„Die Beichtväter stärken“ UPDATE
„Missionare der Barmherzigkeit“ geben dem Heiligen Jahr in den Ortskirchen ein Gesicht
– Ein Gespräch mit dem Prämonstratenser Julian Backes.
Von Heinrich Wullhorst
Die Tagespost, 7. März 2016
Fatima Weltapostolat
Pater Julian Backes O.Praem. wurde 1985 in Duisburg geboren. Nach dem Abitur absolvierte er ein Propädeutikum in Freiburg im Breisgau und war dort in der Obdachlosenhilfe tätig. Während seines Studiums in Bochum, München, Rom und Jerusalem trat er in die Prämonstratenserabtei Hamborn ein, wo er 2013 zum Priester geweiht wurde. Pater Julian arbeitet zurzeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neues Testament der Ruhr-Universität Bochum, daneben ist er seelsorglich tätig. Zuletzt erschien von ihm im Johannes-Verlag Einsiedeln in zweiter Auflage das Buch „Benedikt XVI., Geistliche Schriftlesungen“.
Papst Franziskus hat Sie zu einem „Missionar der Barmherzigkeit“ ernannt. Wie haben Sie davon erfahren?
Im Oktober habe ich einen Brief vom Päpstlichen Rat zur Förderung der Neuevangelisierung bekommen, der für Aschermittwoch meine Ernennung angekündigt und auch eine Einladung zu den Aussendungsfeiern im Vatikan enthalten hat.
Haben Sie eine Idee, wie Papst Franziskus auf Sie aufmerksam geworden ist?
Das Vorschlagsrecht lag bei den Bischöfen und Ordensoberen. Im Bistum Essen haben die Ordinarien miteinander gesprochen. Anschliessend ist mein Abt auf mich zugekommen.
Was nehmen Sie von der Aussendungsfeier der mehr als tausend Missionare der Barmherzigkeit am Aschermittwoch in Rom mit?
Dass dem Papst die Beichte enorm wichtig ist; dass sie nicht etwas von gestern ist, das wir verschämt neben unserem vermeintlichen Kerngeschäft laufen lassen können, sondern neu in den Mittelpunkt rücken müssen – wenn das, was wir tun, wirklich „Seelsorge“ sein soll.
Was ist der besondere Auftrag, den der Heilige Vater Ihnen und Ihren Mitbrüdern auf den Weg gegeben hat?
Wir haben die Vollmacht erhalten, die Exkommunikation bei den einschlägigsten Delikten unmittelbar aufzuheben; zudem die Sendung, im Heiligen Jahr den Bischöfen bei der Verkündigung Gottes, des Barmherzigen und Gerechten, zur Seite zu stehen. Dem Papst geht es mit dieser Initiative darum, die Beichtväter zu stärken und die Notwendigkeit des Bussakraments für alle Gläubigen in Erinnerung zu rufen.
Woran liegt es, dass das Busssakrament bei vielen Gläubigen nicht mehr auf der Tagesordnung steht, sie es sogar gänzlich aus dem Blick verloren haben?
Das hat viele Gründe. Stichwort „religiöser Analphabetismus“: Es gibt eine Krise des Sündenbewusstseins. Nur wenn ich im Glauben Schuld als Sünde begreife, kann ich mich mit Gott versöhnen lassen. Stichwort „öffentliche Hinrichtungen“: Zu unserem Erfahrungshorizont gehört ein oft unbarmherziger Umgang mit schuldig Gewordenen. Auch von daher sind wir sind es gewohnt, uns im Beruf und in sozialen Medien als tolle Typen darzustellen. Gewissenserforschung und Beichtstuhl rücken da schnell aus dem Blickfeld. Für schwerwiegend halte ich ausserdem, dass viele Priester selbst nicht beichten und deshalb am Ende nicht glaubhaft machen können, dass das Bekenntnis um der Wahrheit willen nötig ist. Beichtzeiten werden gestrichen, obwohl das Ausharren im Beichtstuhl einen starken Zeugnischarakter besitzt. Nicht wenige Pönitenten machen zudem die Erfahrung, dass Sünden klein- oder wegzureden versucht werden, obwohl es – wie es im Hohenlied heisst – die kleinen Füchse sind, die den Weinberg verwüsten.
Sie sollen, so beschreibt es Papst Franziskus, Menschen dabei helfen, „das einst in der Taufe neu geschenkte Leben wieder aufzugreifen“. Wie kann das geschehen?
Wer sich die Gottesfrage stellt und im Glauben beantwortet, ist mit der Taufe noch nicht am Ziel. Wie Schule, Studium, Beruf und Sport ist auch Religion anspruchsvoll. Zu meiner in der Taufe begründeten Beziehung mit Gott gehört, dass ich mit Freude an mir arbeite. Die besten Hilfsmittel sind das Gebet und die Eucharistie, der immer die Busse vorauszugehen hat. Allerdings geht es hier weniger um Leistung, als vielmehr um Leidenschaft. Es gibt mancherorts kleine christliche Gemeinschaften, die zeigen, wie es gelingen kann: das Leben ohne Wenn und Aber mit Gott zu gehen, mit der eigenen Begeisterung hineinzustrahlen ins Säkulare und so in anderen die Neugier zu wecken, selbst nach dem Licht zu suchen.
