Zum Frieden erziehen
Eine stets aktuelle Aufgabe: Zum Frieden erziehen
Quelle
1979 Botschaft zum Weltfriedens-Tag, Papst Johannes Paul II
Weltfriedenstag: kathpedia
Botschaft seiner Heiligkeit Papst Johannes Paul II. zur Feier des Weltfriedenstages, 1. Januar 2004
Eine stets aktuelle Aufgabe: Zum Frieden erziehen.
Ich wende mich an euch, Lenker der Nationen, die ihr die Pflicht habt, Frieden zu stiften!
An euch, Juristen, die ihr darum bemüht seid, durch die Erarbeitung von Vereinbarungen und Verträgen, welche die völkerrechtliche Legalität bestärken, Wege für ein friedliches Einvernehmen abzustecken!
An euch, Erzieher der Jugend, die ihr auf jedem Erdteil unermüdlich dafür arbeitet, die Gewissen auf dem Weg der Verständigung und des Dialogs zu bilden!
Und ich wende mich auch an euch, Männer und Frauen, die ihr versucht seid, zum inakzeptablen Mittel des Terrorismus zu greifen, wodurch ihr im Grunde die Sache, für die ihr kämpft, in Frage stellt!
Hört alle den demütigen Appell des Nachfolgers Petri, der laut ruft: Heute noch, zu Beginn des neuen Jahres 2004, ist der Friede möglich. Und wenn der Friede möglich ist, dann ist er auch geboten!
Eine konkrete Initiative
1. Meine erste Botschaft zum Weltfriedenstag Anfang Januar 1979 stand unter dem Thema: »Zum Frieden erziehen, um zum Frieden zu gelangen« .
Jene Neujahrsbotschaft folgte den Spuren, die Papst Paul VI. seligen Angedenkens vorgezeichnet hat, der den 1. Januar eines jeden Jahres als Weltgebetstag für den Frieden feiern wollte. Ich erinnere an die Worte des verstorbenen Papstes zum Jahresbeginn 1968: »Wir würden es begrüssen, wenn sich jedes Jahr diese Feier wiederholen könnte als Wunsch und Gelöbnis, an den Anfang des Jahres, das die Zeit unseres menschlichen Daseins mißt und beschreibt, den Frieden zu stellen, um in seiner gerechten und wohltuenden Ausgeglichenheit die geschichtlichen Entwicklungen der Zukunft zu bestimmen« .1
Indem ich mir das Versprechen meines verehrten Vorgängers auf der Cathedra Petri zu eigen machte, wollte ich jedes Jahr die edle Tradition fortführen, den ersten Tag des bürgerlichen Jahres dem Nachdenken über und dem Gebet für den Frieden in der Welt zu widmen.
In den fünfundzwanzig Jahren meines Pontifikats, die mir der Herr bisher gewährt hat, habe ich nicht aufgehört, meine Stimme gegenüber der Kirche und der Welt zu erheben, um Glaubende wie alle Menschen guten Willens einzuladen, sich der Sache des Friedens anzunehmen, um zur Verwirklichung dieses wichtigen Gutes beizutragen und um dadurch der Welt eine bessere Ära in frohem Zusammenleben und gegenseitiger Achtung zu sichern.
Auch dieses Jahr verspüre ich die Pflicht, Männer und Frauen aller Kontinente zur Feier eines neuerlichen Weltfriedenstages einzuladen. Die Menschheit muß in der Tat heute mehr denn je den Weg der Einmütigkeit wiederfinden, der von Egoismen und Haß, von Herrschsucht und Rachsucht erschüttert wird.
