Fatima fordert uns
Jesus erzählt die Geschichte vom reichen Prasser und dem armen Lazarus
Zenit.org, 13. Mai 2017, Peter von Steinitz
Die Kirche sagt, dass Marienerscheinungen nicht etwas sind, was der Christ glauben muss, selbst die von ihr anerkannten Erscheinungen wie Lourdes und Fatima gehören nicht zum verpflichtenden Glaubensgut der Kirche.
Aber welche Bereicherung für den einzelnen Christen wie für das Leben der Kirche, wenn man diese Gnadengeschenke des Himmels ernst nimmt!
Immer wieder seit den Anfängen hat der Herr zu dem eigentlich schon ausreichenden Gnadenschatz etwas hinzugefügt, auch wenn es eigentlich nicht notwendig wäre.
Jesus erzählt die Geschichte vom reichen Prasser und dem armen Lazarus. Beide sterben, und Lazarus wird im Schoss Abrahams für sein leidvolles Leben getröstet, während der Reiche in der Hölle unsagbare Qualen leidet. Er bittet Abraham, dass er Lazarus zu seinen Brüdern schicke, die ebenfalls ein schlechtes Leben führen, und die er warnen soll. Er denkt, wenn sie einen von den Toten Auferweckten sehen, würden sie sich bekehren. Abraham weist ihn ab, er sagt, dass die Erscheinung eines Toten nicht zur Bekehrung führen wird. Und sie ist auch gar nicht nötig, denn: “Sie haben ja Mose und die Propheten. Auf sie sollen sie hören!” (Lk 16,29).
In der Tat, wenn die Menschen wissen wollen, wie sie Hölle vermeiden und zur Seligkeit gelangen können, würde es genügen, Mose und die anderen Propheten zu studieren, denn sie haben alles gesagt, was der Mensch tun und lassen soll, um das Ziel zu erreichen.
Aber da sehen wir die magnanimitas, die Grossherzigkeit Gottes, der unendlich viel mehr zu unseren Gunsten tut, als eigentlich notwendig wäre, genau wie ein liebevoller Vater, der für seine Kinder alles Erdenkliche tut.
Nach jener Episode vom armen Lazarus, die Jesus erzählt, als er das Werk der Erlösung noch nicht vollbracht hatte, sind die wesentlichen Gnadengeschenke erst gekommen: Leiden und Tod Jesu am Kreuz, seine Auferstehung (erst seit dem kann der Mensch nicht nur auf den Schoss Abrahams hoffen, sondern auf viel mehr, nämlich auf den Himmel, den Jesus geöffnet hat), Jesu Himmelfahrt und die Ausgiessung des Hl. Geistes. Vor allem auch die Einrichtung der sieben Sakramente, die es uns so leicht machen, auf dem guten Weg weiter zu gehen.
Ferner die Gründung der Kirche mit ihrer klaren und hilfreichen Struktur, die Liturgie, die Feste, die Wallfahrten, der Ablass und die anderen Sakramentalien. Die Schutzengel! Das alles ist eine weitere Fülle an Hilfsmitteln.
Und dann eben das Wirken der Gottesmutter, die seit den Anfängen (der Apostel Jakobus erfuhr durch ihr Erscheinen am Ebro-Fluss eine ungeahnte Unterstützung bei seiner schwierigen Missionsarbeit) in Hunderten von Erscheinungen das Werk der Erlösung unterstützt hat: Guadalupe, Lourdes, Banneux, Kibeho, um nur einige wenige zu nennen. Und eben Fatima, dessen hundertjähriges Jubiläum wir heute feiern. Der Hl. Vater ist selbst dorthin gekommen, um für die Welt, die in einem dramatischen Zustand ist, zu beten.
Paul Claudel nannte Fatima den Einbruch des Übernatürlichen in unsere Welt. Von allen Erscheinungen ist diese vielleicht die wichtigste, weil sie so viele alle Menschen betreffende Aspekte enthält.
Da ist zunächst der Aufruf zu Busse und Umkehr, wie ihn die Gottesmutter bei allen Erscheinungen ausspricht. Darüber hinaus aber gibt es zwei wichtige Aspekte, die zum Teil nicht gebührend beachtet wurden. Der eine ist die Verehrung des Unbefleckten Herzens Mariens, die der Himmlische Vater (!) ausdrücklich wünscht. Eine Zeit lang, während des Pontifikats Pius XII., blühte diese Andacht, aber aufgrund der menschlichen Unzulänglichkeit ist sie inzwischen wieder fast vergessen. Dass der Himmlische Vater diesen Wunsch jetzt nicht mehr hätte, ist nicht anzunehmen.
