II. Weltkrieg
II. Weltkrieg: Hitlers Pläne zur Entführung des Papstes waren konkret
Quelle
Papst Pius XII. (60)
Hitlers Pläne, während der deutschen Besatzung Roms den Papst zu entführen, waren offenbar konkreter als gedacht. Das geht aus einem langen Bericht aus der Hand des Sohn des damaligen Direktors der Vatikanischen Museen hervor; die Vatikanzeitung „L´Osservatore Romano“ veröffentlichte den Text an diesem Dienstag in voller Länge. Demnach musste der Museumsdirektor nach Warnungen ausländischer Diplomaten, die Entführung von Papst Pius XII. durch die SS stehe unmittelbar bevor, für diesen in einer Nacht- und Nebelaktion ein Versteck im Vatikan finden.
Autor des Textes ist der vor zwei Jahren im hohen Alter verstorbene Baron Antonio Nogara, Sohn von Bartolomeo Nogara (1868 – 1954), der seit 1920 bis zu seinem Tod die Vatikanischen Museen leitete. Familie Nogara bewohnte ein grosszügiges Apartment im Apostolischen Palast und war mit dem am Staatssekretariat beschäftigten Priester Giovanni Battista Montini befreundet; der spätere Papst Paul VI. logierte seinerseits in einer Dienstwohnung im Apostolischen Palast und begegnete den Nogaras häufig.
Nächtliche Notquartiersuche für den Papst
Die deutsche Besatzung Roms dauerte von September 1943 bis Juni 1944. In einer Winternacht in den letzten Januar- oder ersten Februartagen 1944 kam – Antonio Nogara zufolge – Montini in einer dringenden Angelegenheit zum Museumsdirektor. Der Sohn weckte den Vater, der sich dickvermummt (Pius XII. hatte in jenem kalten Kriegswinter mit Blick auf die notleidende römische Bevölkerung die Heizung im Vatikan abstellen lassen) zusammen mit Montini, einer Feuerwehr-Taschenlampe und vielen Schlüsseln auf den Weg machte und drei Stunden später zurückkehrte.
Tags darauf erzählte Bartolomeo Nogara seiner Familie unter dem Siegel der Verschwiegenheit, der britische Botschafter beim Heiligen Stuhl Sir Francis d´Arcy Osborne und sein Pendant aus den USA, Haroald Tittmann, hätten Montini eine wichtige Information von Militärgeheimdiensten weitergegeben. Es sei ein „fortgeschrittener Plan“ des deutschen Kommandos „zur Festnahme und Deportation des Heiligen Vaters“ im Schwange, unter dem Vorwand, ihn „unter dem persönlichen Schutz“ des Führers in Sicherheit zu bringen. Der Eingriff stehe unmittelbar bevor. In diesem Fall wären – so erzählte der Museumsdirektor seiner Familie unter Berufung auf Montini – die Alliierten mit einer Landung nördlich Roms und Fallschirmspringern eingeschritten, um die Entführung des Papstes zu verhindern.
Man musste also für zwei bis drei Tage ein Versteck für Pius XII. im Vatikan finden. Nogara und Montini entschieden sich nach einer ausführlichen nächtlichen Begehung der Museen und der Vatikan-Bibliothek für den sogenannten Turm der Winde, der sich über einem Flügel der Bibliothek erhebt. Nogara hatte dem Monsignore auch ein Versteck im Petersdom vorgeschlagen.
Im Vatikan waren Dutzende Menschen versteckt
Antonio Nogara erzählt von dramatischen Augenblicken und „persönlichen Risiken“: seine Familie hatte mehreren „Juden und Nicht-Juden“ dabei geholfen, sich im Vatikan zu verstecken. Ein Eindringen der nationalsozialistischen Kräfte im neutralen Vatikanstaat hätte alle in Gefahr gebracht und Vergeltungsmaßnahmen gegen Priester wie Laien geradezu herausgefordert. Mit Erleichterung habe der Museumsdirektor wenig später erfahren, dass Hitlers Entführungspläne für den Papst im Staatssekretariat bereits bekannt waren. „Sogar die Botschaft Deutschlands [beim Heiligen Stuhl] habe in Berlin die [im Fall der Papstentführung] unvermeidlichen negativen Folgen bei der katholischen Bevölkerung hervorgehoben, auch in neutralen Ländern.“ Die Papstentführung sei im Endeffekt dank deutscher diplomatischer Eingriffe nicht zustande gekommen, erfuhr Nogara.
Pläne der Nationalsozialisten, Papst Pius XII. unter „Schutzhaft“ zu stellen, waren der historischen Forschung bereits zuvor bekannt. Antonio Nogaras Zeitzeugenbericht fügt einen besonders aussagekräftigen Mosaikstein aus dem Inneren des Vatikans hinzu.
or 05.07.2016 gs
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