Sie hat den Preis verdient
Sie ist die erste Preisträgerin des neuen „Zayed-Preises für menschliche Geschwisterlichkeit“: Latifa Ibn Ziaten. Eine mutige Mutter aus Marokko
Quelle
Preis für interreligiöses Friedenswerk und UN-Generalsekretär
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Geboren wird sie 1960, in Marokko. Mit 17 geht sie nach Frankreich, ihr Mann arbeitet dort bei der Bahn. Vier Jungen und ein Mädchen zieht sie gross – dann kommt der 11. März 2012. An diesem Tag richtet der Terrorist Mohamed Merah in Toulouse ein Blutbad an, ganz Frankreich steht unter Schock. Zu den Opfern gehört Latifas Sohn Imad, Fallschirmspringer; er wird vor seinem Kasernentor erschossen. Dieser Tag verändert Latifas Leben: Sie gründet einen Verein für Jugend und Frieden. An diesem Donnerstag wird sie dafür ausgezeichnet.
„Das ist wirklich ein Preis, der mich glücklich macht und mir Hoffnung gibt – trotz dieser tiefen Wunde in meinem Herzen“, sagt Latifa Ibn Ziaten im Interview mit uns. „Das wird es mir wirklich leichter machen, diesen jungen Leuten zu helfen. Das ist wirklich ein Preis, der dem Frieden dient und der Geschwisterlichkeit – das ist wirklich wichtig!“
Imad: Der Verein heisst wie ihr getöteter Sohn
Der von ihr gegründete Verein heisst Imad – wie ihr getöteter Sohn. Sie will etwas dafür tun, Hass und Gewalt und Unwissenheit zu überwinden. Das Verständnis unter den Religionen will sie fördern, benachteiligten Jugendlichen helfen. Dazu besucht sie auch das Stadtviertel, in dem Mohamed Merah aufgewachsen ist, der Mörder ihres Sohnes. Ganz Frankreich wird allmählich aufmerksam auf diese muslimische Mutter, die sich der Logik des Terrors entgegenstellt.
Latifa Ibn Ziaten ist froh darüber, dass mit Papst Franziskus und dem ägyptischen Grossscheich al-Tayyeb auch zwei Führungspersönlichkeiten von Christentum und Islam für Dialog eintreten. Der Papst und der Scheich begegneten sich im Februar 2019 in Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten; das war der Zündfunke für den Prozess der Geschwisterlichkeit, der zu Franziskus‘ jüngster Enzyklika „Fratelli tutti“ geführt hat, und nun zum neuen Geschwisterlichkeits-Preis.
„Das ist ausserordentlich, dass sich diese zwei Menschen getroffen haben“
„Wissen Sie – das ist ausserordentlich, dass sich diese zwei Menschen getroffen haben, um eine Erklärung über die Geschwisterlichkeit zu unterzeichnen! Das ist enorm – das ist etwas Historisches! Ich hoffe, wir werden das unseren jungen Menschen und der ganzen Welt weitergeben können.“
„Signifikante Beiträge zum menschlichen Fortschritt und zur Erleichterung friedlichen Zusammenlebens“: Das ist das Ziel des Preises, der mit einer Million US-Dollar dotiert ist. Ihn vergibt ein interreligiöses Komitee, das vor zwei Jahren in Rom gegründet wurde und von den Emiraten koordiniert wird. Die 61-jährige Franko-Marokkanerin freut sich über die Auszeichnung:
Sie trägt Schleier
„Das wird mir sehr helfen, weil ich viele Projekte im Bildungsbereich habe. Sie wissen, dass wir zum Beispiel die Reise von Jugendgruppen nach Israel, Palästina, Marokko oder in europäische Länder organisieren, um einen Austausch in Gang zu bringen. Sie sollen das Zusammenleben lernen, den Respekt vor der Verschiedenheit, den Respekt vor anderen. Das wird mir in meiner Arbeit vieles leichter machen und mir noch weitere Türen öffnen.“
Latifa Ibn Ziaten trifft bei ihrer Friedensarbeit auf manche Hindernisse. Auch deswegen, weil sie einen Schleier trägt – das rührt im laizistischen Frankreich an viele Empfindlichkeiten. Im Sommer 2019 wurde ihre Wohnung überfallen, einer ihrer Söhne von Unbekannten zusammengeschlagen. Trotzdem will sie den Weg des Friedens unter den Religionen weitergehen.
„Um diesen Schmerz in meinem Innern zu bekämpfen…“
„Es ist wichtig, dass man über seinen Glauben spricht, sein Herz öffnet und auf den anderen zugeht. Es geht nicht darum, seinen Glauben einem anderen aufzuzwingen, sondern über Glauben und Frieden zu sprechen. Das ist sehr wichtig, denn Religion hilft. Was hat mir am meisten geholfen, als ich meinen Sohn verloren habe? Das war mein Glaube. Der hat mir geholfen, wieder aufzustehen. Ich habe zu Gott immer wieder gebetet: Hilf mir! Und immer, wenn ich an einem Gebetsort bin, auch wenn das eine Synagoge ist, stecke ich eine Kerze für den Frieden an. Um diesen Schmerz in meinem Innern zu bekämpfen…“
“Religion – das ist Frieden”
Der französische Staat hat die mutige Mutter 2016 in die „Légion d’Honneur“ aufgenommen; sie ist seit Januar sogar „Offizier ehrenhalber“ des Ordens „pour le Mérite“. Ihre Botschaft lautet:
„Religion – das ist Frieden. Sie spricht vom Frieden, vom Zusammenleben, von Toleranz und Liebe. Jede Religion spricht von Liebe, und wir brauchen heute wirklich dringend Liebe.“
vatican news, 4. Februar 2021
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