Hoffnung und Signale des Aufbruchs
In unserer heutigen Zeit brauchen wir Hoffnung und Signale des Aufbruchs
Gespräch mit dem neuen Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller
“Der Glaube ist geprägt durch die grösste Offenheit. Er ist ein personales Verhältnis zu Gott, der alle Schätze der Weisheit in sich trägt. Deshalb ist unsere endliche Vernunft immer dynamisiert auf den unendlichen Gott hin. Wir können immer dazulernen und tiefer den Reichtum der Offenbarung verstehen. Wir vermögen sie nie auszuschöpfen”, so der neue Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, bei einem Interview, das er der Verantwortlichen der deutschsprachigen Ausgabe und dem Direktor unserer Zeitung gewährt hat. Bei der Begegnung am Sitz der Kongregation sprach Erzbischof Müller auch über seine ersten Erfahrungen im vatikanischen Dikasterium, über seine Entscheidung, Priester zu werden, seine Zeit als Theologieprofessor und Bischof, aber auch über seine Aufenthalte in Lateinamerika. Den heutigen Papst lernte er über das Buch “Einführung in das Christentum” kennen und schätzen.
Exzellenz, erzählen Sie uns ein wenig über die ersten Eindrücke, die Sie in Ihrem neuen Amt als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre bekommen haben – in einer Umgebung, die Sie als langjähriges Mitglied verschiedener Dikasterien der Römischen Kurie gut kennen.
Schon fünf Jahre lang konnte ich als Mitglied der Glaubenskongregation bei den wichtigen Sitzungen der Kardinäle und Bischöfe teilnehmen und die solide, kollegiale Arbeitsweise bewundern. Die Aufgaben der Kongregation sind mir also nicht unbekannt. Viele Jahre war ich Mitglied der Internationalen Theologischen Kommission. Auch an anderen Dikasterien durfte ich gelegentlich mitarbeiten. Im Gesamten ist mir freilich vieles im Vatikan neu und ungewohnt. Es wird etwas Zeit brauchen, bis ich mich in das komplexe Gefüge der Römischen Kurie einfinde.
Neu ist für mich natürlich vor allem die Aufgabe als Präfekt. Als Mitglied studierte ich die von der Kongregation vorbereiteten Akten und wirkte an den Beratungen mit. Nun gilt es, zusammen mit den Mitarbeitern der Kongregation die tägliche Arbeit zu bewältigen und zu orientieren und die Entscheidungen in rechter Weise vorzubereiten und auszuführen. Ich bin sehr dankbar, dass der Heilige Vater mir das Vertrauen geschenkt und mir diese Aufgabe anvertraut hat. Die Probleme, die vor uns liegen, sind gross, wenn man auf die Weltkirche schaut mit ihren vielen Herausforderungen, die es anzugehen gilt, und auch mit einer gewissen Entmutigung, die sich mancherorts ausbreitet und die wir überwinden müssen. Wir haben das Problem, dass Gruppen von rechts und von links – wie man so sagt – unsere Zeit und unsere Aufmerksamkeit sehr in Anspruch nehmen. Da besteht leicht die Gefahr, dass wir unsere Hauptaufgabe etwas aus dem Blick verlieren, nämlich das Evangelium zu verkünden und die kirchliche Lehre positiv darzulegen.
Wir sind davon überzeugt, dass es zur Offenbarung Gottes in Jesus Christus keine Alternative gibt. Die Offenbarung antwortet auf die grossen Fragen der Menschen aller Zeiten: Was ist eigentlich der Sinn meines Lebens? Wie kann ich mit dem Leiden umgehen? Gibt es eine Hoffnung, die über den Tod hinausgeht, denn das Leben ist kurz und beschwerlich? Wir sind der Grundüberzeugung, dass die säkularistische und immanentistische Sichtweise nicht genügt. Wir können von uns aus die eigentlichen Fragen nicht überzeugend beantworten. Deshalb ist die Offenbarung eine Entlastung, denn wir müssen nicht krampfhaft nach Antworten suchen. Die Kapazität, die wir haben, ist aber so gross, dass wir »capax Infiniti« sind. In Christus hat der unendliche Gott sich uns Menschen gezeigt. Christus ist die Antwort auf unsere tiefsten Fragen. Deshalb wollen wir froh und stark in die Zukunft gehen.
Man hat viel über Sie als neuen Präfekten geschrieben, jedoch viel interessanter ist Ihre Selbstbeschreibung. Möchten Sie uns etwas über sich erzählen, über Ihre Familie, Ihre Studien, die Wahl zum Priesteramt, Ihre Erfahrungen als Gelehrter und Theologieprofessor, als Bischof?
