Es war einmal ein Löwe namens Cecile…

Es war einmal ein Löwe namens Cecile… ein Kommentar über den Wert des Menschen

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Europäische Bischöfe verurteilen EU-Entwurf für Recht auf Abtreibung
Gänswein: Menschenwürde am Scheideweg

Von Monsignore Florian Kolfhaus

Rom – Sonntag, 19. Juni 2016

Viel zu schnell vergessen wir, was uns vor kurzem noch bewegt und erschüttert hat. Wir haben uns der Schnelllebigkeit der Medien angepasst und mit der neuen Nachricht kümmern wir uns schon nicht mehr um die alte. Erfahrene Politiker wissen, dass sie im Sturm nur die Segel einziehen müssen – nach ein paar Tagen ist alles vorbei: vielleicht nicht vergeben, aber doch vergessen. Wer erinnert sich denn noch, dass während des vergangenen Sommers die gesamte westliche Welt schockiert war, als sie von der gemeinen Tötung des Löwen Cecil in Simbabwe gehört hatte.

Ein US-amerikanischer Zahnarzt hatte seinen Spaß und seinen Stolz darin gefunden, eines der edelsten Tiere Afrikas zu erschießen. Wie ist es möglich, die Würde eines so wunderbaren, majestätischen Geschöpfes zu zerstören, nur um sich im Wohnzimmer einer selten Trophäe rühmen zu können? Zur gleichen Zeit – und daran scheinen sich noch weniger zu erinnern, da dieser Fall von den meisten Medien fast völlig unbeachtet blieb – kam der Handel von Planned Parenthood mit den Organen von abgetriebenen Kindern ans Licht. Das amerikanische Unternehmen, das mit Millionenbeträgen aus Steuergeldern gefördert wird, hat mit dem gesunden Material im Mutterleib getöteter Föten eine neue, lukrative Einnahmequelle gefunden. Warum – salopp und pietätlos gesagt – Herz und Lunge, Leber und Niere oder anderes hochwertiges Zellmaterial einfach wegschmeißen? Aus dem toten Baby lässt sich ja noch Geld machen.

https://twitter.com/eaglegen54r/status/663224474519494656

Wie kann es sein, dass Hunderttausende die Würde eines einzigen Löwen verteidigen, während die meisten von eben diesen Leuten, die über die Tötung Cecils empört sind, zum Organhandel von unzählbar vielen abgetriebenen Kindern schweigen? Wenn das Leben eines Tieres – und ich will hier keineswegs den engagierten Artenschutz in Frage stellen – mehr Beachtung erfährt als die Sorge um die unantastbare Würde eines Menschen, so sind bald die Menschenrechte aller in Gefahr. Wie ernst ist uns die Verteidigung des menschlichen Lebens, wenn wir allzu schnell vergessen, was uns vor kurzem noch schockiert hat? Was waren denn unsere persönlichen Konsequenzen aus den Abtreibungsskandalen in den USA? Die Mitgliedszahlen in Tierschutzvereinen sind nach den Meldungen über Cecile signifikant gestiegen. Hat die Pro-Life Bewegung ebenso viele neue und engagierte Unterstützer gefunden?

Der Mensch im Mittelpunkt?

Der 100. Katholikentag in Leipzig hat die Würde des Menschen in den Mittelpunkt gestellt. Was bedeutet das eigentlich? Die wohl am meisten zitierte Aussage der Philosophie bezüglich der Menschenwürde findet sich in Immanuel Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten als Ausformulierung der bekannten Grundformel des kategorischen Imperativs: “Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.” Für Kant ist also das Wesentliche der Menschenwürde der “Selbstzweck” beziehungsweise die “Zwecklosigkeit” des Individuums. Das Menschenleben hat keinen Preis, sondern “inneren Wert”. Es ist unbezahlbar, weil es Würde hat, die um keines anderen Zieles willen geopfert, verkauft oder gebraucht werden kann. Wer nur und ausschließlich als Mittel zum Zweck dient, verliert seine Würde. Der Mensch ist daher bei Kant Ziel in sich selbst, ist unersetzbar, hat einen intrinsischen Wert, keinen relativen, gleich dem Preis, der je nach Angebot und Nachfrage schwankt.

