“Pave the Way” bemüht sich seit Jahren um Differenzierung
Faire jüdische Stellungnahmen für die katholische Kirche und Papst Pius XII.
Quelle
“Pave the Way” – Div. Beiträge
Papst Pius XII. (65)
Zenit.org, 20. Februar 2017, Felizitas Küble
Die kontroverse Debatte um eine mögliche Seligsprechung von Papst Pius XII. reisst nicht ab. Einwände gegen diesen Pontifex gibt es von verschiedenen Seiten, häufig von „Reformkatholiken“, bisweilen melden sich auch kritische jüdische Stimmen zu Wort. Für etliche progressive Theologen scheint es schon zu genügen, dass Pius XII. ein „vorkonziliarer Papst“ war, um starke Skepsis auszulösen. Auch von bürgerlicher Seite hört man manchmal den Einwand, Pius XII. sei zu sehr „entrückt“, vom Typ her sehr aristokratisch, insgesamt zu wenig volkstümlich gewesen.
Von einer Reihe jüdischer Vertreter wird seit langem Kritik am Pacelli-Papst geübt, weil er – so wird behauptet – zur Judenvernichtung der Nationalsozialisten geschwiegen und insofern versagt habe.
Dieser Aspekt wird allerdings nicht von allen jüdischen Persönlichkeiten und Vereinigungen so rigide beurteilt. Der bekannte Physiker Albert Einstein schrieb am 23. Dezember 1940 im „Time Magazin“ über die katholische Kirche: „Nur die Kirche blieb aufrecht stehen, um den Kampagnen Hitlers zur Unterdrückung der Wahrheit den Weg zu versperren.“
Einstein bekennt in seiner Stellungnahme, dass er nie ein besonderes Interesse für die katholische Kirche hegte, jetzt aber „grosse Zuneigung und Bewunderung“ empfinde, da „allein die Kirche den Mut und die Hartnäckigkeit gehabt hat, auf der geistigen Wahrheit und moralischen Freiheit zu bestehen.“ – Der jüdische Nobelpreisträger fügte hinzu: „Ich muss sagen, dass ich das, was ich einst verachtete, jetzt bedingungslos lobe.“
Nach dem Tod von Pius XII. veröffentlichte Golda Meier, die israelische Aussenministerin und spätere Ministerpräsidentin, einen positiven Nachruf, in welchem sie den verstorbenen Papst als einen „grossen Diener des Friedens“ bezeichnete; er habe „während der zehn Jahre des Nazi-Terrors, als unser Volk furchtbare Qualen erlitt, seine Stimme für die Opfer erhoben und die Henker verurteilt.“ – Auch die Rabbiner von Rom, Jerusalem, London und Frankreich sowie der Grossteil der jüdischen Vereinigungen schloss sich der Würdigung Meirs an.
„Pave the Way“ bemüht sich um Differenzierung
Um ein faires Geschichtsbild hinsichtlich Pius XII. kümmert sich seit Jahren die jüdische Stiftung „Pave the Way“. Anlässlich seines 50. Todestages veranstaltete diese amerikanische Vereinigung vom 15. bis 17. September 2009 eine Studientagung im Vatikan, wobei vor allem die positive Rolle untersucht wurde, die Pius XII. bei der Rettung tausender von Juden gespielt hatte.
„Pave the Way“ ging bereits Anfang Februar 2009 einen eigenständigen Weg jenseits des üblichen Medienmainstreams, als sich diese jüdische Vereinigung schützend vor Papst Benedikt XVI. stellte und die Schlammschlacht gegen ihn verurteilte, die wegen der Aufhebung der Exkommunikation hinsichtlich der Priesterbruderschaft St. Pius X. und absurder Äusserungen von Weihbischof Williamson erfolgte.
Am 18. September 2009 hielt Papst Benedikt eine Ansprache an die Teilnehmer einer Pave-the-Way-Tagung in Castel Gandolfo. Dabei erklärte er über den Ablauf dieses Symposiums:
„Ich weiss, daß viele herausragende Gelehrte sich an den Überlegungen beteiligt haben, deren Gegenstand das vielfältige Wirken meines geschätzten Vorgängers – des Dieners Gottes Pius XII. – in der schwierigen Zeit um den Zweiten Weltkrieg war…Sie haben unvoreingenommen die geschichtlichen Fakten analysiert und sich allein mit der Suche nach der Wahrheit befasst.
„In den vergangenen fünf Jahrzehnten ist sehr viel über ihn geschrieben und gesagt worden, und nicht alle wirklichen Aspekte seines Wirkens wurden im rechten Licht untersucht. Die Absicht Ihres Symposiums bestand darin, einige dieser Lücken zu schliessen durch eine sorgfältige Untersuchung vieler seiner Stellungnahmen und Interventionen, besonders zugunsten der Juden, die in jenen Jahren in ganz Europa zur Zielscheibe wurden, dem kriminellen Plan derer entsprechend, die sie von der Erdoberfläche tilgen wollten.
