Mulieris Dignitatem
Über die Würde und Berufung der Frau anlässlich des marianischen Jahres
Quelle: Apostolisches Schreiben über die Würde und Berufung der Frau anlässlich des Marianischen Jahres
Brief an die Frauen: Papst Johannes Paul II.
Marianisches Jahr: kathpedia
P. Josef Ketenich
Würde der Frauen: Friedrich Schiller
I. Einleitung
Ein Zeichen der Zeit
1. Die Würde der Frau und ihre Berufung – ständiges Thema menschlicher und christlicher Reflexion – haben in den letzten Jahren eine ganz besondere Bedeutung gewonnen.
Das beweisen unter anderem die Beiträge des kirchlichen Lehramtes, die sich in verschiedenen Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils wiederfinden, das dann in seiner Schlussbotschaft sagt: “Die Stunde kommt, die Stunde ist schon da, in der sich die Berufung der Frau voll entfaltet, die Stunde, in der die Frau in der Gesellschaft einen Einfluss, eine Ausstrahlung, eine bisher noch nie erreichte Stellung erlangt.
In einer Zeit, in welcher die Menschheit einen so tiefgreifenden Wandel erfährt, können deshalb die vom Geist des Evangeliums erleuchteten Frauen der Menschheit tatkräftig dabei helfen, dass sie nicht in Verfall gerät”.(1) Die Worte dieser Botschaft fassen zusammen, was bereits in der Lehre des Konzils, insbesondere in der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes(2) und im Dekret über das Laienapostolat Apostolicam Actuositatem,(3) Ausdruck gefunden hatte.
Ähnliche Stellungnahmen hatte es in der Zeit vor dem Konzil gegeben, zum Beispiel in einer Reihe von Ansprachen Papst Pius’ XII.(4) und in der Enzyklika Pacem in Terris von Papst Johannes XXIII.(5) Nach dem II. Vatikanischen Konzil hat mein Vorgänger Paul VI. die Bedeutung dieses “Zeichens der Zeit” zum Ausdruck gebracht, als er die heilige Theresia von Avila und die heilige Katharina von Siena zu Kirchenlehrerinnen erhob(6) und ausserdem auf Ersuchen der Bischofssynode vom Jahre 1971 eine eigene Kommission einrichtete, deren Zweck die Untersuchung der Probleme unserer Zeit im Zusammenhang mit der “Förderung der Würde und der Verantwortung der Frauen” war.(7) In einer seiner Ansprachen sagte Paul VI. unter anderem: “Im Christentum besass die Frau mehr als in jeder anderen Religion schon von den Anfängen an eine besondere Würdestellung, wofür uns das Neue Testament nicht wenige und nicht geringe Beweise bietet…; es erscheint ganz offenkundig, dass die Frau dazu bestimmt ist, an der lebendigen, tätigen Struktur des Christentums so stark teilzunehmen, dass vielleicht noch nicht alle Kräfte und Möglichkeiten dafür freigelegt worden sind”.(8)
Die Synodenväter der letzten Vollversammlung der Bischofssynode (Oktober 1987), die der “Berufung und Sendung der Laien in der Kirche und in der Welt zwanzig Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil” gewidmet war, haben sich erneut mit der Würde und Berufung der Frau beschäftigt. Sie haben unter anderem die Vertiefung der anthropologischen und theologischen Grundlagen verlangt, die für die Lösung der Probleme in Bezug auf die Bedeutung und Würde des Menschseins als Frau und als Mann notwendig sind. Es geht darum, den Grund und die Folgen der Entscheidung des Schöpfers zu verstehen, dass der Mensch immer nur als Frau oder als Mann existiert. Erst von diesen Grundlagen her, die ein tiefes Erfassen von Würde und Berufung der Frau erlauben, ist es überhaupt möglich, von ihrer aktiven Stellung in Kirche und Gesellschaft zu sprechen.
Das alles möchte ich im vorliegenden Dokument behandeln. Das nachsynodale Apostolische Schreiben, das danach veröffentlicht werden soll, wird Vorschläge pastoralen Charakters zur Stellung der Frau in Kirche und Gesellschaft vorlegen, zu denen die Synodenväter, auch unter Berücksichtigung der von den Laien-Auditoren – Männern und Frauen – aus den Teilkirchen aller Kontinente vorgetragenen Zeugnisse, wichtige Überlegungen angestellt haben.
Das Marianische Jahr
2. Die letzte Synode wurde während des Marianischen Jahres abgehalten, das einen besonderen Anstoss zur Auseinandersetzung mit diesem Thema bietet, worauf auch die Enzyklika Redemptoris Mater hinweist.(9) Diese Enzyklika entwickelt und aktualisiert die im VIII. Kapitel der Dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen Gentium enthaltene Lehre des II. Vatikanischen Konzils. Dieses Kapitel trägt einen bedeutsamen Titel: “Die selige jungfräuliche Gottesmutter Maria im Geheimnis Christi und der Kirche”. Maria – jene “Frau” der Bibel (vgl. Gen 3, 15; Joh 2, 4; 19, 26) – gehört eng zum Heilsmysterium Christi und ist daher in besondererer Weise auch im Mysterium der Kirche gegenwärtig. Da “die Kirche in Christus gleichsam das Sakrament (…) für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit” ist,(10) denken wir bei dieser besonderen Gegenwart der Gottesmutter im Geheimnis der Kirche an die einzigartige Beziehung zwischen dieser “Frau” und der ganzen Menschheitsfamilie. Es handelt sich hier um jeden einzelnen und jede einzelne, um alle Söhne und alle Töchter des Menschengeschlechts, in denen sich im Laufe der Generationen jenes grundlegende Erbe der ganzen Menschheit verwirklicht, das an das Geheimnis des biblischen “Anfangs” gebunden ist: “Gott schuf den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie” (Gen 1, 27).(11)
Diese ewige Wahrheit über den Menschen als Mann und Frau – eine Wahrheit, die auch in der Erfahrung aller fest verankert ist, – stellt gleichzeitig das Geheimnis dar, das sich nur im fleischgewordenen Wort wahrhaft aufklärt. “Christus macht dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschliesst ihm seine höchste Berufung”, so lehrt das Konzil.(12) Dürfen wir dann nicht in diesem “dem Menschen den Menschen Kundmachen” einen besonderen Platz für jene “Frau” entdecken, die die Mutter Christi wurde? Hat nicht vielleicht die im Evangelium – dessen Hintergrund die ganze Schrift, Altes und Neues Testament, ist – enthaltene “Botschaft” Christi der Kirche und der Menschheit Wesentliches zu sagen über Würde und Berufung der Frau?
Genau dies soll denn auch das Thema des vorliegenden Dokumentes sein, das sich in den weiten Rahmen des Marianischen Jahres einfügt, während wir uns dem Ende des zweiten und dem Beginn des dritten Jahrtausends seit der Christi nähern. Und es scheint mir das beste zu sein, diesem Text den Stil und Charakter einer Meditation zu geben.
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