Baku – Begegnung mit den Behördenvertretern
Ansprache von Papst Franziskus
Apostolische Reise von Papst Franziskus nach Georgien und Aserbaidschan
(30. September 2016)
Begegnung mit den Behördenvertretern – Ansprache von Papst Franziskus
“Heydar Aliyev”-Zentrum – Baku
Sonntag, 2. Oktober 2016
Herr Präsident,
sehr geehrte Vertreter des öffentlichen Lebens,
verehrte Mitglieder des Diplomatischen Korps,
meine Damen und Herren,
ich freue mich sehr, Aserbaidschan zu besuchen, und ich danke Ihnen für den herzlichen Empfang in dieser Stadt, der Hauptstadt des Landes, die an den Ufern des Kaspischen Meeres liegt. Es ist eine Stadt, die ihr Aussehen radikal verändert hat durch ganz neue Bauwerke wie das, in dem diese Begegnung stattfindet. Ich bin Ihnen, Herr Präsident, von Herzen dankbar für die liebenswürdigen Worte, mit denen Sie mich im Namen der Regierung und des aserbaidschanischen Volkes willkommen geheissen haben, wie auch dafür, dass Sie mir dank Ihrer freundlichen Einladung die Möglichkeit gegeben haben, Ihren Besuch zu erwidern, den Sie im vergangenen Jahr gemeinsam mit Ihrer verehrten Frau Gemahlin im Vatikan abgestattet haben.
Ich bin in dieses Land gekommen mit einem Herzen voller Bewunderung für die Vielschichtigkeit und den Reichtum seiner Kultur. Sie ist die Frucht des Beitrags der vielen Völker, die im Laufe der Geschichte in dieser Region gelebt und ein Geflecht von Erfahrungen, Werten und Besonderheiten geschaffen haben, welche die heutige Gesellschaft kennzeichnen und sich in dem Wohlstand des modernen aserbaidschanischen Staates niederschlagen. Am kommenden 18. Oktober feiert Aserbaidschan das 25-jährige Jubiläum seiner Unabhängigkeit, und dieses Datum bietet die Gelegenheit, in einer Gesamtschau die Ereignisse dieser Jahrzehnte zu betrachten – die erreichten Fortschritte sowie die offenen Fragen, mit denen sich das Land auseinanderzusetzen hat.
Der bis jetzt zurückgelegte Weg zeigt deutlich die bemerkenswerten Anstrengungen, die unternommen wurden, um die Institutionen zu festigen und das wirtschaftliche wie zivile Wachstum der Nation zu fördern. Es ist ein Weg, der ständige Achtsamkeit gegenüber allen, besonders den Schwächsten, erfordert, ein Weg, der dank einer Gesellschaft möglich war, welche die Vorteile des Multikulturalismus und der notwendigen Komplementarität der Kulturen anerkennt, damit sich zwischen den verschiedenen Komponenten der Zivilgesellschaft und zwischen den Angehörigen unterschiedlicher religiöser Bekenntnisse Beziehungen gegenseitiger Zusammenarbeit und Achtung herstellen.
Dieses gemeinsame Bemühen im Aufbau einer Harmonie unter den Verschiedenheiten ist in dieser Zeit von besonderer Bedeutung, weil es zeigt, dass es möglich ist, die eigenen Vorstellungen und die eigene Lebensanschauung zu bezeugen, ohne die Rechte derer zu verletzen, die andere Auffassungen und Ansichten vertreten. Jede ethnische oder ideologische Zugehörigkeit muss wie jeder echte religiöse Weg Haltungen und Auffassungen ausschliessen, welche die eigenen Überzeugungen, die eigene Identität oder den Namen Gottes instrumentalisieren, um Bestrebungen, andere zu überwältigen und zu beherrschen, zu rechtfertigen.
Ich hoffe fest, dass Aserbaidschan auf dem Weg der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Kulturen und Religionsbekenntnissen voranschreitet. Möge die Eintracht und die friedliche Koexistenz immer mehr dem sozialen und zivilen Leben des Landes in seinen vielfältigen Ausdrucksformen zugute kommen und allen die Möglichkeit geben, ihren eigenen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten.