Auch der heilige Thomas von Aquin sprach bezüglich der Würde schon von der Unterscheidung zwischen “dignitas” und “utilitas”. Würde bedeutet den Wert eines Wesens um seiner selbst willen, die utilitas, der Nutzen, hingegen meint “Wert” für anderes oder andere. Dass Kant und Thomas aber letztendlich doch nicht das gleiche sagen, wird noch zu sehen sein.

Es gibt keine VIP-Clubs für Menschenrechte

Die Verpflichtung, jeden Menschen gemäß seiner Würde zu achten, ist noch nicht Ursprung oder Begründung eben dieser Würde. Die Menschenrechte oder ihr Schutz in staatlichen Verfassungen sind nicht Grund menschlicher Würde, sondern setzen diese voraus. Wäre dem nicht so, wäre die Würde immer wieder neu verhandelbar, sozusagen ein temporär und lokal zugestandenes Privileg, das einige besitzen könnten, andere jedoch nicht. Dann hätten zum Beispiel Frauen in China andere Menschenrechte als in den USA, und Kinder wären vielleicht weniger wert als Erwachsene. Die Grundlage der Würde ist die Natur des Menschen selbst. Alles andere könnte theoretisch jeder Art von menschenverachtendem Handeln Raum bieten.

An dieser Stelle sei kurz auf die Gefahr der Parzialisierung der Menschenrechte hingewiesen. Immer öfter wird von Frauen- und Kinderrechten oder auch von den Rechten Homosexueller gesprochen, um deren Menschenrechte zu schützen. Das kann richtig sein, wenn klar bleibt, dass weder Männer noch Frauen, weder Hetero- noch Homosexuelle, weder gesunde noch kranke Menschen spezielle, nur ihrer Gruppe eigene Menschenrechte haben. Frauen, Kinder, Homosexuelle, Behinderte, alte Menschen haben Rechte, weil sie Menschen sind. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe mag eine besondere Fürsorge verlangen, konstituiert aber keine besonderen Menschenrechte. Es gibt keine very important people mit spezieller Würde und darauf gründenden, unverhandelbaren Rechten. Es gilt sich davor zu hüten, unter Berufung auf die vermeintlichen Menschenrechte einer Gruppe, die anderen zu diskriminieren und zu benachteiligen.

Der Mensch besitzt Würde, weil er das ist, was schon Boethius und Thomas “naturae rationalis individua substantia” nennen, vereinfacht gesagt ein “vernunftbegabtes Individuum”. Diese Worte sind die klassische Definition von “Person”. Der Mensch ist individuell, das heißt einzigartig und unwiederholbar und er ist mit Verstand ausgestattet, der es ihm ermöglicht, sich und die Welt zu erkennen. Was hier gesagt wird ist, ist keine christliche Botschaft, sondern eine Aussage, die auch von Atheisten geteilt werden kann: “Du, Mensch, bist ein einzigartiges und geistiges Wesen, das mehr als messbare Materie ist. Du hast deshalb eine Würde, die Du nicht verlieren kannst, so wie Du Dein Menschsein nicht aufgeben kannst. Eine Würde die Du nicht erst durch andere erhältst, sondern die Dir eigen ist, von Anfang an. Eine Würde, die stets gleich bleibt und kein mehr und weniger kennt, so als würdest Du im Embryonalstadium oder im hohen Alter weniger Würde besitzen als auf dem Höhepunkt deiner körperlichen und geistigen Kraft. So als würdest Du, wenn Du eine Frau bist weniger Würde besitzen als ein Mann. So als würde der Zugehörige eines Landes mehr Würde besitzen als der eines anderen.” Der Mensch hat also eine ontologische, das heißt in seinem Sein gründende Würde. Dieses Sein ist daher Richtschnur des menschlichen, sprich moralischen Lebens.