Mein Vater war fast vierzig Jahre lang einfacher Arbeiter in der OPEL-Firma in Rüsselsheim. In der Nähe wohnten wir, in Mainz-Finthen, einem kleinen Ort, der von den Römern gegründet worden ist. Dort gibt es heute noch Reste eines römischen Aquädukts. Insofern ist unsere Grundprägung römisch. Man ist sich in Mainz dessen noch sehr bewusst, und wir sind stolz darauf. Es hat uns geprägt, mitten in Deutschland einen romanischen Horizont zu haben. Wenn man katholisch ist, verbindet sich das ja automatisch. Meine Mutter war Hausfrau. Ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie uns Kinder ganz normal menschlich erzogen haben, ohne Übertreibungen in diese oder jene Richtung. So wuchsen wir in den katholischen Glauben und in die Glaubenspraxis hinein, in die richtige Mischung von Freiheit und Bindung mit klaren Grundsätzen. Da stimme ich bis zum heutigen Tag voll mit meinen Eltern überein.
Dann folgte das Theologiestudium. Dabei habe ich mir eine vertiefte Dimension des Glaubens zu eigen gemacht. Für meine Entscheidung zum Priestertum war wichtig, dass ich immer wieder Priestern begegnet bin, die ein vorbildliches geistliches Leben mit einem intellektuellen Anspruch führten. Insofern gab es für mich nie einen Gegensatz zwischen Priestersein und Studium. Ich war immer davon überzeugt, dass der katholische Glaube den höchsten intellektuellen Ansprüchen genügt und wir uns nicht zu verstecken haben. Die Kirche hat viele grosse Gestalten in der Geistesgeschichte vorzuweisen. Deshalb können wir uns ganz zuversichtlich den grossen Herausforderungen der Naturwissenschaft, der Geschichte, der Soziologie, der Politik stellen. Der Glaube ist geprägt durch die grösste geistige Weite. Er ist ein personales Verhältnis zu Gott, der alle Schätze der Weisheit in sich trägt. Deshalb ist unsere endliche Vernunft immer dynamisiert auf den unendlichen Gott hin. Deshalb können wir immer dazulernen, immer tiefer den Reichtum der Offenbarung verstehen, können sie nie ausschöpfen.
Als Bischof habe ich gegenüber den Seminaristen oft betont, dass die Identität einer priesterlichen Berufung die Begegnung mit authentischen Priestern braucht. Der Glaube beginnt bei den personalen Begegnungen, angefangen bei den Eltern, Priestern, Seelsorgern, Freunden – in der Pfarrei, der Diözese, in der grossen Familie der Weltkirche. Er braucht nie die intellektuelle Auseinandersetzung zu scheuen, wir haben keinen blinden Glauben, aber der Glaube darf auch nicht rationalistisch verkürzt werden. Ich wünsche jedem ähnliche Erfahrungen, wie ich sie machen durfte: dass man sich einfach ganz problemlos mit dem katholischen Glauben identifiziert, ihn praktiziert. Das ist wunderbar.
Papst Benedikt XVI. hat Sie mit der Herausgabe der »Gesammelten Schriften« beauftragt. Er wollte Ihnen auch seine römische Wohnung überlassen, wo er bis zum Jahr 2005, bis zum Konklave, gelebt hat und wo sich wahrscheinlich immer noch viele seiner Bücher befinden. Wie haben Sie Joseph Ratzinger kennengelernt?
Als junger Student habe ich seine »Einführung in das Christentum« gelesen. 1968 ist dieses Buch erschienen, das wir wie ein trockener Schwamm »aufgesaugt« haben. Denn in jenen Jahren gab es viel Unsicherheit in den Priesterseminaren. In dem Buch wird das Glaubensbekenntnis der Kirche in überzeugender Weise dargelegt, mit Hilfe der Vernunft durchdacht und meisterhaft erklärt. Das ist ein grosses Thema, das das ganze theologische Werk des Heiligen Vaters durchzieht: »Fides et ratio« – Glaube und Vernunft. Später habe ich Joseph Ratzinger persönlich kennen und schätzen gelernt. Während meiner Tätigkeit als Professor und Bischof war er mir Stütze und klare Orientierung. Ich würde ihn als einen väterlichen Freund bezeichnen, ist er doch eine Generation älter als ich. Ich verstehe auch mein Kommen nach Rom nicht so, dass ich ihn mit irgendwelchen Dingen belaste. Meine Aufgabe ist es, ihm Arbeit abzunehmen und ihn nicht mit Problemen zu konfrontieren, die auf unserer Ebene gelöst werden können. Denn der Heilige Vater hat die grosse Sendung, das Evangelium zu verkünden und die Brüder und Schwestern im Glauben zu stärken. Was es an unerfreulichen Begleiterscheinungen gibt, sollten wir bearbeiten, damit er nicht mit zu vielen Dingen belastet, aber natürlich über die wesentlichen Vorgänge informiert wird.
