Die vier Seherkinder von Heede
„Komm doch mal mit zum Friedhof, da steht die Mutter Gottes!“
Quelle
Ein Deutsches Fatima?
Michael Hesemann Home
Johannes Rüschen, Köln
„Komm doch mal mit zum Friedhof, da steht die Mutter Gottes!“ Mit diesen Worten wendet sich ein Mädchen, 11 Jahre alt, eindringlich bittend, an ihre Tante Gebina Christen. Die Tante ist damals 42 Jahre alt. Barsch weist sie ihre Nichte mit den Worten zurück: „Ich glaube, Du bist wohl von Sinnen, so was gibt es doch nicht!“ Dann setzt sie ihren Heimweg fort. Das Mädchen indes bleibt stehen, ungehalten über ihre Tante geht sie dann zusammen mit ihrer Schwester und drei anderen Mädchen aus dem Dorf wieder zum Friedhof. Während das eine von den fünf Mädchen ängstlich stehenbleibt, gehen die anderen vier zu den ersten Gräbern. Über den Lebensbäumen des Friedhofs sehen sie eine auffallende Helligkeit, dann einen Lichtschein, der sich von oben niederlässt und schliesslich eine Gestalt.
Es ist der Abend des 1. November 1937, am Festtag Allerheiligen. Maria Ganseforth (geboren am 30. Mai 1924) und ihre Schwester Grete (geboren am 12. Januar 1926) aus Heede haben an diesem Abend den Toties-Quoties-Ablass für die Verstorbenen gebetet. In einer Gebetspause stehen sie neben dem Turmaufgang an der Nordseite der Pfarrkirche. Grete schaut auf die Gräber des anliegenden Friedhofs und bemerkt in einiger Entfernung zwischen zwei Lebensbäumen, ungefähr einen Meter über der Erde, einen hellen Lichtschein und kurz darauf eine leuchtende Frauengestalt. Erschrocken flüstert sie ihrer Schwester zu: „Ich glaube, da stand die Mutter Gottes.“ Maria erwidert spontan: „Du bist wohl verrückt, Du kannst doch die Mutter Gottes nicht sehen!“ Daraufhin gehen beide Schwestern wieder in die Kirche, um das Gebet für die armen Seelen fortzusetzen. An diesem Abend sehen auch noch Anni Schulte (geboren am 19. November 1925) und Susanne Bruns (geboren am 16. Februar 1924) aus Heede die seltsame Erscheinung auf dem dortigen Friedhof. Adele Bruns (geboren am 22. Februar 1922), die sich ängstlich zurückhält und dazu rät, nach Hause zu gehen, sieht indessen nichts Außergewöhnliches.
„Ihr seid ja verrückt!“ – Diese Worte werden die Seherkinder von Heede noch oft hören. Das durchaus sensationelle Ereignis von Heede liegt nunmehr über 50 Jahre zurück, aber noch immer bestehen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Aussagen. Sie sind damals zwischen 11 und 14 Jahre alt. Selbst ihre Mütter glauben, ihre Kinder seien einer Sinnestäuschung zum Opfer gefallen. Skeptisch ist auch Johannes Staelberg, der von 1930 bis 1937 Pfarrer von Heede war. Er wird im Jahr der Erscheinung Heede verlassen. Sein Nachfolger ist von 1938 bis 1966 der Pfarrer und Geistliche Rat Rudolf Diekmann.
Noch am Abend der ersten Erscheinung geht Frau Ganseforth zu Pfarrer Staelberg. Der Pfarrer gibt später zu Protokoll: „Am Abend des Allerheiligenfestes 1937 gegen 20 Uhr 15 kam Frau Ganseforth zu mir und meldete, dass ihre Kinder auf dem Friedhof die Mutter Gottes gesehen hätten. Ich ging jedoch nicht darauf ein.“ Frau Ganseforth gibt von dieser Unterredung zu Protokoll: „Pfarrer Staelberg sagte gar nichts. Er stand vor mir mit übereinandergeschlagenen Armen und schaute vor sich hin. Da sagte ich: Das kann doch gar nicht sein, die Mutter Gottes kann doch nicht vom Himmel herunterkommen und sich auf den Friedhof stellen! Der Pfarrer erwiderte hierauf: Das weiß man nicht, das muss sich erweisen.“
Vom ersten bis zum dreizehnten November 1937 sehen Anni Schulte, Grete Ganseforth, Maria Ganseforth und Susanne Bruns die Erscheinung jeden Tag. Sie sehen, wie sie selbst fest und sicher behaupten, die Mutter Gottes. Sie würde etwa einen Meter über der Erde auf einer blauweißen Wolke stehen. Auf dem Haupt trägt sie eine goldene Krone. Ein weißer Schleier fällt vom Kopf zu beiden Seiten bis auf die Wolke. Auf ihrer linken Hand sitzt aufrecht das Jesuskind, ganz in Weiß gekleidet. Es trägt in der rechten Hand eine goldene Kugel, aus der ein goldenes Kreuz ragt. Nach diesen Beschreibungen der Seherkinder wird später die Reliefplastik „Königin des Weltalls“ in Heede gestaltet.