Du bist wertvoll, weil ich Dich liebe

An diesem Punkt zeigt sich nun eine der Stolperfallen in Kant. Auch für Kant ist die Menschenwürde im vernunftbegabten Wesen begründet, jedoch sozusagen im “aktiven”, ausgelebten Personsein, in dem, was er “bewusstes Subjekt” nennt, im denkenden und freien Menschen, der durch seine Vernunft fähig ist zur Erstellung einer Moral und Selbstgesetzgebung. Wie steht es dann aber mit einem schwer geistig Behinderten oder einem Komatösen beispielsweise. Kant, der die Würde in Vernunft, Freiheit, Moralität begründen will, gelingt es letztendlich nicht eine befriedigende und wirkliche Antwort auf die Frage nach dem Grund der Würde zu geben. Weil der Mensch vernünftig ist, kann er seine Würde erkennen. Grund dieser Würde aber ist die Liebe des Schöpfers – nicht die “Göttin Vernunft”.

Gott im Mittelpunkt!

Gott will jeden Einzelnen. Anderes, nicht menschliches Leben findet den Sinn des Daseins nicht in sich selbst. Der Fokus liegt auf der Erhaltung der Art. Nur der Mensch ist “naturaliter liber et propter seipsum existens” – von Natur aus frei und um seiner selbst willen existierend. Der Mensch ist als freies Wesen gewollt, das nicht – wie die Tiere – durch Instinkte gesteuert wird, sondern kraft der Vernunft erkennt, was der menschlichen Person gemäß ist. Das kann nur frei geschehen, wenn die Würde des Menschen gewahrt werden soll. Selbst Gott “unterwirft” sich gewissermaßen dieser, dem Menschen von Ihm selbst verliehenen Freiheit und Würde, was sich in seiner letzten Dramatik zeigt, wenn Er ihm zugesteht, sich komplett und auf ewig gegen Ihn zu entscheiden. Gott wird auch dann nicht aufhören, den Menschen zu lieben. Er lässt auch den, der sich ewig von ihm trennt und sozusagen die Hölle wählt, nicht ins Nichts fallen. Die singuläre Würde des Menschen ist somit auch unlösbar mit seiner eigenen Verantwortung – vor Gott und vor den anderen – verbunden.

Die Würde in Thomas ist, wie gesehen, verbunden mit dem Personenbegriff und somit mit der “natura rationalis”. So wie der Personenbegriff ist auch jener der Würde nicht “erstbegründet” im Menschen selbst. Zuallererst und im größten, tiefsten Sinne beziehen sie sich auf Gott. Der Mensch ist als Person und in seiner Würde Ebenbild Gottes, der ihn geschaffen hat. Der persönliche Schöpfergott, der umsonst, frei, aus Liebe erschafft ist Ursprung, Urbild und sozusagen auch erster “Verfechter” der Menschenwürde.

Mut zu christlicher Politik

Können wir zulassen, dass versucht wird, dieses Verständnis des Menschen in seiner personalen Würde, sukzessive zu eliminieren? Sind wir uns bewusst, dass eine “gottlose” Ethik sich früher oder später immer gegen die wahre Würde des Menschen wenden wird? Ja, wagen wir es noch von Gott als Garant und Grund unserer Verfassung zu sprechen, weil seine Existenz eine Erkenntnis der aufrichtig suchenden Vernunft sei, oder meinen wir insgeheim, das sei eigentlich eine Glaubensfrage, die man heute nicht mehr in den politischen Diskurs einbringen könne? Kann es sein, dass der Tod eines Löwen mehr Menschen schockiert als die tausendfache Tötung ungeborener Kinder in aller Welt? “Wo Gott nicht den ersten Platz einnimmt, wo er nicht als das höchste Gut anerkannt und angebetet wird, wird die Menschenwürde aufs Spiel gesetzt” (Benedikt XVI.). In der Tat, wo Gott nicht den ersten Platz einnimmt, da rutscht das menschliche Leben sehr schnell auf den letzten. Diese christliche – aber doch auch ohne Offenbarung verständliche – Anschauung wird oftmals als arrogant oder als “nicht mehrheitsfähig” verworfen. Das werden wir uns gefallen lassen müssen – der Mensch ist es wert. Wo Gott im Mittelpunkt steht, da bleibt die Würde des Menschen geschützt.

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