Wollen wir überhaupt ‘ewig’ leben?

Über die Schwierigkeit, sich ewiges Leben vorzustellen (Von Papst Benedikt XVI.)

Quelle
Vision2000
‘Memento memori’ – Advents-Predigt: Dinge aus der Perspektive des Totenbetts betrachten

Wollen wir überhaupt ewig leben? – Über die Schwierigkeit, sich ewiges Leben vorzustellen (Von Papst Benedikt XVI.)

Wollen wir das eigentlich – ewig leben? Vielleicht wollen viele Menschen den Glauben heute einfach deshalb nicht, weil ihnen das ewige Leben nichts Erstrebenswertes zu sein scheint. Sie wollen gar nicht das ewige Leben, sondern dieses jetzige Leben, und der Glaube an das ewige Leben scheint dafür eher hinderlich zu sein.

Ewig – endlos – weiterzuleben scheint eher Verdammnis als ein Geschenk zu sein. Gewiss, den Tod möchte man so weit hinausschieben wie nur irgend möglich. Aber immerfort und ohne Ende zu leben – das kann doch zuletzt nur langweilig und schliesslich unerträglich sein. (…)

Wahr ist, dass die Abschaffung des Todes oder auch sein praktisch unbegrenztes Hinausschieben die Erde und die Menschheit in einen unmöglichen Zustand versetzen und auch dem einzelnen selber keine Wohltat erweisen würde. Offenbar gibt es da einen Widerspruch in unserer Haltung, der auf eine innere Widersprüchlichkeit unserer Existenz selbst verweist. Einerseits wollen wir nicht sterben, will vor allem auch der andere, der uns gut ist, nicht, dass wir sterben. Aber andererseits möchten wir doch auch nicht endlos so weiterexistieren, und auch die Erde ist dafür nicht geschaffen. Was wollen wir also eigentlich?

Diese Paradoxie unserer eigenen Haltung löst eine tiefere Frage aus: Was ist das eigentlich „Leben“? Und was bedeutet das eigentlich „Ewigkeit“? Es gibt Augenblicke, in denen wir plötzlich spüren: Ja, das wäre es eigentlich – das wahre „Leben“ – so müsste es sein. Daneben ist das, was wir alltäglich „Leben“ nennen, gar nicht wirklich Leben. Augustinus hat in seinem an Proba, eine reiche römische Witwe und Mutter dreier Konsuln, gerichteten grossen Brief über das Gebet einmal gesagt: Eigentlich wollen wir doch nur eines – „das glückliche Leben“, das Leben, das einfach Leben, einfach „Glück“ ist. Um gar nichts anderes beten wir im letzten. Zu nichts anderem sind wir unterwegs – nur um das eine geht es.

Aber Augustinus sagt dann auch: Genau besehen wissen wir gar nicht, wonach wir uns eigentlich sehnen, was wir eigentlich möchten. Wir kennen es gar nicht; selbst solche Augenblicke, in denen wir es zu berühren meinen, erreichen es nicht wirklich. „Wir wissen nicht, was wir bitten sollen,“ wiederholt er ein Wort des heiligen Paulus (Röm 8, 26). Wir wissen nur: Das ist es nicht. (…) Wir wissen nicht, was wir wirklich möchten; wir kennen dieses „eigentliche Leben“ nicht; und dennoch wissen wir, dass es etwas geben muss, das wir nicht kennen und auf das hin es uns drängt.

Ich denke, dass Augustinus da sehr genau und immer noch gültig die wesentliche Situation des Menschen beschreibt, von der her all seine Widersprüche und seine Hoffnungen kommen. Wir möchten irgendwie das Leben selbst, das eigentliche, das dann auch nicht vom Tod berührt wird; aber zugleich kennen wir das nicht, wonach es uns drängt. Wir können nicht aufhören, uns danach auszustrecken, und wissen doch, dass alles das, was wir erfahren oder realisieren können, dies nicht ist, wonach wir verlangen.

Dies Unbekannte ist die eigentliche „Hoffnung“, die uns treibt, und ihr Unbekanntsein ist zugleich der Grund aller Verzweiflungen wie aller positiven und aller zerstörerischen Anläufe auf die richtige Welt, den richtigen Menschen zu. Das Wort „ewiges Leben“ versucht, diesem unbekannt Bekannten einen Namen zu geben. Es ist notwendigerweise ein irritierendes, ein ungenügendes Wort.

Denn bei „ewig“ denken wir an Endlosigkeit, und die schreckt uns; bei Leben denken wir an das von uns erfahrene Leben, das wir lieben und nicht verlieren möchten, und das uns doch zugleich immer wieder mehr Mühsal als Erfüllung ist, so dass wir es einerseits wünschen und zugleich es doch nicht wollen. Wir können nur versuchen, aus der Zeitlichkeit, in der wir gefangen sind, herauszudenken und zu ahnen, dass Ewigkeit nicht eine immer weitergehende Abfolge von Kalendertagen ist, sondern etwas wie der erfüllte Augenblick, in dem uns das Ganze umfängt und wir das Ganze umfangen.

Es wäre der Augenblick des Eintauchens in den Ozean der unendlichen Liebe, in dem es keine Zeit, kein Vor- und Nachher mehr gibt. Wir können nur versuchen zu denken, dass dieser Augenblick das Leben im vollen Sinn ist, immer neues Eintauchen in die Weite des Seins, indem wir einfach von der Freude überwältigt werden. So drückt es Jesus bei Johannes aus: „Ich werde euch wiedersehen, und euer Herz wird sich freuen, und eure Freude wird niemand von euch nehmen“ (Joh 16, 22).

Auszüge aus den Abschnitten 10 bis 12 der Enzyklika Spe salvi.

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