Die Welt erlebt leider das Drama vieler Konflikte, die in der Intoleranz ihren Nährboden finden. Und diese Intoleranz wird von gewalttätigen Ideologien und von der praktischen Verweigerung der Rechte der Schwächsten geschürt. Um uns diesem gefährlichen Abdriften wirksam zu widersetzen, brauchen wir ein Wachstum der Kultur des Friedens. Diese Kultur nährt sich von einer ständigen Bereitschaft zum Dialog und von dem Bewusstsein, dass es keine Alternativen gibt zur geduldigen und beharrlichen Suche nach Lösungen, die von allen mitgetragen werden, und dies durch faire und kontinuierliche Verhandlungen.
Wie es innerhalb der Grenzen einer Nation geboten ist, die Harmonie zwischen ihren verschiedenen Komponenten zu fördern, so ist es auch zwischen den Staaten notwendig, klug und mutig auf dem Weg voranzuschreiten, der zum wahren Fortschritt und zur Freiheit der Völker führt, und neue Pfade aufzutun, die auf dauerhafte Vereinbarungen abzielen und auf den Frieden. Auf diese Weise werden den Völkern gravierende Leiden und schmerzliche Risswunden erspart, die nur schwer zu heilen sind.
Auch in Bezug auf dieses Land möchte ich all denen, die ihre Heimat verlassen mussten, und den vielen Menschen, die aufgrund blutiger Konflikte leiden, voll Anteilnahme meine Nähe ausdrücken. Ich hoffe, dass die Internationale Gemeinschaft beständig ihre unverzichtbare Hilfe zu leisten versteht. Zugleich fordere ich alle auf, nichts unversucht zu lassen, um zu einer befriedigenden Lösung zu gelangen, mit dem Ziel, den Anbruch einer neuen Phase zu ermöglichen, die einem dauerhaften Frieden in der Region die Wege ebnet. Ich bin zuversichtlich, dass der Kaukasus mit Gottes Hilfe und dem guten Willen der Parteien der Ort sein kann, wo die Streitfragen und die Unstimmigkeiten durch Dialog und Verhandlungen beigelegt und überwunden werden. Auf diese Weise kann diese Zone, die Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Ihrem Land mit einem schönen Bild als » Tor zwischen Ost und West « bezeichnete, (vgl. Ansprache bei der Begrüssungszeremonie [22. Mai 2002]: L’Osservatore Romano [dt.] Jg. 32, Nr. 22 [31. Mai 2002], S. 7), auch zu einem offenen Tor für den Frieden werden und zu einem Vorbild, auf das man schauen kann, um alte und neue Konflikte zu lösen.
Die katholische Kirche ist, obwohl sie im Land eine zahlenmässig unbedeutende Präsenz darstellt, in das zivile und gesellschaftliche Leben Aserbaidschans eingegliedert, teilt ihre Freuden und ist solidarisch in der Auseinandersetzung mit seinen Schwierigkeiten. Ihre rechtliche Anerkennung, die in der Folge der Ratifizierung der internationalen Vereinbarung mit dem Heiligen Stuhl 2011 möglich wurde, hat ausserdem einen festeren normativen Rahmen für das Leben der katholischen Gemeinschaft in Aserbaidschan geboten.
Ich bin zudem sehr froh über die herzlichen Beziehungen, welche die katholische Gemeinschaft mit der islamischen, der orthodoxen und der jüdischen Gemeinschaft unterhält, und hoffe, dass die Zeichen der Freundschaft und der Zusammenarbeit sich weiter mehren. Diese guten Beziehungen haben eine wichtige Bedeutung für das friedliche Zusammenleben und den Frieden in der Welt und zeigen, dass zwischen Anhängern verschiedener Religionsbekenntnisse die Herzlichkeit der Beziehungen, die Achtung und das Zusammenwirken im Hinblick auf das Wohl aller möglich sind.
Die Hingabe an die echten religiösen Werte ist gänzlich unvereinbar mit dem Versuch, den anderen die eigenen Ansichten gewaltsam aufzuzwingen und sich dabei hinter dem heiligen Namen Gottes zu verstecken. Der Glaube an Gott soll dagegen Quell und Anregung sein, einander zu verstehen, zu achten und zu helfen, zum Vorteil des Gemeinwohls der Gesellschaft.
Gott segne Aserbaidschan mit Eintracht, Frieden und Wohlergehen.
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