Die Skepsis hält sich beim Dorfpfarrer und bei vielen Dorfbewohnern, selbst bei den nächsten Anverwandten der Kinder. Doch diese geben mit Überzeugung zur Antwort: „Ihr mögt sagen, was Ihr wollt, wir haben die Mutter Gottes gesehen.“ Die Kinder bleiben über Jahre hinweg bei ihrer Behauptung. Mit einigen Unterbrechungen dauern die Visionen an bis zum November 1940. Sie sehen die Mutter Gottes, meist mit dem Jesuskind, an etwa 105 Tagen.
Die Visionen von Heede sprechen sich schnell herum. Schon am 5. November 1937 findet sich auf dem Friedhof eine größere Menschenmenge ein. Zwei Tage später stehen zahllose Autos sowie Motor- und Fahrräder auf der Straße. Mehr als 4.000 Menschen haben sich eingefunden. Der Ort Heede hat damals nur knapp 1.200 Einwohner.
Seit dem 8. November 1937 werden die vier Mädchen mehrfach von Angestellten nationalsozialistischer Behörden verhört. Am 11. November führen der Schulrat des Kreises Aschendorf-Hümmling und der stellvertretende Amtsarzt eine eingehende Untersuchung durch. Der Schulrat Dr. Schmidt erkundigt sich bei dem Lehrpersonal nach den Mädchen und lässt sich deren Aufsatzhefte vorlegen. Er berichtet später: „Keine der Lehrpersonen hatte nach dieser Seite irgendeine Beobachtung gemacht, die Aufsatzhefte boten keinerlei Anhaltspunkte für eine besondere Phantasiebegabung. Äußerlich machten drei der Mädchen einen sehr frischen und gesunden Eindruck. Vor allen Dingen das jüngste. Es war noch nicht ganz 12 Jahre alt, (wirkte) sehr jungenhaft und war noch vollkommen unentwickelt. Dieses Mädchen machte auf mich den Eindruck, dass es lieber im Freien umhertollte und sogar mit den Jungen Fußball spielen würde, als sich still und beschaulich zurückzuziehen.“
Gauleiter Röver indes ist anderer Meinung. Er sieht den Einfluss der NSDAP auf die Bevölkerung gefährdet und erklärt in Leer vor Parteigenossen: „Was wir in vier Jahren mühsam aufbauten, das haben vier Kinder in einem Augenblick zerstört!“ Die Partei sieht in den Vorgängen in Heede eine „Gefahr für die Volksgemeinschaft“. Die Kinder hätten „eine außerordentliche Beunruhigung in die Bevölkerung gebracht, so dass das kleine Dorf in Kürze zu einem Wallfahrtsort wurde, den in den letzten Tagen bis zu 15.000 Menschen aufsuchten, weshalb ein Eingreifen der Polizei dringend notwendig erschien.“ Am 13. November 1937 wird die Ortschaft Heede von einer etwa 80 Mann starken Verfügungstruppe Hermann Görings systematisch abgeriegelt und über sie der Ausnahmezustand verhängt. Verhaftungen von Einheimischen und Zugereisten werden vorgenommen. Fremde dürfen den Ort nicht mehr betreten. Die Seherkinder werden für eine Untersuchung zunächst in das städtische Krankenhaus nach Osnabrück gebracht. Noch am gleichen Tag werden sie jedoch nach Göttingen geschickt, wo man sie in einer Nervenklinik mehrfach auf ihren Geisteszustand hin untersucht. Den nationalsozialistischen Behörden liegt viel daran, die Kinder für geisteskrank erklären zu lassen, um sich somit „das Problem Heede“ vom Hals zu schaffen. Nach einer Beobachtungszeit von sechs Wochen bestätigt die Anstaltsleitung jedoch, sie wären „geistig ganz bewegliche lebende Kinder von natürlicher Art“.