„Nähert man sich diesem edlen Papst ohne ideologische Vorurteile, wird man nicht nur von seinem erhabenen geistlichen und menschlichen Charakter ergriffen, sondern darüber hinaus auch von der Vorbildlichkeit seines Lebens und dem ausserordentlichen Reichtum seiner Lehre. So wird man auch die menschliche Weisheit und die tiefe Hirtensorge schätzen, die ihn in den langen Jahren seines Amtes geleitet haben und insbesondere bei der Organisation der Hilfe für das jüdische Volk.“
Der Papst bedanke sich sodann bei der Stiftung „Pave the Way“ für ihre Forschungsarbeit und ihre „beständigen Aktivitäten“ zugunsten des Friedens und der Verständigung. Er beendete seine Ansprache mit den Worten: „Mit diesen Gedanken rufe ich auf Sie und die Arbeiten Ihres Symposiums die Fülle des göttlichen Segens herab.“
Auch in Yad Vashem ändert sich die frühere Betrachtungsweise
Aber auch in Israel findet inzwischen ein gewisses Umdenken statt. Avner Shalev, der Leiter der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, erklärte im Mai 2009, sein Dokumentations-Center habe neue Unterlagen aus den vatikanischen Archiven erhalten, die das in den Medien verbreitete Bild von Pius XII. „zutiefst verändern“ könnten.
Demnach erteilte dieser Papst während des Zweiten Weltkrieges persönlich die Anweisung, verfolgte Juden in einem Kloster bei Rom zu verstecken. Aus Dankbarkeit dafür ließ sich der römische Großrabbiner Israel Zolli nach dem 2. Weltkrieg auf den Vornamen Eugenio taufen, als er in die katholische Kirche übertrat. (Der bürgerliche Name von Papst Pius XII. lautete Eugenio Pacelli.)
Am 25. Januar 2010 veröffentlichte der bedeutende französische Philosoph Bernard-Henri Levy ein deutliches Plädoyer für Pius XII. in „The Huffington Post“, worin er zugleich den damals vielfach attackierten Papst Benedikt verteidigt. Dieser jüdische Schriftsteller, in Frankreich unter dem Kürzel „BHL“ bekannt, wurde von der linken „ taz“ am 13.4.2007 in einem ansonsten kritischen Text als „der Popstar unter Frankreichs Intellektuellen“ bezeichnet.
BHLs Artikel vom 25.1.2010 beginnt mit den Worten: „Es ist Zeit, der Unaufrichtigkeit ein Ende zu setzen“ – und er kritisiert, daß ein Papst aus der Sicht der meisten Medien heute alles sein dürfe, „nur nicht konservativ“.
Der Philosoph wendet sich gegen den „Chor der Falsch-Informierer“ und verweist auf die päpstliche Enzyklika „Mit brennender Sorge“, die er als „eines der stärksten und aussagekräftigsten Anti-Nazi-Manifeste“ würdigt. Der spätere Papst Pius XII. und damalige päpstliche Nuntius in Deutschland, Kardinal Pacelli, sei „Mit-Autor“ dieses eindrucksvollen Dokumentes gewesen, das unter Papst Pius XI. erschien und 1937 von den kath. Kanzeln in Deutschland verlesen wurde.
Einen Tag vor BHLs Pius-Verteidigung war ein ähnlicher Artikel in der bekannten israelischen Tageszeitung „Haaretz“ zu lesen. Am 24. Januar 2010 wurde Papst Pius XII. in einem ausführlichen Bericht unter dem Titel „Der vielgeschmähte Papst“ vehement in Schutz genommen.
Auch „Haaretz“ erwähnt seine Mitarbeit an der Enzyklika „Mit brennender Sorge“, die den Nationalsozialismus wortgewaltig verurteilt habe: „Die Enzyklika wurde nach Deutschland geschmuggelt und am 21. März 1937 von den katholischen Kanzeln verlesen.“ – Die anspruchsvolle Zeitung zitiert aus einem Nazi-Dokument, wonach dieses päpstliche Rundschreiben „eines der schwersten Angriffe auf die deutsche Regierung“ sei, zumal es „die katholischen Bürger zum Aufstand gegen die Autorität des Staates“ auffordere.
Sodann verweist „Haaretz“ auf diverse Dokumente, die für Pius XII. sprechen, auch darauf, daß die Nazis äußerst unzufrieden waren, als Kardinal Pacelli zum Papst gewählt wurde. Am 4.3.1939 schrieb Joseph Goebbels in sein Tagebuch: „Mittags mit dem Führer. Es ist zu prüfen, ob wir das Konkordat mit Rom im Lichte der Wahl Pacelli als Papst kündigen sollten.“
Abschließend schreibt die bekannte israelische Tageszeitung, es sei wohl nur in einer „rückständigen Welt“ wie der heutigen möglich, einen so „einzigartigen Mann“, der so vielen Juden und Nazi-Opfern beigestanden habe, derart unfair zu schmähen.
Diese Aussagen verdeutlichen, daß es auch unter Juden durchaus unterschiedliche Ansichten über Papst Pius XII. und die Rolle der katholischen Kirche in der NS-Diktatur gibt. Das Plädoyer für eine faire und differenzierte Würdigung dieses Papstes schließt natürlich eine begründete Sachkritik nicht aus, lehnt aber Diffamierungen ab, wie sie in oberflächlichen Medien nicht selten zu lesen sind.
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