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Verheddert: Wie der Vatikan mit großem Aufwand sein eigenes Segnungspapier kleinredet

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Die Reaktionen aus Afrika und anderswo auf die Erklärung “Fiducia supplicans“ zur Segnung homosexueller und anderer “irregulärer” Paare haben eine Kaskade nachgeschobener Erläuterungen des verantwortlichen Kardinals Víctor Manuel Fernández ausgelöst. Wird hier jemand die Geister, die er rief, nicht mehr los?

Die Pressemitteilung, die der Vatikan am 4. Januar 2024 zu der Erklärung “Fiducia supplicans” publizierte, enthält einen Wink zur Entstehung dieses weltweit kontrovers diskutierten Textes. “Als der Papst uns aufforderte, ein umfassenderes Verständnis des pastoralen Segens zu entwickeln”, so schreibt der Präfekt des Glaubensdikasteriums, Kardinal Víctor Manuel Fernández, Autor besagter Pressemitteilung wie der zugrundeliegenden Erklärung, “schlug er uns vor, über eine Art des Segnens nachzudenken, die nicht so viele Bedingungen für diese einfache Geste pastoraler Nähe fordert, die vielmehr ein Mittel ist, um die Offenheit für Gott inmitten der unterschiedlichsten Umstände zu fördern.”

Wenn das die päpstliche Vorgabe war, eine Segnung für irregulär genannte Paare – homosexuelle Paare eingeschlossen – zu ermöglichen, “die nicht so viele Bedingungen fordert”, wenn es also um Komplexitätsreduktion in pastoraler Absicht ging (vulgo: Einfühlung in konkrete Lebensumstände), dann ist das Gegenteil erreicht worden: Mehr Komplexität eines einfachen Segnungsverständnisses war nie. Die am 18. Dezember 2023 veröffentlichte Erklärung selbst ist schon voller Kautelen und Auflagen formuliert. Der theologisch unterbestimmte Normentext nimmt durch einen pastoral überbestimmten Anmerkungsapparat kuriose Formen an.

Tatsächlich lässt sich die Pressemitteilung genannte jüngste Erklärung zur Erklärung geradezu als Dokument der Regelungswut lesen, als ein Beipackzettel, der akribisch die Risiken und Nebenfolgen von “Einfachheit” beschreibt. Hier werden die im Urtext von “Fiducia supplicans” genannten Auflagen des “erweiterten Segnungsverständnisses” (Fernández) präzisiert, wohl unter dem Druck einer widerständigen Rezeption von Bischöfen nicht nur in Afrika, gedrängt vielleicht aber auch durch sich mehrende Nachfragen von segnungsbereiten Wohlgesonnenen: “Okay, wir wissen jetzt, wie es nicht gehen soll. Aber wie um Gotteswillen soll es denn gehen?”

Hyperaktive Selbsterklärung

Und hyperaktiv stürzt sich ein Autor, nicht faul, in die Erklärung seiner selbst. Dabei lässt Fernández sein langmütiges Textverständnis durchblicken, wonach, versteht man recht, auch “Fiducia supplicans” unter einen unendlichen Auslegungsvorbehalt zu stellen sei. Es ist demnach angebracht, so die Pressemitteilung, gegebenfalls erst einmal alles beim Alten zu belassen und “sich so viel Zeit wie nötig für die Lektüre und Auslegung der Erklärung zu nehmen”. Man wird gegenüber Handlungserwartungen mithin stets “Augenblick mal, bitte!” sagen dürfen und darauf verweisen können, selbst gerade mitten im hermeneutischen Prozess der Lektüre zu stehen und erst kurz noch alle Zeit der Welt zu benötigen, um Sinn und Bedeutung der Erklärung ausschöpfen zu können.

Hans-Georg Gadamer kann gegen seine überraschende pastorale Vereinnahmung selbst keinen Einwand mehr erheben.

Der im Jahre 2002 verstorbene berühmte Philosoph Hans-Georg Gadamer, auf dessen Hermeneutik sich Fernández in einem ebenfalls am 4. Januar publizierten Interview mit der Zeitung “Die Tagespost” beruft, kann gegen seine überraschende pastoralen Vereinnahmung selbst keinen Einwand mehr erheben. Gadamers voraussetzungsreiche These lautet, dass, je tiefer in einen Text eingedrungen wird, desto höher sich das Wechselspiel von Vor- und Nachverständnis entwickelt. Von dieser seiner These einer aufwärts oszillierenden Spirale des Verstehens lässt sich jedenfalls kaum ableiten, was Fernández als Zeitindex der einfachen Segnung aus seinem Urtext “Fiducia supplicans” laut Pressemitteilung herauslesen möchte: “Es ist eine Angelegenheit von 10 oder 15 Sekunden.” Die neuen alten einfachen Segnungen hätten “vor allem sehr kurz zu sein”. Vor dem geistigen Auge des Rezipienten erscheinen bereits Folgeeerklärungen, in denen steht, welche Messinstrumente als nichtliturgische Sekundenzähler segnungshalber zulässig sind und welche nicht.

Salopp lässt sich im Blick den Segnungstheoretiker Fernández fragen: Wird hier jemand die Geister, die er rief, nicht mehr los? Was verspricht man sich von einer Erklärung, die nur seriell, im Modus stetiger Nachbesserungen zu funktionieren scheint, in einer Serie nachgereichter Interviews, anwendungsbezogener Pressemitteilungen? Gerät so nicht auch der pastorale Ansatz selbst ins Rutschen, “die pastorale Vision des Papstes” (Fernández), wie sie sich zwar schlicht und einfach selbst versteht, jedoch von Dritten, den eigentlich Betroffenen, zu guter Letzt nur als hochkomplizierte, sich nach allen Seiten absichernde Operation der Übergriffigkeit wahrgenommen werden kann?

