Klar, eindeutig und vor allem gläubig
Die Kirche in Deutschland verliert einen ihrer profiliertesten Vertreter – Zum Tode von Erzbischof Johannes Dyba
25. Juli 2000
“Fulda steht für Klarheit.” So war das letzte Hirtenwort überschrieben, das Erzbischof Johannes Dyba in seiner Kirchenzeitung veröffentlicht hat. Aber Fulda, das kirchliche wohlgemerkt, stand nicht nur für Klarheit – etwa in der Frage der Schwangerenberatung mit dem ominösen Schein. Auch Streit und Kontroversen waren mit der Bonifatius-Stadt verbunden, seitdem der gebürtige Berliner und langjährige Vatikan-Diplomat Johannes Dyba dort im Jahre 1983 das Kirchenregiment übernommen hat. Gelindert wurde manche Erregung durch die heimliche oder offene Freude an den Formulierungen des sprachgewandten Erzbischofs – sonst hätte ihn das gewohnt kirchenkritische Magazin “Der Spiegel” wohl kaum zum Dauer-Interviewpartner gekürt.
Priester geworden, um das Wort Gottes zu verkünden
Dyba konnte überspitzen – wenn er von der “Tötungslizenz” oder den “Staatstheologen” sprach -, aber stets blieb er griffig: “Zweifel sind nicht dazu da, dass man sie mästet”, meinte er einmal, wem die Regeln der katholischen Kirche nicht gefielen, für den gebe es mehr als dreihundert andere christliche Kirchen. Unverbindlichkeit war Dyba ein Graus. Seine Entscheidung, Priester und nicht Politiker zu werden, begründete er kurz und knapp: “In der Demokratie herrscht die Mehrheit, in der Kirche die Wahrheit”. Und seine Freude über den Wechsel von der Vatikandiplomatie an die Spitze des Bistums Fulda erläuterte er damit, er sei “doch Priester geworden statt Jurist, um das Wort Gottes in der eigenen Sprache zu verkünden und nicht, um als Diplomat in verschiedenen Sprachen immer zu schweigen”.
So sind die Würdigungen des in der Nacht zum Sonntag verstorbenen Erzbischofs überaus respektvoll ausgefallen. Als “Mann von klaren Positionen, die er auch in aller Deutlichkeit in der Öffentlichkeit vertreten” hat, würdigte ihn die Bundesregierung. Dyba habe “auf seine Art den deutschen Katholizismus mitgeprägt”, erklärte ein Regierungssprecher in Berlin. Als einen “fröhlichen Spalter” und “herzlichen Fundi” kennzeichnete ihn die “Süddeutsche Zeitung”, etwas dumpfer titelte die “Frankfurter Allgemeine Zeitung”: “Wortgewaltig und polemisch”. Sein Widerpart in der Deutschen Bischofskonferenz, der Vorsitzende derselben und Mainzer Oberhirte Karl Lehmann, erklärte, “aus tiefer Überzeugung” habe Erzbischof Dyba “immer wieder einen leidenschaftlichen Einsatz für ein entschiedenes Christsein und eine unzweideutige Kirchlichkeit” geleistet. “Auch wenn wir manchmal mit ihm darüber stritten, haben uns seine Menschlichkeit und sein Humor geholfen, versöhnlich im Geist unseres Glaubens zusammenzuwirken.” In Kirche, Politik und Gesellschaft erkennt man in diesen Tagen an, dass Dyba trotz aller Ecken und Kanten eine profilierte Persönlichkeit war: klar, eindeutig und vor allem gläubig.
