Matthäus 5.37 – Das achte Gebot

Matthäus 5.37

Petrus verleugnete Jesus. Abraham hat Sarah zur Lüge angestiftet. Die Unwahrheit zu sagen scheint sehr menschlich zu sein, auch wenn das Ideal ein anderes ist. Doch das achte Gebot zielt auf etwas anderes ab, als eine absolute Pflicht zur Wahrheit

Quelle
Die Zehn Gebote
Lüge
Vatikan – Die Zehn Gebote

Von Till Magnus Steiner, Bonn – 26.05.2019

Schon Wilhelm Busch warnte: “Wer dir sagt, er hätte noch nie gelogen, dem traue nicht, mein Sohn!” Lügen ist menschlich – und doch ist das christliche Ideal ein anderes: “Legt … die Lüge ab und redet die Wahrheit, jeder mit seinem Nächsten; denn wir sind als Glieder miteinander verbunden.” (Epheser 4,25). Zumindest in den christlichen Gemeinden soll die Wahrheit in den zwischenmenschlichen Beziehungen herrschen. Doch ist ein Mensch, der unabhängig von der ihn gegenüberstehenden Person und deren Lebenssituation immer nur die Wahrheit sagt nicht ein Zyniker?

Selbst Petrus log. Die Evangelien bezeugen einhellig, dass er dreimal jedwede Beziehung zu Jesus Christus leugnete, als dieser festgenommen wurde. Und der Erzvater Abraham stiftete seine Frau Sarah zum Lügen an. Als sie aufgrund einer Hungersnot nach Ägypten fliehen, fordert er sie auf, sich als seine Schwester auszugeben: “Wenn dich die Ägypter sehen, werden sie sagen: Das ist seine Frau! Und sie werden mich töten, dich aber am Leben lassen. Sag doch, du seist meine Schwester, damit es mir deinetwegen gut geht und ich um deinetwillen am Leben bleibe.” (Genesis 12,12). Spätestens in der eigenen Not neigt ein Mensch dazu, zu lügen. Wie so oft stehen biblische Erzählungen und biblische Gebote wie Ideal und Wirklichkeit einander gegenüber. Aber aus biblischer Perspektive ist eine Lüge nicht nur ein Gegensatz zur Wahrheit, sondern zu ihrer Definition gehört auch der Blick auf ihre Folgen.

Keine Pflicht zur Wahrheit

In den Zehn Geboten wird keine absolute Pflicht zur Wahrheit formuliert. Das achte Gebot verbietet nicht mal jede Art der Lüge. Sondern im Fokus steht die das Recht eines anderen und damit die Gemeinschaft schädigende Falschaussage vor Gericht. “Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen”, heisst es in Exodus 20,16. In diesem Gebot geht es nicht nur um Wahrheit und Lüge vor Gericht, wie ein Blick auf den hebräischen Text verdeutlicht – wörtlich übersetzt steht dort: “Nicht sollst Du sprechen gegen deinen Nächsten als Zeuge der Lüge.” Diese Formulierung setzt nicht das Lügenzeugnis, sondern die persönliche Beziehung in den Mittelpunkt, die durch die Falschaussage zerstört wird. Man soll nicht zum lügenden Ankläger werden.

Einen ausformulierten Rechtssatz, der das achte Gebot entfaltet, findet man im Buch Deuteronomium: “Wenn jemand vor Gericht geht und als Zeuge einen andern zu Unrecht der Anstiftung zum Aufruhr bezichtigt, wenn die beiden Parteien mit ihrem Rechtsstreit vor den HERRN hintreten, vor die Priester und Richter, die dann amtieren, wenn die Richter eine genaue Ermittlung anstellen und sich zeigt: Der Mann ist ein falscher Zeuge, er hat seinen Bruder fälschlich bezichtigt, dann sollt ihr mit ihm so verfahren, wie er mit seinem Bruder verfahren wollte. Du sollst das Böse aus deiner Mitte wegschaffen.” (Deuteronomium 19,16-19).

Jede Gesellschaft braucht ihre Regeln, denn ohne sie läuft alles drunter und drüber. Das “katholische Grundgesetz” bilden die Zehn Gebote.

Im Buch Deuteronomium ist das achte Gebot im letzten Wort abweichen formuliert. In der revidierten Einheitsübersetzung wird es folgendermassen wiedergegeben: “und nicht Falsches gegen deinen Nächsten aussagen.” (Deuteronomium 5,20). Wieder wörtlicher übersetzt steht dort: “Und nicht sollst Du sprechen gegen deinen Nächsten als Zeuge des שָׁוְא (gesprochen: schawe).” Das verwendete hebräische Wort hat ein breites Bedeutungsspektrum und bezeichnet sowohl das Eitle, das Nichtige als auch die Lüge, die Falschheit und den Trug. Es ist umfassender als das in der Fassung des Buches Exodus verwendete Wort שֶׁקֶר (gesprochen: scheker), das die aggressiv gegen den Nächsten gerichtete, gemeinschaftsschädigende Wirkung der Lüge bezeichnet. Zudem wird durch die Wortwahl in der Version des achten Gebots eine direkte Verbindung zum zweiten Gebot gezogen, wie in einer wörtlichen Übersetzung sichtbar wird. Es verbietet nicht nur den Meineid, sondern jede Anrufung des Namens Gottes in Unehrlichkeit, Lüge und Nutzlosigkeit: “Nicht sollst Du den Namen JHWHs, deines Gottes zum Nichtigen / zur Falschheit (שָׁוְא) heben, …” Damit könnte eine bewusste Ausweitung über den gerichtlich-anklagenden Kontext und somit eine Verallgemeinerung des achten Gebots angedeutet sein, wie sie sich in anderen alttestamentlichen Gesetzen zeigt.

So wird im Buch Exodus nicht nur die Lüge vor Gericht verboten, sondern bereits das Verbreiten von Gerüchten: “Du sollst kein leeres Gerücht verbreiten. Biete deine Hand nicht dem, der Unrecht hat, indem du als falscher Zeuge auftrittst!” (Exodus 23,1). Und auch hier, wie im achten Gebot im Buch Deuteronomium wird das Wort שָׁוְא verwendet, um das Gerücht als nichtig und falsch zu bezeichnen. Im Buch Levitikus wird dann das im achten Gebot aus dem Buch Exodus aufgenommen und verallgemeinert. Hier wie dort wird die hebräische Wurzel שָׁקַר (gesprochen: schakar) verwendet, aber nun ist das Verbot böswillig zu lügen nicht mehr auf den Gerichtskontext begrenzt, sondern allgemein auf die zwischenmenschlichen Beziehungen ausgeweitet: “Ihr sollt nicht stehlen, nicht täuschen und einander nicht betrügen.” (Levitikus 19,11).

Doch damals wie heute gehören dem Ideal die mahnenden und bekennenden Worte der Propheten an die Seite gestellt: “Denn unsere Vergehen haften an uns, unser Verschulden kennen wir: Abtrünnigkeit und Verleugnung des HERRN, Abkehr von unserem Gott. Von Gewalttat reden und Aufruhr, mit Worten der Lüge schwanger gehen und sie aus dem Herzen von sich geben. So wird Recht zurückgedrängt, Gerechtigkeit steht in der Ferne. Redlichkeit kommt auf dem Marktplatz zu Fall, Rechtschaffenheit findet nirgendwo Einlass.” (Jesaja 59,12-14). Falschaussagen und Lügen dürfen nicht der Gerechtigkeit und der Rechtschaffenheit entgegenstehen, sondern der Mensch soll zum Wohl seines Nächsten der Wahrheit dienen.

Till Magnus Steiner

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