Bildung kommt nicht von Bildschirm

Auf Schloss Trumau wurden die großen Fragen der Bildungspolitik diskutiert

Quelle
Verrücktes Deutschland: Familienrechtliche Zeitenwende
Schlechte Noten für Deutschlands Schulen
Veranstaltungen – Schola Thomas Morus
Consortio_Summer_2008_German.pdf (iti.ac.at)
Trumau – Wikipedia

20.05.2023

Sebastian Moll

Am 6. Mai verfolgte die ganze Welt die Krönung von Charles III. Die ganze Welt? Nein! Ein paar Unbeugsame fanden sich in Trumau zusammen, der “schönsten Stadt Österreichs”, wie der anwesende Bürgermeister Andreas Kollross versicherte. Allerdings war auch dieser nur Gast, denn die Veranstaltung fand nicht im Rathaus, sondern an der Katholischen Hochschule ITI statt, die zu einem zweitägigen “Internationalen Bildungsgipfel” geladen hatte.

Bei innerem Erkenntnisgewinn helfen

Die europäischen Adelshäuser waren hier zwar nicht vertreten, doch ließ die Rednerliste an Prominenz keinerlei Wünsche offen. Hier ist in vorderster Reihe Kardinal Christoph Schönborn zu nennen, Erzbischof von Wien und Großkanzler der Hochschule. Als hätte er sich mit King Charles abgesprochen, der an diesem Tag verkünden würde, er sei nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen, betonte auch der Kardinal unter Berufung auf die großen Kirchenlehrer, dass ein Lehrer in erster Linie der Diener, nicht der Meister seiner Schüler sei. So, wie der Arzt die Gesundheit im Patienten nicht erzeugen, sondern nur dessen Selbstheilungskräfte aktivieren könne, könne auch der Lehrer keine Erkenntnisse in seine Schüler eintrichtern, sondern lediglich beim inneren Erkenntnisgewinn assistieren.

Aus dem großen Schatz jüdischer Tradition schöpfte der Dekan der Hochschule, Bernhard Dolna. Dem geflügelten Wort “Wissen ist Macht” stehe, so Dolna, das jüdische Bildungsideal diametral entgegen, dessen Ziel gerade nicht der Erwerb von Erfolg und Macht sei, sondern die Heiligung des Lebens, das Wissen um die Gottesebenbildlichkeit des Menschen.

Dass solch idealistischen Bildungsideale heute keineswegs an allen Einrichtungen vertreten werden, darauf wies Edward Hadas von der Universität Oxford hin. Er beschrieb den Lehransatz einer polnischen Business School, die durch ihren alleinigen Fokus auf das Erlernen technischer Fähigkeiten bei weitgehender Missachtung von Fragen nach Wahrheit oder Persönlichkeitsbildung das genaue Gegenteil dessen darstelle, wofür die Katholische Hochschule ITI stehe.

Schönheit liegt nicht nur im Auge des Betrachters

Zwei weitere Vertreter des theologischen Adels gingen in ihren Vorträgen auf grundlegende Fragen unseres Menschenbildes ein. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Trägerin des Joseph-Ratzinger-Preises, machte das heiße Eisen der Geschlechterrollen zu ihrem Thema. Dabei betonte sie allerdings, dass der Begriff “Rolle” in diesem Zusammenhang irreführend sei, da eine Rolle per definitionem zeitlich begrenzt sei, das Geschlecht hingegen eine existenzielle Dimension des Menschen ausmache. Ein weiterer Schwerpunkt ihres Vortrags lag auf der “erotischen Gegenspannung” zwischen den Geschlechtern, womit Gerl-Falkovitz ein kraftvolles Plädoyer gegen die moderne Gleichmacherei der Geschlechter präsentierte. “Wo zwei dasselbe tun, ist einer überflüssig […] Zwei Schlüssel schließen nichts auf, zwei Schlösser schließen nichts zu”, formulierte sie pointiert. Erst durch die Asymmetrie der Geschlechter entstehe jene faszinierende und zugleich herausfordernde Spannung, die erst durch die erotische Anziehung überwunden werde.
Auf den Wert der Symmetrie als Merkmal von Schönheit legte hingegen der Theologe Johannes Hartl großen Wert.