Doch es wäre zu kurz gegriffen, Johannes Dyba nur als eine Art kirchlichen Entertainer auf der Bühne der stets nach Reizen gierenden Medienwelt zu sehen, der nun einmal die Rolle des päpstlichen Wadenbeissers übernommen hat. Für viele Katholiken in Deutschland, die treu zum Papst und zum Zweiten Vatikanum stehen, ist der Tod Dybas ein Schock – jedoch nicht, weil nun der Rhetoriker fehlt, der den notorischen Papstkritikern und Hohenpriestern des Zeitgeistes verbal Paroli bieten kann. Dyba war ein Mann, dessen Vita allein schon dafür Sorge trug, dass ihn der “deutsche Bazillus”, jener antirömische Affekt, vollkommen verschont hat. Etwa zwanzig Jahre lang hat der 1959 von Kardinal Frings geweihte Priester Weltkirche erlebt. Im Juli 1962 trat Dyba dann nach zwei Jahren als Kaplan in Wuppertal und dem Beginn des Kirchenrechts-Studiums an der römischen Lateran-Universität in den diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls ein: erst als Mitarbeiter; später als Leiter der deutschen Abteilung des päpstlichen Staatssekretariats. Im Dezember 1967 wurde er in die Apostolische Nuntiatur in Buenos Aires entsandt, ein Jahr darauf in die päpstliche Vertretung in den Niederlanden, im Juli 1972 in die Nuntiatur in Kinshasa in Zaire und 1974 nach Kairo. Im Juni 1977 kehrte er nach zehnjährigem Aussendienst in die Zentralverwaltung der katholischen Kirche zurück. Bis 1979 war er als Vizesekretär der päpstlichen Kommission “Justitia et Pax” in Rom tätig. Am 25. August 1979 wurde Dyba schliesslich von Papst Johannes Paul II. zum Titularbischof von Neapolis in Proconsulari (Nordafrika) ernannt – am 13. Oktober 1979 empfing er im Kölner Dom die Bischofsweihe. Danach wurde er als päpstlicher Vertreter nach Westafrika mit Sitz in der liberianischen Hauptstadt Monrovia entsandt. Dyba vertrat hier den Heiligen Stuhl als Apostolischer Pronuntius in Liberia und Gambia sowie als Apostolischer Delegat für Guinea und Sierra Leone, bis er am 4. Juni 1983 seine Ernennung zum Bischof von Fulda erhielt und am 4. September des gleichen Jahres in sein Amt eingeführt wurde.
Eine Kirche in Deutschland, in der alles anders geworden war
Dyba hat weder den Umbruch der 68er Jahre in Deutschland erlebt noch die bald nach dem Konzil einsetzende stille Revolution in der deutschen Kirche. Als er Anfang der sechziger Jahre sein Heimatland verliess, hatten die Theologen ein – noch weitgehend – ungestörtes Verhältnis zum römischen Lehramt, stand die Kirche noch im Dorf und der Pfarrer – nicht der Laie – auf der Kanzel, Glaubenswahrheiten predigend, nicht Glaubenszweifel. Als Dyba zurückkehrte, hatte er die Weltkirche erlebt, und Menschen, die – wie er einmal schrieb – “unter so armseligen Bedingungen leben und doch so gerne und herzlich lachen und sich mit einer Begeisterung für ihre Kirche einsetzen, die einen manchmal verschämt werden lässt.” Und er stiess auf eine Kirche in Deutschland, in der alles anders geworden war. Das ideelle Bündnis zwischen ihm und den romtreuen Katholiken war schnell geschlossen – und ebenso schnell meldete sich die Reaktion. “Stoppt Dyba” war in den achtziger Jahren auf vielen Aufklebern der Autos in Hessen und darüber hinaus zu lesen.
Als Verfechter klarer Positionen zur Symbolfigur
Nachdem Dyba 1993 die Ausgabe von Beratungsscheinen in seiner Diözese eingestellt hatte, fiel ihm dann auch im deutschen Episkopat eine singuläre Position zu, was ihn für die Verfechter klarer Positionen im 218-Dauerkonflikt nur noch mehr zur Symbolfigur machte. Die Stellung, die der deutsche Kurienkardinal Joseph Ratzinger in der Theologie eingenommen hatte, bezog Dyba auf dem Gebiet der Disziplin der Kirche und ihres Verhältnisses zum Staat: zwei Kristallisationspunkte, um die sich viel an Zustimmung, ja Verehrung derer sammelte, die in der Kirche Deutschlands der siebziger und achtziger Jahre das Bild der geliebten Catholica entschwinden sahen.
Johannes Dyba hat wohl seit Monaten gewusst, dass er nicht mehr lange dieser Kristallisationspunkt sein wird. Beim Bonifatius-Fest Anfang Juni zeigte er Besuchern des Fuldaer Doms sein Grab, in seiner engsten Umgebung deutete er an, dass er für sich nicht mit einem hohen Alter rechne. Die letzte grosse Predigt , die er vor den Wallfahrern am Bonifatius-Tag hielt, kreiste um die Treue zum Glauben und die Verheissung einer seligen Ewigkeit. “Wer an mich glaubt, hat das ewige Leben; und den werde ich auferwecken am jüngsten Tage”, zitierte Dyba das Christus-Wort und fuhr fort: “Ja, wer in diesem Leben durch dick und dünn treu bleibt, der wird einmal das Wort des Herrn hören: ,Komm, du guter und treuer Knecht. Du bist im Kleinen treu gewesen. Nun will ich dir Grosses anvertrauen. Geh ein in die Freude deines Herrn‘.” Diese Freude des Herrn war Dyba wichtiger als alles andere, wichtiger als mancher Schlagabtausch oder manches Interview – und sicherlich auch wichtiger als der Zuspruch der Öffentlichkeit.
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