Papst Paul VI. hat kurz vor dem Abschluss des II. Vatikanischen Konzils den Namen »Heiliges Offizium« in Kongregation für die Glaubenslehre geändert. Es war eine grosse Transformation. Was sagen Sie zur Umwandlung dieses Namens und zur Bedeutung dieser vatikanischen Behörde heute?
Die Kirche ist zuerst eine Glaubensgemeinschaft und deshalb ist der geoffenbarte Glaube das wichtigste Gut, das wir zu vermitteln, zu verkünden und zu bewahren haben. Jesus hat Petrus und seinen Nachfolgern das universale Lehramt übertragen, dem hat die Kongregation zu dienen. Deshalb hat die Glaubenskongregation eine Verantwortung für das, was die ganze Kirche zuinnerst betrifft: für den Glauben, der uns zum Heil und zur Gemeinschaft mit Gott und untereinander führt.
Ich denke, das Wichtigste bei der Umwandlung der Kongregation betraf nicht das Verhältnis zu anderen Einrichtungen des Heiligen Stuhls, sondern die Grundausrichtung ihrer Arbeit. Paul VI. wollte, dass der positive Aspekt in den Vordergrund rückt: Die Kongregation soll vor allem den Glauben fördern und verständlich machen, das ist das Entscheidende. Als zweites kommt hinzu, dass der Glaube auch gegen Irrtümer und Verkürzungen verteidigt werden muss. In unserer heutigen Zeit brauchen wir Hoffnung und Signale des Aufbruchs. Wenn man in die Welt hineinschaut, vor allem in unsere europäischen Staaten, die ich natürlich besser kenne, sehen wir viele Politiker und Wirtschaftsexperten, die Eindrucksvolles leisten, aber nicht die erste Adresse sind, wenn es darum geht, Hoffnung und Zuversicht zu vermitteln. Hier sehe ich eine der grossen Aufgaben für die Kongregation und für die Kirche überhaupt: Wir müssen den Glauben wieder neu als positive Macht entdecken und aufleuchten lassen, als Kraft der Hoffnung und als Potential, um Konflikte und Spannungen zu überwinden und im gemeinsamen Bekenntnis des dreifaltigen Gottes immer wieder neu zueinander zu finden.
Wir alle kennen die Sorge des Heiligen Vaters um die Glaubensverkündigung. Diese Sorge fand ihren Ausdruck auch in der Einrichtung des neuen Päpstlichen Rats zur Förderung der Neuevangelisierung und der Ausrufung des Jahres des Glaubens. Welche Projekte hat Ihre Behörde für dieses Jahr des Glaubens?
Der Glaube vollzieht sich im Gottesdienst, im christlichen Leben, in den Familien. Wir können nur eine Hilfestellung bieten. Es gibt sehr viele gute Texte, für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, zudem theologische Literatur und lehramtliche Dokumente. Die kommende Bischofssynode soll ihren Teilnehmern und der ganzen Kirche neuen Schwung für die Glaubensweitergabe schenken. Ich sehe es auch als persönliche Aufgabe, die Bischöfe und Theologen in diesem Sinne zu ermutigen. Es geht darum, dass wir uns gegenseitig stärken. Der Herr selbst sagte zu Petrus: Stärke deine Brüder und Schwestern. Das gilt besonders für den Papst, aber nicht nur. Gerade für die Verkünder kommt es darauf an, auf dem Boden des Glaubens zu stehen und aus seinen Quellen zu schöpfen, aus der Heiligen Schrift, den Kirchenvätern, den Dokumenten der Konzilien und Päpste, den grossen Theologen und geistlichen Schriftstellern. Wo das fehlt, bleibt alles öde und leer. Wo der Glaube dagegen froh und entschieden angenommen wird, entsteht Leben. Die Heilige Schrift gibt uns dafür schöne Bilder: Das Licht auf den Leuchter stellen; Salz, das nicht verdorben ist, kann alles durchwürzen; das Evangelium durchdringt wie ein Sauerteig die ganze Welt.