Dies freilich nicht im Widerspruch zu Gerl-Falkovitz, sondern als Argument dafür, dass Schönheit eben nicht nur im Auge des Betrachters liege, sondern durchaus objektiven Kriterien folge. Hartl beschrieb das Bewusstsein von Schönheit als ein Proprium des Menschseins, etwas, das jedem Menschen eigen ist, und zugleich dem Menschen allein. So erleben beispielsweise alle Menschen die Schönheit eines Sonnenuntergangs, während dieses Empfinden Tieren völlig abgeht. Wie schlimm es ist, wenn der Mensch seines eigenen Wesens beraubt wird, illustrierte Hartl anhand einer rührenden Bilderbuchgeschichte von einem Bären, der nach seinem Winterschlaf im Wald plötzlich in einem Fabrikgelände erwacht, das dort während seiner Ruhezeit errichtet wurde. Er möchte sein altes Leben als Bär fortführen, wird jedoch vom Chef des Unternehmens in die Funktion eines Arbeiters gezwungen, an der er letztlich völlig deprimiert zugrunde geht – wobei man den Treppenwitz nicht übersehen sollte, dass der Chef in seinem Büro das Gemälde eines Sonnenuntergangs hängen hat.

Schulen als Spielball von Ideologien

Leider ist in der Bildung nicht alles eitel Sonnenschein. Darauf machte die Historikerin und Publizistin Gudula Walterskirchen aufmerksam. Sie betonte, dass totalitäre Systeme nicht einfach nur Gehorsam gegenüber dem Staatsoberhaupt fordern, wie es etwa absolutistische Monarchien tun, sondern das gesamte Leben des Menschen kontrollieren wollen. Dazu bedienten sich diese Systeme heute, so Walterkirchen, mit Vorliebe der neuen technologischen Möglichkeiten der Überwachung. Damit brachte sie ein kraftvolles Plädoyer gegen eine naive Fortschrittsgläubigkeit vor, die davon ausgehe, dass alles, was technisch möglich ist, auch erstrebenswert sei.

Dieses Plädoyer wurde von der anschließenden Diskussionsrunde, moderiert von der ORF-Journalistin Maria Harmer, tatkräftig aufgegriffen. Eigentlich stand die Diskussion unter dem Titel “Schulen als Spielball von Ideologien: Sind Bildungsideale noch gefragt?”, doch entwickelte sie sich eher zu einer Debatte über die Digitalisierung, was nicht zuletzt dem energischen Auftreten von Gabriele Rapp geschuldet war. Die Aussagen der Expertin für digitale Gesundheit erinnerten dabei ein wenig an die Rhetorik der “Letzten Generation”. Fast wollte es scheinen, als seien die letzten Tage der Menschheit angebrochen, sofern wir nicht endlich uns und unsere Kinder vor den Gefahren der Digitalisierung schützen. Nicht ganz so energisch, aber kaum weniger pessimistisch klangen die Worte von Thomas Kubelik, Lehrer am Stiftsgymnasium Melk und Träger mehrerer Wissenschaftspreise. Er betrachte die Frage der Digitalisierung als eine Frage des Jugendschutzes.

Verstopfungen unseres Bildungssystems

So, wie der Staat die Kinder durch das Rauchverbot vor den Gefahren des Passivrauchens schütze, müsse er auch im Bereich der digitalen Medien vorgehen. Angesichts solcher Vorlagen hatten es die übrigen Teilnehmer – Heidi Burkhart von der Stella International School (Wien) und Andrea Pinz, Schulamtsleiterin der Erzdiözese Wien – nicht leicht, ihre eigenen Erfahrungen vorzutragen. Am besten fasste es wohl Andreas Salcher, Mitbegründer der Sir Karl Popper Schule in Wien, zusammen. Mit Blick auf Versuche, die Digitalisierung zurückzudrehen, meinte er lapidar: “Wenn die Zahnpasta einmal aus der Tube ist, kriegt man sie nur schwer wieder hinein.”

Das alles war wahrlich kein leichter Ausgangspunkt für Peter Kahn von der Universität Manchester, dessen Fachgebiet die digitale Bildung ist. Allerdings war sein Thema gar nicht das Phänomen der Digitalisierung an sich, sondern die Betonung der Gruppe als Ort des Lernens, die durch die zunehmende Individualisierung der Bildung so stark gefährdet ist.

Der Rektor der Hochschule, Christiaan Alting von Geusau, sprach zum Abschluss der Veranstaltung über die Verstopfungen unseres Bildungssystems, derer er drei ausmachte: Intolerante Ideologien, fehlgeleitete Reformen und eine Technologie, die unser Leben nicht erleichtert, sondern beherrscht.
Nach alledem blieb eigentlich nur noch die Frage, wer uns aus der diagnostizierten Bildungskrise retten soll. Ironischerweise hatte ausgerechnet der Eröffnungsredner, Wolfgang Mazal, Professor für Arbeit- und Sozialrecht an der Universität Wien, die einzig richtige Antwort auf diese Frage bereits gegeben: “Wir, als interessierte, diskursfähige und verantwortungsvolle Demokraten.” Adel verpflichtet. Bürgertum aber eben auch.

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