Nachfolge mit Humor UPDATE

Es ist schon richtig: Christen gelten nicht gerade als die Weltmeister des Humors

Chesterton

Die Tagespost, 08.02.2013

Von moralischen „Stern“-Stunden bis zum „Dschungelcamp“, von selbst-demolierenden Kirchen-Studien bis zu Talk-Shows, in denen alle einer Meinung sein müssen – keine Frage, wir leben in närrischen Zeiten. Für sachliche Diskurse und Diskretion scheint kein Platz mehr zu sein: 365 Tage Karneval im Jahr. Um in dieser Arena des Irrsinns nicht vollkommen den Verstand zu verlieren, empfiehlt sich ein Rückgriff auf die fünfte christliche Kardinal-Tugend, den Humor. Von Stefan Meetschen

Es ist schon richtig: Christen gelten nicht gerade als die Weltmeister des Humors. Erst machte der goldene Rhetoriker unter den Heiligen, Johannes Chrysostomus, klar, dass Christus nie gelacht habe, weshalb es sich auch nicht für seine Nachfolger schicke, dann warf Friedrich Nietzsche (wahrscheinlich nicht ganz zu Unrecht) den sauertöpfischen Gläubigen eine mangelnde Erlösungs-Aura vor. Schliesslich ging es dem christlichen oder besser dem fehlenden christlichen Humor in Umberto Eco‘s berühmtem Roman “Der Name der Rose“ an den Kragen. Der ebenso blinde wie fiktive Mönchsbibliothekar Jorge von Burgos, ein Benediktiner, versteckt in Eco‘s postmodern ausgeklügelter Handlung das angeblich einzig erhaltene Exemplar des zweiten Teils der “Poetik“ des Aristoteles. Seine Angst: Dieses Werk über die Komödie leiste dem Teufel Vorschub, weil es das Lachen preise. Lachen sei aber Teufelswerk, weil es nicht nur die Furcht, sondern auch die Ehrfurcht vor Gott vertreibe. Glaube, davon ist Pater von Burgos überzeugt, setze beides voraus, ergo bleibt das Werk unter Verschluss.

Da hilft es auch nichts, dass der Held des Romans, der Franziskaner-Detektiv William von Baskerville, eine gänzlich tolerantere, um nicht zu sagen erlöstere Auffassung vertritt, was den Humor betrifft. Bibliothek und Bücher gehen in Flammen auf. Nie wird die Menschheit erfahren, was im zweiten Teil der “Poetik“ stand. Es lässt sich aus den wenigen erhaltenen Reflexionen zum Thema nur ableiten, dass Aristoteles das Lachen als eine Errungenschaft aufgefasst hat, die den Menschen vom Tier unterscheidet und den Menschen sogar den Göttern gleichsetzt. Denn wer lacht, beweist die Fähigkeit zur Distanz, zur Erkenntnis des Unverhältnismässigen aus erhörter Perspektive.

Eigentlich eine schöne Perspektive, die der Wahrheit und der Erkenntnis dient. Fernab einer ernsten, intellektuellen Maske, die Wissen und Gelehrsamkeit nur vorgaukelt, dünkelhaft inszeniert, wie man es von den Zeiten des Aristoteles bis hin zu heutigen Talk-Shows immer wieder erleben kann. Trotz des altbekannten Leitspruchs des Horaz “prodesse et delectare“ (nützen und erfreuen) als Ziel aller wahren Unterhaltungskunst. Wer herzhaft lachen kann und Humor besitzt, beweist jedenfalls auch (und vielleicht gerade) in schweren Zeiten, dass der gegebene persönliche oder gesellschaftliche Ist-Zustand nicht alles ist, nicht das letzte Wort hat, dass auf Pech, Not und Absurdität etwas Besseres folgen kann. Sprich: Wer lacht, gibt ein souveränes Zeugnis für die Hoffnung. Ein Zeichen subversiven Widerspruchs.

Dies wusste offensichtlich schon der hl. Franziskus, der sich nicht zu schade war, als fröhlicher Heiliger in die Kirchengeschichte einzugehen. Radikaler Kleiderwechsel, Gespräche mit Vögeln – kein Problem. Steife Konventionen lagen “Bruder Feuer“ nicht. Ebenso wenig wie dem hl. Philipp Neri, der als der grösste Spassvogel unter den Heiligen gilt. Obwohl es immer wieder auch andere Gestalten gab, die sich nicht zu schade waren, sich zur grösseren Ehre Gottes vor der Welt zum Narren machen zu lassen. Philipp Neri übertrifft sie alle in der Bereitschaft zur Selbstentäusserung durch Clownerie. So schreibt Paul Türks über den “Prophet der Freude“: “In der Kirche tauchte er auf einmal auf, den Mantel links gedreht über der Soutane tragend, sein Birett schief über dem Ohr, und ging ohne Kniebeuge am Tabernakel vorbei. Oder er sass am Kircheneingang und liess sich tatsächlich während der Messe in der Kirche die Haare schneiden, drehte sich dabei eitel um und fragte die Kirchgänger, ob er nicht “fein“ hergerichtet sei. Andere hatten ihn in der Kirche “St. Peter in den Ketten“ herumhüpfen und -laufen sehen wie einen römischen Gassenjungen.”