Wie kann die Kirche Menschen, die den Glauben aus dem Blick verloren haben, ihre Nähe und barmherzige Zuwendung zeigen?
Für denjenigen, der im Glauben neu anfangen möchte, gibt es kein grösseres Zeichen der Nähe als das Busssakrament. Der Beichtstuhl ist der erste Ort der Barmherzigkeit, sagt der Papst. Die Kirche kann nicht mehr und nicht weniger, als das barmherzige Antlitz Gottes sichtbar zu machen – in den Sakramenten, der Verkündigung und in Werken der Nächstenliebe. Dabei jedoch den Gläubigen die Notwendigkeit zur Umkehr zu verschweigen, wäre nicht Ausweis von Nähe oder Barmherzigkeit, sondern von Willkür, Gönnerhaftigkeit und Heuchelei.
Wird es besondere Predigtreihen geben, mit denen Sie den Menschen das Sakrament der Versöhnung wieder näherbringen wollen?
So stelle ich mir das vor. Das Planungsgespräch für unser Bistum fand vor kurzem statt. In der Abtei haben wir bereits ein relativ gutes Beichtangebot unter der Woche, darüber hinaus gibt es spezielle Beichttage. Im Rahmen des Fátima-Weltapostolats werde ich vor Ort eine monatliche Katechesereihe durchführen, die besonders die Barmherzigkeitsbotschaft Unserer Lieben Frau erschliessen soll. Mich erreichen zurzeit viele Anfragen: von geistlichen Gruppen, von Einzelpersonen mit Gesprächsbedarf und auch von anderen Diözesen. Nach Kräften will ich all dem gern nachgehen.
Werden die Missionare der Barmherzigkeit auch an die Ränder der Gesellschaft gehen, wie es der Papst ja fordert?
Unbedingt. Unter Peripherie verstehe ich in erster Linie die aus der Sünde resultierende Entfremdung von Gott, den Mitmenschen und mir selbst. Soziales Engagement ist das Wasserzeichen unseres Glaubens, aber nicht sein Nennwert. Glaubwürdig sind wir meines Erachtens nur dann, wenn wir beides, Gottes- und Nächstenliebe, auf die Reihe kriegen. Am eindrucksvollsten verkörpert sehe ich das in der seligen Mutter Teresa und ihren Schwestern, für die Glauben ohne Helfen genauso falsch ist wie Essen ohne Beten. Religiöse Bildung, Gebet und Sakramente sind nicht nur für den harten Kern da, sondern für alle.
Wie erklären Sie einem jungen Menschen, warum das Busssakrament ein wichtiger Teil des Glaubenslebens ist?
Ich persönlich bin gegen eine Kinder- und Jugendpastoral, die im anbiedernden Modus des Ungebundenen, Uneigentlichen und Ironischen daherkommt. Meine eigene Kindheitserfahrung ist, dass der katholische Glaube etwas Schönes, Echtes und Heiliges ist, nach dem ich mich ausrichten darf; und dass Gott der ist, zu dem ich mich ausstrecken muss – wie die Erwachsenen auch. Das Busssakrament setzt eine persönliche Gottesbeziehung voraus, die vor allem vom Gebet lebt. Insofern sollten zentrale Schritte in Richtung Kinder und Jugendliche die Gebetsschule und die Gewissensbildung sein. Nur dann ist schon in Kinder- und Jugendbeichten klar, dass es nicht darum geht, dem Priester irgendetwas zu erzählen, damit vordergründig alle ihre Ruhe haben, sondern darum, dass ich in der Beichte Gott mein Herz ausschütten darf, um mir von ihm durch den Priester Vergebung zusprechen zu lassen.
Werden nach Ablauf der Jahres der Barmherzigkeit die Bänke vor den Beichtstühlen wieder so gut gefüllt sein wie in den 50er oder 60er Jahren des letzten Jahrhunderts?
Eine quantitative Lesart steht für mich nicht im Vordergrund. Jedes Lamentieren versuche ich mir genauso zu verkneifen wie Schönrederei. Der Leib Christi wird nicht auferbaut, indem ich den Rückgang kirchlicher Substanz mit dem Rückzug in Privatspiritualität beantworte und dann mein Apostolat etwa darin sehe, bei Facebook fromme Sachen zu teilen, sondern er wird auferbaut in Gebets-, Zeugnis- und Werkgemeinschaft. In diesen Bereichen müssen wir eine grundlegend neue Qualität erreichen – auch und gerade dann, wenn sich die konkrete Pfarrei als unfähig erweist, hier als Trägerin aktiv zu werden.
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