Vom 23. Dezember 1937 bis zum 19. Januar 1938 bleiben die Seherkinder von Heede im Marien-Hospital in Osnabrück. Seltsam ist, dass auch dort einige katholische Schwestern versuchen, die Kinder von ihren Visionen abzubringen. Andere Ordensschwestern berichten: „…Wir können auf Grund unserer Beobachtungen nur versichern, dass sich die Kinder während dieser Zeit sehr natürlich benommen haben. Im Hinblick auf unsere jahrzehntelange Berufstätigkeit in der Krankenpflege glauben wir sagen zu dürfen, dass während unseres Zusammenseins mit den Kindern keinerlei hysterische oder sonstige abnorme Zustände wahrnehmbar waren.“
Im Januar 1938 kehren die Mädchen nach Heede zurück. Sie unterliegen jetzt strengen Auflagen. So verbietet ihnen die Gestapo unter schwerster Strafandrohung, die Erscheinungsstelle noch einmal zu betreten. Eltern, Pfarrer und Angehörige raten dazu, dieses Verbot der Gestapo streng einzuhalten, um ihr keinen Grund zu geben, noch einmal in Heede einzugreifen.
Aber schon im Februar 1938 nähern sich die Mädchen auf Schleichwegen, durch Gärten und Wiesen dem Friedhof und haben erneut eine Vision der Mutter Gottes. Inzwischen ist Rudolf Diekmann Pfarrer von Heede. Er versteht es, geschickt zwischen den staatlichen und kirchlichen Behörden zu vermitteln und gewinnt das Vertrauen der vier jungen Mädchen. Den Wachtposten gegenüber ist man jedoch vorsichtig. Bei einheimischen Polizisten besteht keine Gefahr, denn sie sind überzeugte Katholiken. Doch bei fremden Polizisten oder gar der Gestapo ist höchste Wachsamkeit geboten.
Über die Visionen schreibt Heinrich Eizereif, der sich ausführlich damit befasst: „Die Gottesmutter zeigte sich den Mädchen an etwa zehn verschiedenen Stellen, jedoch stets in der Nähe des Friedhofes. Zur selben Zeit wurde die Erscheinung immer nur an einem Ort gesehen; auch dann, wenn die Kinder sich getrennt voneinander aufhielten und einander nicht verständigen konnten.“ Und an anderer Stelle: „Gehört wurde die Erscheinung ausschließlich von den vier Seherkindern. Die Gläubigen und Neugierigen vernehmen stets nur die Fragen der Kinder, die sie der Gottesmutter stellen bzw. die Reaktionen auf deren Verhalten.“
Am 3. November 1940, zwischen 20.30 und 21.00 Uhr, zeigt sich die Erscheinung zum letzten Mal. Während dieser Vision bittet die Gottesmutter die Mädchen, das Geheimnis, welches sie ihnen am 19. Oktober 1940 allein für den Heiligen Vater anvertraut habe, für sich zu behalten, es niemandem sonst zu sagen. Nach den Berichten der Mädchen waren die letzten Worte der Mutter Gottes: „ Nun, liebe Kinder, zum Abschied noch den Segen! Bleibt Gott ergeben und brav! Betet oft und gern den Rosenkranz! Nun ade, liebe Kinder! Auf Wiedersehen im Himmel!“ Nun sind die vier Seherkinder wieder auf sich gestellt und dem Alltag zurückgegeben.
Mehr als 50 Jahre sind seitdem ins Land gegangen und Heede ist zu einem bekannten Wallfahrtsort geworden. Schon 1940 berichtet eine Wallfahrerin: „Interessant ist es zu sehen, wie in Heede gebetet wird. Immer sind Leute da von überall her. Als ich das letzte Mal dort war, kamen und gingen die Leute fortwährend. In der Kirche und auf dem Friedhof liegen die Leute auf den Knien und beten laut. Es ist ergreifend, wie beständig kleine Pilgergruppen von sechs, acht und zehn Personen anlangen und das, trotzdem Heede gut eineinhalb Stunden von der Bahn entfernt ist.“
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