Anders gesagt: Fernández redet seinen Paarsegen “für Irreguläre” in immer neuen Anläufen derart klein, bis man ihn, den Segen, sich auch schenken zu können glaubt. Schwule Paare müssen sich in “starken Formulierungen” (Fernández) zu verstehen geben lassen, dass die Segnung für sie (“nicht für ihre Verbindung”, Fernández) hinter der Attitüde des Niedrigschwelligen einem pastoralen Häuserheben gleichkommt. Zugleich geht die Besprechung dieser Segnung vom Hundertsten ins Tausendste.

Nur solche Kleidung, Gesten und Worte sind laut ursprünglicher Erklärung erlaubt, welche eine gebührende Trennschärfe zu ehelichen Repräsentationen aufweisen (die Frage, wie sich Grade der Trennschärfe hier näherhin ermitteln lassen, dürfte einer Folgeregelung vorbehalten sein). Klar sei jedenfalls, so ergänzt die Pressemitteilung, dass Segnungen der anvisierten leichten Art “nicht an einem wichtigen Platz im Kirchengebäude oder vor dem Altar stattfinden sollten, denn auch dies würde Verwirrung stiften”. Hoppla, wie wichtig in der Topografie einer Kirche ist welcher Platz? Es stimmt ja immer wieder: Man hat über so vieles noch gar nicht lange genug nachgedacht.

An regelungsbedürftiger Materie scheint bei “Fiducia supplicans” denn auch künftig kein Mangel zu herrschen. Man sieht Fernández vor sich, wie er – sich selbst dafür die Zeit nehmend, die er bereitwillig auch anderen zugesteht – immer tiefer in den eigenen Text eindringt und entsprechend dem jeweils neuesten persönlichen Erkenntnisstand die weltkirchliche Auslegungsgeschichte seiner Erklärung zu steuern versucht. Dabei Einwände soweit tolerierend, als sie, so wird es dann doch qua Autoritätsargument eingeschärft, “mit dem gebührenden Respekt vor einem vom Papst abgezeichneten und approbierten Text” geäußert werden.

Hat man sich so das Prozesse-anstupsen-Wollen des Papstes vorzustellen: als ein beständiges interpretatives Hinterherlaufen seiner eigenen stets nicht so ganz eindeutig gemeinter Worte?

Fassen wir hier die Prozessform von “Roma locuta” in Reinkultur? Geht es Fernández vorderhand gar nicht um Sexualmoral und Segnungen, sondern um ein Exempel lehramtlicher Nudge-Theorie? Hat man sich so das Prozesse-anstupsen-Wollen des Papstes vorzustellen: als ein beständiges interpretatives Hinterherlaufen seiner eigenen stets nicht so ganz eindeutig gemeinter Worte?

Womit die Frage nach der pastoralen Funktionalität des Verfahrens unabweisbar wird. Worauf stützt sich die Annahme, dass ein derart umständlich konditionierter Segen von homosexuellen Paaren als segensreich empfunden wird? Was ist eine Pastoral “der Nähe” (Fernández) wert, deren Preis die wortreiche Einschärfung der Ferne ist, in der homosexuelle Beziehungen zur geltenden kirchlichen Sexualmoral nach wie vor stehen? Nein, der Priester soll “nichts über das Intimleben” der zu segnenden Menschen erfahren wollen, so nah war das mit der Nähe offenbar dann doch nicht gemeint. Und das Paar sollte dann doch besser nach Individuen getrennt gesegnet werden, der Priester möge den Segen über die irregulär verpaarten Menschen schließen “mit dem Kreuzzeichen über einen jeden von ihnen”. Vermutlich hat Fernandez seine Unterscheidung von Paar (wird gesegnet) und Verbindung (wird nicht gesegnet) am Ende selbst nicht mehr eingeleuchtet, so dass er nun auch paarhalber nur Einzelpersonen gesegnet sehen möchte. Sicher ist sicher.

Keine Approbation von “irgendetwas”

“Diese nicht ritualisierte Form der Segnung erhebt in ihrer Einfachheit und Kürze nicht den Anspruch, das zu rechtfertigen, was moralisch nicht vertretbar ist”, bekräftigt die Presseerklärung. “Ganz offensichtlich handelt es sich nicht um eine Eheschließung, aber auch nicht um eine ‘Approbation’ oder Ratifizierung von irgendetwas.” Angeregt werden nun sogar eigene Katechesen in den Ortskirchen, um weitere Auslegungshilfen für “Fiducia supplicans” zu geben, jenem Dokument, das in den Augen seines selbstbewussten Autors offensichtlich eine Zentralstellung lehramtlicher Verkündigung gebührt. Katechesen bieten sich demnach an, um “allen klarzumachen, dass diese Art von Segnungen keine Bestätigung der Lebensführung derjenigen darstellt, die einen solchen Segen erbitten”.

Kann es sein, dass im Eifer der pastoralen Unterscheidungen die Pastoral von “Fiducia supplicans” und ihrer Erklärungserklärungen verloren gegangen ist? Kommt angesichts der Abkanzlung von “irgendetwas”, das diese Dokumente atmen, nicht jede Segnung einer Düpierung gleich? Muss man sich wundern, wenn eine solche “väterliche Geste” (Fernández) bei Betroffenen als paternalistische Herabsetzung empfunden wird?

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