Vom Zauber des Zölibats
Vom Zauber des Zölibats – Heilig in einer unheiligen Welt: In der Kirche geht es um Liebe, nicht um Lust
Quelle
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Von Paul Badde, 25. September 2019
Der Zölibat ist absurd. Die freiwillig gewählte Ehelosigkeit ist, wie jeder weiss, dem Menschen unmöglich. Gesunde erwachsene Männer, die sich in ihrer Jugend vornehmen, bis zu ihrem Ende enthaltsam keusch und ehelos zu leben, sind im Programm der Evolution nicht vorgesehen. Nach menschlichem Ermessen kann mit ihnen also etwas nicht stimmen. Katholische Priester sind solche Männer. Nur mit dem Missbrauch von Kindern hat ihre Lebensform nichts zu tun. “Statistisch gesehen wird man eher vom Küssen schwanger als vom Zölibat pädophil”, hat Hans-Ludwig Kröber beteuert, nachdem der Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie der Freien Universität Berlin schon vor Wochen darauf hingewiesen hatte, dass die Wahrscheinlichkeit des Kindesmissbrauchs durch katholische Priester 36 Mal geringer sei als bei “normalen” Männern. In der Debatte um den Komplex der aufgedeckten Missbrauchsfälle einer verschwindenden Minderheit von Pädophilen unter Priestern hat der Zölibat also nichts zu suchen. Dass er aber dennoch immer wieder in diesem Zusammenhang problematisiert wird, soll heute einmal Anlass sein, jenem Grund nachzugehen, der ihn eigentlich so ungeheuerlich aufreizend macht.
In einer Stadt wie Frankfurt am Main sind zwar circa 60 Prozent der Männer aus verschiedenen Gründen Singles, doch Ehelosigkeit um Gottes und des Himmels Willen ist etwas ganz, ganz anderes. Das aber und nichts anderes ist der Zölibat. Die römisch-katholische Kirche selbst bekommt ihn dennoch kaum noch erklärt, obwohl sie diese existenzielle Einschränkung für das Priestertum weiterhin verbindlich vorschreibt. Das Kompendium ihres Katechismus widmet ihm nur zwei winzige Absätze. Daran liegt es allerdings nicht, dass die Bindungslosigkeit der Priester faktisch sowieso schon in vielen Fällen längst unterlaufen wird, etwa in der Diözese Linz, wo sich zahllose Priester mit Wissen des Bischofs ganz offen Geliebte halten wie im ausgehenden Mittelalter. Dass ausserdem Theologen wie Hans Küng oder Eugen Drewermann kaum eine Talkshow auslassen, um gegen den Zölibat zu polemisieren, ist so selbstverständlich wie die vielen Verlautbarungen der Initiative “Wir sind Kirche”. Doch auch all die keuschen Priester “sind Kirche”, die den Zölibat frei gewählt haben und bewusst zu leben versuchen, der zwar erst im Mittelalter in der katholischen Kirche verbindlich wurde – und dennoch natürlich auf das Beispiel des Jesus von Nazareth selbst zurückgeht.
Es ist deshalb auch nicht ohne Grund, dass Papsttum und Zölibat fast immer in einem Atemzug genannt werden, wenn die katholische Kirche wieder einmal ins Kreuzfeuer der Kritik gerät. Denn Zölibat und Papsttum weisen beide auf Anfang und Ende der Kirche hin, auf das Alpha und Omega der Christenheit. Der Papst auf den Ursprung, auf Petrus, auf Christus, und der Zölibat auf das Jenseits, das Hochzeitsmahl im Himmlischen Jerusalem: beide weisen auf Gott. Es ist ein Verzicht um der grösseren Liebe willen. Für den Zölibat darf sich (auch wenn er für die Seelsorge frei macht wie keine andere Lebensform) keiner aus anderen Gründen entscheiden. Er lässt sich nur als persönliches Liebesverhältnis leben. Natürlich lässt er sich darum auch nur in einem Leben des Gebets verwirklichen, erst recht heute, in der Hitze der YouPorn-Welt, und als ständige Umkehr zu dem Versprechen des Anfangs. Der Zölibat ist kein soziologisches Experiment. Katholische Priester halten sogar die säkularisierte Welt zeichenhaft für die Ewigkeit offen, wo sie – darauf setzen sie – dem Geliebten begegnen werden, der ihnen nie untreu geworden ist.