Als Bischof in einer Diözese, als Priester und Seelsorger schaut man Menschen ins Gesicht. Man sieht sie konkret in ihrer Lebenssituation. Man kann den Menschen das Evangelium nicht verkünden, wenn man sie nicht auch liebt und sieht, dass jeder ein Mysterium ist, Bild und Gleichnis Gottes. Man muss sich immer klar machen, dass Christus für uns alle am Kreuz gestorben ist. Wir sind uns bewusst, dass wir berufen sind, Freunde Gottes zu sein, und dadurch erfahren, zu welcher Hoffnung wir bestimmt sind. Das lässt den Zweifel im Herzen verschwinden. Auch Atheisten oder Kirchenfeinde müssten einmal selbstkritisch nachfragen, ob sie den Menschen von heute Heilmittel anzubieten haben.
Die nächste Frage bezog sich auf die Kontakte, die Bischof Müller ausserhalb Deutschlands, insbesondere in Lateinamerika, pflegte. Er sprach von seinen verschiedenen Aufenthalten und Erfahrungen in südamerikanischen Städten und seinen Vorträgen.
Ich war oft in Lateinamerika, in Peru, aber auch in anderen Ländern. Ich bin 1988 eingeladen worden, an einem Seminar mit Gustavo Gutierrez teilzunehmen. Als deutscher Theologe bin ich da mit einer gewissen Reserviertheit angekommen, auch weil ich die beiden Erklärungen der Glaubenskongregation zur Befreiungstheologie von 1984 und 1986 gut kannte. Ich habe aber dann feststellen können, dass man unterscheiden muss zwischen einer falschen und einer richtigen »Theologie der Befreiung«. Ich glaube, jede gute Theologie hat mit der »Freiheit und der Herrlichkeit der Kinder Gottes« zu tun. Gewiss ist eine Vermischung von marxistischen Selbsterlösungslehren und dem von Gott geschenkten Heil grundsätzlich abzulehnen. Andererseits müssen wir uns ehrlich fragen: Wie können wir von der Liebe und Barmherzigkeit Gottes sprechen angesichts des Leidens vieler Menschen, die nichts zu essen und zu trinken und keine medizinische Versorgung haben, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder in die Zukunft bringen sollen, also wo es wirklich an Menschenwürde fehlt und wo die Menschenrechte von den Mächtigen missachtet werden? Letztlich geht das nur, wenn man bereit ist, mit den Leuten zusammen zu sein, sie zu akzeptieren als Brüder und Schwestern, ohne Paternalismus von oben herab. Wenn wir uns als Familie Gottes verstehen, können wir mithelfen, dass diese menschenunwürdigen Verhältnisse auch geändert und verbessert werden.
Wir haben in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg und der Diktatur auch dank der katholischen Soziallehre eine neue demokratische Gesellschaft aufgebaut. Wir müssen als Christen unterstreichen, dass die Werte Gerechtigkeit, Solidarität und Personenwürde aus dem Christentum in unsere Verfassungen hineingekommen sind.
Ich selbst komme aus Mainz. Dort gab es im 19. Jahrhundert den grossen Bischof Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler, der am Anfang der Soziallehre und der Sozialenzykliken steht. Ein katholisches Kind aus Mainz hat die soziale Leidenschaft schon im Blut, und ich bin stolz darauf. Das war sicher der Horizont, aus dem heraus ich nach Lateinamerika kam. 15 Jahre lang habe ich dort jeweils 2 bis 3 Monate verbracht und in ganz einfachen Verhältnissen gelebt. Das kostet einen Mitteleuropäer erst einmal Überwindung. Aber wenn man die Leute persönlich kennt und sieht, wie sie leben, kann man das akzeptieren. Ich habe auch mit den »Regensburger Domspatzen« eine Reise nach Südafrika gemacht. Das ist der berühmte Chor, den der Bruder des Papstes 30 Jahre geleitet hat. Ich durfte an vielen Seminaren und Universitäten Vorlesungen halten, nicht nur in Lateinamerika, sondern auch in europäischen Ländern und in Nordamerika. So habe ich erlebt: Überall bist du zu Hause. Wo ein Altar ist, ist Christus gegenwärtig. Überall gehörst du zur grossen Familie Gottes.
