit verdankt ihren Weg zu Gott einer solchen Begegnung. Der französische Journalist André Frossard beschrieb in seiner Autobiografie “Gott existiert. Ich bin ihm begegnet” seine Blitzbekehrung vom Atheisten zum überzeugten Katholiken während eines zehnminutigen Kirchenbesuchs.

Ein aktuelles Beispiel ist der französische Komiker Gad Elmaleh. Als Sohn gläubiger jüdischer Eltern in Marokko geboren, besucht er als Kind in seiner Heimatstadt eine Kirche und ist dort tief berührt vom Anblick einer weißen Muttergottesstatue. Seitdem hegt er eine große Liebe zur Jungfrau Maria, die ihn schließlich in die Katholische Kirche führt. Der 2022 erschienene Kinofilm “Bleib bei uns” erzählt die Geschichte unter Regie von Gad Elmaleh selbst.

Christliches Erbe weckt Neugier nach Transzendenz

Zurück zu Frankreichs Neugetauften: Etwa ein Drittel der Befragten gab an, durch das christliche Erbe Lust bekommen zu haben, mehr über seine Herkunft und Bedeutung zu erfahren. Ein weiteres Drittel erklärte, sich in religiösen Bauten oder vor religiöser Kunst innerlich zur Transzendenz hin geöffnet zu haben. Der Befund schreit geradezu nach einer Antwort. Und wer könnte sie besser geben als die Christen?

Denn nach den Zeugen aus Stein braucht es eine Gemeinschaft aus Fleisch und Blut und Menschen, die Rede und Antwort stehen, wenn andere nach der Hoffnung fragen, die sie erfüllt. Auch in Deutschland ist der religiöse Durst da, wenn er auch bei Weitem nicht mehrheitlich in der christlichen Spiritualität gestillt wird.

Anziehungspunkt Jakobsweg

Trotzdem: Seit Ende der 80er Jahre bis kurz vor der COVID-Pandemie wuchs die Zahl der Deutschen, die jährlich auf dem Jakobsweg pilgerten, von wenigen Personen auf 25 000. Hape Kerkelings “Ich bin dann mal weg” ist bis heute eines der erfolgreichsten deutschen Sachbücher aller Zeiten.

Nun mag Santiago de Compostela für manche mehr mit buddhistischer Selbstfindung als mit christlicher Bußmentalität zu tun haben. Auch haben eher zweifelhafte Inszenierungen wie “Das große Promi-Pilgern” auf ProSieben nicht unbedingt dazu beigetragen, den Jakobsweg in katholischen Kreisen beliebter zu machen. Trotzdem ist der Befund eindeutig: Das Pilgern zu Fuß und der Jakobsweg im Besonderen üben eine Faszination aus, die auch Fernstehende ergreift.

Wallfahrten sind Gelegenheit zur Neuevangelisierung

Damit bieten auch Wallfahrten eine wunderbare Gelegenheit zur Neuevangelisierung, denn Christen dürfen jede Gelegenheit nutzen, unaufdringlich, aber bestimmt ihre Zeitgenossen mit der Nase aufs Göttliche zu stoßen. Und zwar auch dann, wenn diese vielleicht gar nicht so genau wissen, wonach sie suchen. Ebenso hat Christus es mit der Samariterin am Jakobsbrunnen gemacht, die eigentlich nur Trinkwasser wollte, von Christus aber das lebendige Wasser des Glaubens erhielt.

Wir dürfen unserer christlichen Kultur vertrauen, denn sie spricht für sich selbst. Aber: Damit sie nicht verschwindet, muss man sie pflegen. Und: Es braucht echte Menschen, um sie zu vermitteln, sonst bleiben die Steine auf Dauer doch tot und Santiago de Compostela eine vage sportlich-spirituelle Lifestyle-Erfahrung.

Zeugnisse unserer Vorfahren pflegen

Heiligtümer, Pilgerwege, Gnadenbilder, Volksfrömmigkeit: Dieses “Tagespost”-Forum soll ein Plädoyer dafür sein, diese oft jahrhundertealten Zeugnisse unserer Vorfahren im Glauben nicht zu vernachlässigen, wenn es darum geht, den Schatz des Christentums einer säkularisierten Welt zugänglich zu machen.

An Gelegenheiten mangelt es dazu auch in Deutschland mit seinen 24 500 katholischen Kirchen und Kapellen nicht. Und selbst ein Wegkreuz, Taufbecken oder Gemälde können zum Anlass der Christusbegegnung werden. Noch ein Tipp aus Frankreich: Die Herzen junger Menschen sind für Schönheit ebenso offen wie für den seltenen Luxus der Stille.

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