Natürlich ist das masslos und ein Ärgernis für eine Welt, die hinter dem Horizont nichts gelten lassen will. Denn wer sich zum Zölibat entschliesst, will heilig werden in einer unheiligen Welt. Junge Männer, die Priester werden wollen, glauben, dass es mehr gibt als das irdische Leben. Sie wollen in den Himmel kommen. Am Beginn des Zölibats steht eine grössere Liebe zu Gott als zu sich selbst. “Liebe will nicht mehr sich selbst — das Versinken in der Trunkenheit des Glücks -, sie will das Gute für den Geliebten: Sie wird Verzicht, sie wird bereit zum Opfer, ja sie will es!”, schrieb Benedikt XVI., der prominenteste Priester unserer Zeit, in seiner ersten Enzyklika, um Friedrich Nietzsche danach mit den Worten zu widersprechen: “Liebe umfasst das Ganze der Existenz in allen ihren Dimensionen, auch in derjenigen der Zeit. Das kann nicht anders sein, weil ihre Verheissung auf das Endgültige zielt: Liebe zielt auf Ewigkeit.” Ist das verwerflich? Haben Gläubige nicht ein Recht auf solche Männer?
Also noch einmal: Der Zölibat ist primär eine Liebesbeziehung. Natürlich können Priester deshalb so untreu werden wie Ehemänner ihren Ehefrauen untreu werden – und vielleicht ist der Fall sogar ähnlich häufig. Natürlich kann deshalb dieser Stand auch genau so misslingen wie eine Ehe. Die Ehe abzuschaffen hat deshalb aber noch keiner im Ernst verlangt. Deshalb wird auch die katholische Kirche sicher am Zölibat festhalten. Denn Priester sind keine Agenten zur Sakramentenversorgung. Ihre Ehelosigkeit – für andere – ist ein existenzielles Pfand für den österlichen Glauben an die Auferstehung von den Toten. Wo es an Berufungen dafür mangelt, mangelt es zuerst an diesem Glauben, den Strukturreformen nicht vermehren können. Der Glaubenskrise der Christen lässt sich mit einem Rabatt oder anderen Tricks nicht beikommen. Wer will denn noch einer Kirche angehören, die nicht das Grosse wagt und nicht sichtbar Grenzen in dem Abenteuer unserer Existenz überschreitet? Die keine Zeugen mehr hat, dass Gott existiert, und darauf nicht nur mit der Seele setzen, sondern auch mit dem Leib – in der festen Hoffnung, dass dieses Leben nicht alles und ihr Geliebter treu ist, der die Einsamkeit um seinetwillen reich entlohnen wird? Katholiken sollten also besser eine Wache aufstellen um den Zölibat, dass er ihnen nicht abhanden kommt. Dass ihre Kirche sich der Welt nicht völlig angleicht. Denn es stimmt ja alles. Der Zölibat ist absurd, unverständlich, menschenunmöglich. Ihm wohnt allerdings eine Evidenz und ein Ernst für das Evangelium inne, der den Medien ebenso fremd ist wie der gesamten säkularisierten Welt. Soll das ein Nachteil sein? Wie das? Denn mehr lässt sich über den Zölibat doch kaum sagen, als das, was Erich Fried einmal über sein Fundament gedichtet hat: “Es ist Unsinn / sagt die Vernunft / Es ist Unglück / sagt die Berechnung / Es ist nichts als Schmerz / sagt die Angst / Es ist aussichtslos / sagt die Einsicht / Es ist lächerlich / sagt der Stolz / Es ist leichtsinnig / sagt die Vorsicht / Es ist unmöglich / sagt die Erfahrung / Es ist was es ist / sagt die Liebe.”
Eine frühere Fassung dieses Essays erschien in der Zeitung “Die Welt” am 06.04.2010.
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