Zu derart öffentlichen Demütigungen leitete Neri auch immer wieder seine Gefährten und Pönitenten an, deren zurückhaltende Begeisterung man sich vorstellen kann. Doch natürlich wussten sie, dass hinter den Scherzen Philipps ein tieferer Sinn steckte, eine spirituelle Pädagogik: Nimm Dich selbst und die anderen Menschen nicht so wichtig, nur Gott und die Seelen – mit dieser Devise lässt sich Philipp Neris Auftreten und Wirken zusammenfassen. Wobei er trotz seines Charmes und seiner Popularität unter den Bürgern Roms auch Erfahrungen von Verfolgung und Denunziation machen musste.

Neri wurde zum Gerichtshof der Inquisition vorgeladen, weil sich seine Sympathie für die Schriften Savonarolas herumgesprochen hatte. Monatelang wurde er deshalb verhört und observiert. “Aber Philipp sprach nur von einer Sorge, die er hatte: ‘Seine (Gottes) Ehre, die Rettung der Seelen und nichts, was mich angeht.’ Und dabei war sein Werk mit einem Schlag verboten. Die Beichte, das persönlichste, liebste Instrument seiner Seelsorge, war ihm für fünfzehn Tage untersagt. Und der Kardinal selber hatte ihm mit beleidigenden Worten vorgehalten, er gehe neue Wege, habe eine neue Sekte ins Leben gerufen, er sei voll Ehrgeiz und Stolz, mache sich zu einem grossen Mann und unterrichte seine Oberen über nichts. Was sich später zwar als Humbug herausstellte, ist der Ruf aber erst einmal ruiniert, lebt es sich gar nicht mehr so ungeniert. Neri hielt durch, weil er über seinen Humor als verlässliches Selbstkorrektiv verfügte, gepaart mit einer gesunden inneren Balance, einer Psyche des gesunden Relativismus. “Diese Verfolgung ist nicht gegen euch gerichtet“, beruhigte er standfest die Oratoriums-Mitglieder, “sondern gegen mich. Gott will mich demütig und geduldig machen. Ihr sollt wissen, dass die Verfolgung aufhören wird, wenn sie die Frucht gebracht hat, die Gott will.”

Ein Geheimnis des Glaubens und des Humors, das auch einem anderen grossen Patron des geistlichen Witzes nicht fremd war. Johannes Paul II. alias Karol Wojtyla, der als Kardinal von Krakau keine Gelegenheit ausliess, seine “Schutzengel“, wie er die Agenten der Staatssicherheit nannte, zu segnen. Wenn er ins Auto stieg und sie auf der gegenüberliegenden Strassenseite ihn in dunklen Mänteln observieren sah, oder an anderer Stelle. Mutig im Widerstand gegen das diktatorische System, doch stets mit einem Schmunzeln, das auch nicht verschwand, als die kommunistischen Machthaber versuchten, zwischen ihm und dem Primas von Polen, Kardinal Stefan Wyszynski, eine Intrige zu erfinden. Wojtyla liess sich davon nicht irre machen. Blieb ruhig, gelassen, humorvoll. Dass er sich auch später auf der globalen Bühne als Papst für den ein oder anderen schauspielerischen Schabernack nicht zu schade war, ist bekannt.

Johannes Paul II. besass die innere Freiheit, “weit über sich hinaus zu blicken”, wie es sein Pressesprecher Joaquín Navarro-Valls in den “Erinnerungen und Gedanken” formuliert hat. “Seine persönliche Eigenheit zeigte sich vor allem in seiner Beziehung zu Gott. Dadurch wurde seine Spiritualität reizvoll und anziehend. Wenn er litt genauso wie wenn er lachte: er hatte keine spekulative Beziehung zu einer weit entfernten Gottheit. In seinem Tagesablauf war es seine grösste Leidenschaft, sich in die Gegenwart Gottes zu begeben, hatte höchste Priorität und gleichzeitig war es das normalste der Welt. Gott ist kein moralischer Code, sondern eine Person, mit der man persönlich reden und wenn nötig, auch sagen kann: ‘manchmal verstehe ich dich nicht‘.“ Was nicht heissen soll, dass Johannes Paul II. als humorvoller Papst ein Einzeltäter war und ist. Legendär ist der Humor von Papst Johannes XXIII. Gewinnend war das viel zu schnell erloschene Lächeln von Johannes Paul I. Und Benedikt XVI.? Vielleicht wäre es einmal eine philologisch-theologische Diplomarbeit wert, den feinen Humor in den Schriften des deutschen Papstes zu erforschen und wissenschaftlich auszuwerten. Unvergesslich seine Replik beim Papst-Bashing 2009, man habe mit “sprungbereiter Feindseligkeit” auf ihn eingeschlagen. Eine solch fein sezierende Ironie zeugt von Souveränität, Durchblick und Güte, von der sich so mancher selbsternannte liberale Hau-Drauf-Katholik und ZdK-Rabauke eine Scheibe abschneiden könnte. Was nicht heisst, dass man als Katholik in der Öffentlichkeit nicht auch Klartext reden dürfte.