Abschliessend äusserte sich der Präfekt kurz zur Diskussion mit den Lefebvrianern und dem derzeitigen Problem mit einer Dachorganisation US-amerikanischer Ordensschwestern:
Für die Zukunft der Kirche ist es wichtig, ideologische Konfrontationen von allen Seiten zu überwinden. Es gibt nur eine Offenbarung Gottes in Jesus Christus, die der ganzen Kirche anvertraut worden ist. Daher gibt es keine Verhandlungen über das Wort Gottes, und man kann nicht zugleich glauben und auch wieder nicht. Man kann nicht die drei Ordensgelübde ablegen und sie dann doch wieder nicht ernst nehmen. Ich kann mich nicht auf die Tradition der Kirche berufen, und sie dann nur auszugsweise akzeptieren. Der Weg der Kirche führt nach vorne, und jeder ist aufgerufen, sich nicht in seinem eigenen selbstbezogenen Denken zu versteifen, sondern das volle Leben und den vollen Glauben der Kirche anzunehmen. Für die katholische Kirche ist ganz klar, daß Mann und Frau gleich viel wert sind – das sagt uns schon der Schöpfungsbericht und wird in der Erlösungsordnung bestätigt. Der Mensch braucht sich nicht zu emanzipieren, das heisst sich erst selbst zu erschaffen oder zu erfinden. Er ist schon durch die Gnade Gottes emanzipiert und befreit.
Viele Äusserungen über die Zulassung von Frauen zum Weihesakrament verkennen einen wichtigen Gesichtspunkt des Priesteramts. Beim Priestersein geht es nicht darum, sich selbst zu positionieren. Das Priesteramt darf man nicht für eine Art weltliche Machtposition halten und meinen, Emanzipation ereigne sich dann, wenn jeder diese einnehmen könne. Der katholische Glaube weiss, dass nicht wir die Bedingungen der Zulassung vorgeben und dass hinter dem Priestersein immer der Wille und die Berufung Christi stehen.
Ich lade alle ein, auf Polemik und Ideologie zu verzichten und sich zu vertiefen in die Lehre der Kirche. Gerade in Amerika haben Ordensfrauen und Ordensmänner Grossartiges geleistet für die Kirche, für die Erziehung und die Bildung junger Menschen. Christus braucht junge Leute, die diesen Weg weitergehen und sich mit der eigenen Grundentscheidung identifizieren. Zur Erneuerung des Ordenslebens hat das II. Vatikanische Konzil wunderbare Aussagen gemacht, ähnlich über die allgemeine Berufung zur Heiligkeit. Es gilt, das gegenseitige Vertrauen zu stärken und nicht gegeneinander zu arbeiten.
Seit 1968 hat die Glaubenskongregation ausschliesslich Nicht-Italiener als Präfekten. Zuvor gab es nur Merry del Val. Die letzten vier waren Seper, Ratzinger, Levada und nun Sie. Bedeutet diese Tendenz, dass der Glaube von der ganzen Kirche gehütet werden muss?
Früher gab es nicht die Möglichkeit der vielen Reisen, daher kamen die Leute an der Römischen Kurie aus der näheren Umgebung oder aus Italien. Heute helfen uns die modernen technischen Möglichkeiten, die Katholizität der Kirche konkreter zu leben. Aber da der Primat des Papstes an die römische Kirche gebunden ist, sind natürlich immer viele Leute aus Italien an der Kurie tätig. Die Internationalisierung der Kurie hat jedoch mit der Katholizität der Kirche zu tun. Schon zur Zeit des Römischen Reiches gab es in Rom viele Christen und sogar Päpste, die von anderswo, etwa aus Griechenland, in die Hauptstadt kamen. In der Kirche sind wir, damals wie heute, Mitglieder einer Familie und müssen sozusagen wie ein »Motor« für den wahren Fortschritt der Menschheit sein. Denn keine andere Organisation hat diese internationale, die Menschheit umspannende Dimension, wirkt so viel für die Einheit der Menschen und Völker. Wo immer wir Eucharistie feiern, teilen wir damit das Innerste unserer Überzeugung und haben die gleiche Lebensgemeinschaft mit Christus, selbst wenn Kultur und Sprache verschieden sind. Wir spüren unmittelbar, dass wir zusammengehören, Glieder eines Leibes sind und den Tempel Gottes miteinander aufbauen. Das ist gleichsam eine Fortsetzung der Pfingsterfahrung: Wir kommen aus allen Ländern und können gemeinsam Gott loben, in unserer Sprache das eine Wort Gottes hören. Der Heilige Geist spricht mit uns in der Sprache der Liebe, die uns alle in Gott, unserem Vater, verbindet.
(in: L’Osservatore Romano dt. Nr. 30/31 del 27.7.2012, SS. 8–9)
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