Der zweite Aspekt ist der prophetische Teil der Botschaft, besser gesagt der drei Teile dieser Botschaft, die als Geheimnis bezeichnet werden. Der dritte Teil wurde erst im Jahre 2000 veröffentlicht und enthält höchst dramatische Aussagen: „Wir sahen….einen Engel, der ein Feuerschwert in der linken Hand hielt; es sprühte Funken, und Flammen gingen von ihm aus, als sollten sie die Welt anzünden. Doch die Flammen verlöschten, als sie mit dem Glanz in Berührung kamen, den Unsere Liebe Frau von ihrer rechten Hand auf ihn ausströmte“. Und „der Engel rief mit lauter Stimme: Buße, Buße, Buße!“
Natürlich ist diese Vision eine Allegorie, aber es dürfte jedem klar sein, dass hier ausgesagt wird, dass die Welt ein Strafgericht verdient, und dass es nur das Eingreifen der Muttergottes ist, das dies verhindert.
An dieser Stelle wäre es nicht schlecht, wenn man einen Augenblick inne hält und sich fragt, wie weit die heutige Kirche mit ihren Aussagen noch auf dem Stand von vor hundert Jahren ist. Oder, wenn sie es nicht ist, ob wir da einen echten Fortschritt zu verzeichnen haben. Seit Jahren haben uns die Theologen klar gemacht, dass Gott kein strafender Gott ist. Und das ist ja richtig, er ist ein unendlich liebevoller Vater. Aber auch ein Vater muss Strafen wenigstens androhen können, um seine unbotmäßige Kinder zur Ordnung zu rufen. Und in Ordnung ist heute vieles nicht. Gerade unsere äußerlich wohl geordneten Nationen sind innerlich korrupter als vor hundert Jahren (Stichwort: Abtreibung als „Recht der Frau“, Euthanasie auch an Kindern, Gender-Ideologie usw. usw.). Übrigens sagte die Gottesmutter – und das ist schon länger bekannt – dass „in Portugal der wahre Glaube immer erhalten bleiben“ würde. Im Umkehrschluss: in anderen Nationen wird der wahre katholische Glaube womöglich nicht erhalten bleiben.
Eine genauso schiefe Theologie ist die, dass es praktisch keine Sünde gibt und man daher die Beichte de facto abgeschafft hat. Jacinta sagt in Fatima, im Auftrage der Gottesmutter: „Die Menschen sollen Gott nicht noch mehr beleidigen, der schon zu sehr beleidigt worden ist“. Ja, den Kindern wurde sogar einen Moment lang die Hölle gezeigt, nicht um sie zu erschrecken, sondern um ihnen die Dringlichkeit des Gebets für die armen Sünder zu verdeutlichen. Es ist bedauerlich, aber die Kirche muss heute auch, wenigstens gelegentlich, von der Sünde sprechen, denn wie soll man sie überwinden, wenn man nicht weiß, um was es sich handelt.
Fatima ist, genau wie das Neue Testament, keine Drohbotschaft, sondern wirklich eine Frohbotschaft, denn sie verheißt den Frieden. Allerdings unter der Voraussetzung, dass wir Menschen die Wünsche der Muttergottes erfüllen, was weiter nicht schwer wäre, wenn wir nicht immer diesen unsere Eigenwillen mit ins Spiel brächten. Mose und die Propheten würden genügen, aber…
Aber auch dann gibt es am Schluss doch noch eine Lösung. Maria sagt: „Am Ende wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren“, also auch dann noch, wenn wir Menschen nicht unseren Beitrag geleistet haben.
Das ist wahrhaft tröstlich!
Msgr. Dr. Peter von Steinitz war bis 1980 als Architekt tätig; 1984 Priesterweihe durch den hl. Johannes Paul II.; 1987-2007 Pfarrer an St. Pantaleon, Köln; seit 2007 Seelsorger in Münster. Er ist Verfasser der katechetischen Romane: „Pantaleon der Arzt“, „Leo – Allah mahabba“ (auch als Hörbuch erhältlich) und „Katharina von Ägypten“. Der Fe-Medienverlag hat einige ZENIT-Beiträge vom Autor als Buch mit dem Titel „Der Stein, den die Bauleute verwarfen“ herausgebracht.
Schreibe einen Kommentar