Prälat Wilhem Imkamp tut dies, Matthias Matussek und Manfred Lütz nicht minder; was diesen Dreien dabei helfend zur Seite tritt, ist immer auch der Humor. Der natürlich in der richtigen Dosierung eingesetzt werden sollte. Und nicht bei jedem Thema angemessen ist. Oder doch? Vielleicht ist es kein Zufall, dass die grösste Demonstration für die Familie im 21. Jahrhundert von einer Kabarettistin organisiert wurde. Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass ausgerechnet Humorgenies wie Harald Schmidt und Thomas Gottschalk diejenigen waren, die in den vergangenen Jahren mit kraftvollen katholischen Bekenntnissen die Öffentlichkeit überraschten. Schmidt etwa mit dem Hinweis, dass der Papst nicht “jede Stunde eine Meinungsumfrage in Auftrag geben” könne, was jetzt gerade in Berlin-Mitte angesagt sei. “Dafür haben wir Sigmar Gabriel.” Ausserdem, so Schmidt, sei es bei 1, 8 Milliarden Katholiken weltweit “einigermassen unerheblich, wenn bei uns in Deutschland zwei Homosexuelle die Trauung verschieben, weil sie erst noch protestieren gehen wollen. Das kann Rom nicht weiter beunruhigen.”

Viel spricht dafür, dass im Zeitalter der ironischen Uneigentlichkeit von jedem Gläubigen eine gewisse Clown-Kompetenz bei der Nachfolge Christi verlangt wird. Frei nach G. K. Chesterton: “Gott hat Humor – sonst hätte er nicht den Menschen erschaffen.” Womit ein weiterer Humor-Katholik von Format ins Spiel gebracht wäre, dessen pointierte Bonmots und Paradoxa auch heute noch in der Lage sind, das Irrenhaus einer verlogenen Welt zum Wanken, wenn nicht gar zum Einsturz zu bringen. Was übrigens auch für die Filme des französischen Komikers und bekennenden Katholiken Louis de Funes gilt, der – was viele nicht wissen – hohen Wert darauf legte, wenigstens in kleinen Rollen Geistliche und Nonnen auf die Leinwand zu bringen, sozusagen als ausgleichendes Prinzip zum menschlichen und gesellschaftlichen Nonsense, als Verkörperung einer göttlichen Ordnung, die ebenfalls da ist. Nicht nur der Wahn und der Witz.

Womit die alles entscheidende Frage angetippt ist: Die Frage, ob Jesus, als hundert-prozentiger Mensch, aber eben auch hundert-prozentiger Gott, tatsächlich nicht gelacht hat. Gibt es nicht doch gute Gründe zu vermuten, dass der jüdische Zimmermannssohn aus Nazareth Sinn für Humor besass? Angesichts des jüdischen Weltkulturerbes in Sachen Humor ist es nur schwer vorstellbar, dass ausgerechnet der Wort-versierte Gleichnis-Schöpfer keinen Humor besessen haben soll. “Leichter kommt ein Kamel durchs Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel.” Das Talent für die richtige Pointe ist unverkennbar. Auch an Demut für ulkige Auftritte fehlte es Jesus nicht, wie der Ritt auf dem Esel beweist. Und die Bemerkung an Nathanael “Du glaubst, weil ich dir sagte, dass ich dich unter dem Feigenbaum sah? Du wirst noch Grösseres sehen” streift haarscharf die Grenze des Sarkasmus.

Ohne jedoch gehässig zu sein. Um ein wichtiges Unterscheidungs-Kriterium zum gängigen TV-Humor unserer Tage zu nennen. Eines Humors, der diese Bezeichnung kaum verdient, weil er die Lust am Lachen nicht durch einen geistreichen Gedanken auslöst, sondern aus reiner Schadenfreude, dem spiessigen Gefühl, noch mal davongekommen zu sein, während es einen anderen böse trifft und treffen soll. Derartige Humorismen, welche die Würde des Menschen missachten, lassen sich nicht mit der “Freude der Kinder Gottes” (Erzbischof Johannes Dyba) in Einklang bringen. Mögen sie im Dschungel, in Talk-Shows oder bei Kirchenveranstaltungen stattfinden. Der echte christliche Humor wurzelt im Wissen darum, dass wir alle mehr oder weniger komisch sind. Mit all unseren Schwächen und Begrenzungen. Er schafft also ein Band der Solidarität, oder, wie man in der Heimatstadt des grossen Katholiken und Humoristen Konrad Adenauer zu sagen pflegt: “Jeder Jeck ist anders.“ Nicht nur zu Karneval. Eine tolerantere und lustigere Religion als den Katholizismus wird man auf der Welt schwer finden.

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