Ein theologischer Paradigmenwechsel

Nach den Bischöfen knöpft sich Franziskus die Theologen vor: Nach der “induktiven Methode” sollen sie anhand der Umstände der einfachen Leute die Zeichen der Zeit unterscheiden

Quelle
Theologie

02.11.2023

Guido Horst

Die “Ergebnisse” der Beratungen der römischen Bischofssynode liegen in Form einer sogenannten Synthese auf dem Tisch. Sie dienen als Steinbruch für weitere Entscheidungsfindungen in Richtung Frauendiakonat und Lockerung des Zölibats weiterentwickeln. Aber am Ende entscheidet der Papst, und in einem 45-Minuten-Interview an Allerheiligen zur besten Sendezeit im Staatsfernsehen RAI machte er wieder einmal deutlich, dass er hier nicht die Zukunft sieht.

Franziskus kündigte an, dass er zur Weltklimakonferenz nach Dubai fahren werde, er sprach über die laufenden Kriege, den Fußball, seine Verlobte und allerlei. Beim Thema Frau in der Kirche wiederholte er aber wieder seine Rede vom petrinischen und marianischen Prinzip (wobei Maria wichtiger sei als Petrus) und bekräftige seine Auffassung, dass die Frau andere Charismen habe als der Mann und der Gedanke an die Frauenweihe ein Rückfall in den “Funktionalismus” wäre. Auch zur Priesterheirat wie in den Ostkirchen sagte der Papst: “Ich glaube nicht, dass das hilft.” Wichtig sei vielmehr, dass die Priester für ihre Leute ein Vater seien. Wenn Franziskus aber nicht hier einen Bedarf für Reformen sieht, was will er dann?

Überraschendes Motu proprio “Ad theologiam promovendam”

Ebenfalls zu Allerheiligen erschien als Motu proprio überraschend ein Apostolisches Schreiben des Papstes mit dem Titel “Ad theologiam promovendam”, mit dem er der beim Vatikan angesiedelten Päpstlichen Akademie für Theologie eine neue Ausrichtung geben will. Nun ist diese 1718 von Clemens XI. errichtete Institution in den letzten Jahren nie sehr auffällig geworden und ihre Stamm-Mitglieder sind der Öffentlichkeit kaum bekannt. Doch der Inhalt des Motu propio ist brisant – von Franziskus unterschrieben, aber die Handschrift des neuen Glaubenspräfekten Kardinal Víctor Manuel Fernández ist unverkennbar.

Nicht die Akademie, sondern die “theologische Reflexion” generell sei “zu einer Wende, einem Paradigmenwechsel, einer mutigen kulturellen Revolution” aufgerufen. Auch die guten Theologen müssten “wie die guten Hirten das Volk und die Straße beriechen und mit ihrer Reflexion Öl und Wein auf die Wunden der Leute gießen”. Die Theologie sei ab jetzt aufgerufen, sich “mit der induktiven Methode“ weiter zu entwickeln, die von den Umständen und konkreten Situationen der Völker ausgehe, um zu einer Unterscheidung der “Zeichen der Zeit” zu gelangen. Nachdem die Hierarchie im synodalen Weltprozesse lernen sollte, ihre Methode zu ändern und auf die Basis zu hören, so sollen die Theologen nun das Gleiche tun. Es zeichnet sich ab, was im abschließenden Schreiben des Papstes nach der Doppelsynode zur Synodalität stehen wird.

Eine synodale Kirche braucht synodale Theologie

Nun kennt man die “induktive Methode” der Theologie, wie sie von Mexiko bis Argentinien und Chile in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Mode war. Die Befreiungstheologie und die Theologie des Volkes waren Ableger dieses Denkens, das das Glaubensgut der Kirche immer wieder neu an den Realitäten der einfachen Leute ausrichten wollte. “Das Wissen des gesunden Menschenverstands der Leute ist tatsächlich der theologische Ort, in dem die vielen Angesichter Gottes wohnen”, schreibt das Duo Franziskus-Fernández.

Auch im Vorfeld der Amazonas-Synode waren Sprüche dieser Art aus Lateinamerika zu hören. Eine synodale Kirche brauche jetzt auch eine synodale Theologie, meint der Papst, eine Theologie des Hinhörens – so als hätte Gott sein erlösendes Wort nicht schon längst in Jesus Christus gesagt.

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