Die Wissenschaft des Friedens
2. Die elf Botschaften, die Papst Paul VI. an die Welt gerichtet hat, haben allmählich die Koordinaten des Weges abgesteckt, der beschritten werden muß, um zum Ideal des Friedens zu gelangen. Nach und nach hat dieser große Papst die verschiedenen Kapitel einer wahren und eigentlichen »Wissenschaft des Friedens« beleuchtet. Es kann hilfreich sein, sich die Themen der Botschaften wieder ins Gedächtnis zu rufen, die uns der Montini-Papst zu diesem Anlaß hinterlassen hat.2 Jede von ihnen besitzt noch heute große Aktualität. Ja, angesichts des Dramas der Kriege, die zu Beginn des Dritten Jahrtausends weiterhin die Straßen der Welt, vor allem im Nahen Osten, mit Blut überziehen, erheben sich jene Schriften in manchen Passagen zu prophetischen Mahnungen.
Die Friedensfibel
3. Im Laufe dieser fünfundzwanzig Jahre meines Pontifikats habe ich meinerseits versucht, auf dem von meinem verehrten Vorgänger eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Zu Beginn eines jeden neuen Jahres habe ich die Menschen guten Willens aufgerufen, über die verschiedenen Aspekte eines geordneten Zusammenlebens im Lichte der Vernunft und des Glaubens nachzudenken.
Auf diese Weise ist eine Zusammenfassung der Lehre über den Frieden entstanden, die gleichsam eine Fibel zu diesem wichtigen Thema darstellt: eine Fibel, die für jeden recht gesinnten Menschen einfach zu verstehen ist, die sich aber zugleich mit ihrem äußerst anspruchsvollen Gehalt an alle wendet, denen das Los der Menschheit ein echtes Anliegen ist.3
Die verschiedenen Aspekte des Prismas Frieden sind nunmehr reichlich beleuchtet worden. Es bleibt jetzt nichts anderes zu tun als daran zu arbeiten, daß die Ideale des friedlichen Zusammenlebens mit seinen klaren Erfordernissen ins Bewußtsein der einzelnen und der Völker dringt. Für uns Christen ist die Aufgabe, uns selbst und die anderen zum Frieden zu erziehen, ein Wesenszug unserer Religion. Den Frieden zu verkünden bedeutet nämlich für den Christen Christus, der »unser Friede ist« (Eph 2, 14), und sein Evangelium, das »Evangelium vom Frieden« (Eph 6, 15), zu verkündigen, als auch alle an die Seligpreisung zu erinnern, »Friedensstifter« zu sein (vgl. Mt 5, 9).
Die Erziehung zum Frieden
4. In meiner Botschaft zum Weltfriedenstag am 1. Januar 1979 habe ich bereits den Aufruf »Zum Frieden erziehen, um zum Frieden zu gelangen« vorgelegt. Dies ist heute dringender denn je, da die Menschen angesichts der Tragödien, die fortwährend die Menschheit bedrücken, versucht sind, dem Fatalismus nachzugeben, als ob der Friede ein unerreichbares Ideal wäre.
Die Kirche hat jedoch stets gelehrt und lehrt heute noch einen sehr einfachen Grundsatz: Der Friede ist möglich. Mehr noch, die Kirche wird nicht müde zu wiederholen: Der Friede ist geboten. Er muß auf den vier Pfeilern aufgebaut werden, die der selige Johannes XXIII. in seiner Enzyklika Pacem in terris aufgezeigt hat, nämlich auf der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Liebe und der Freiheit. Allen, die den Frieden lieben, wird daher eine Pflicht auferlegt, und zwar jene, die jungen Generationen zu diesen Idealen zu erziehen, um eine bessere Zeit für die ganze Mensch- heit vorzubereiten.
Die Erziehung zur Legalität
5. Zu dieser Aufgabe der Erziehung zum Frieden gesellt sich mit besonderer Dringlichkeit die Notwendigkeit, die einzelnen Menschen und die Völker anzuleiten, die internationale Ordnung zu achten und die von den Autoritäten, ihren legitimen Vertretern, übernommenen Verpflichtungen zu beachten. Der Friede und das Völkerrecht sind eng miteinander verbunden: das Recht begünstigt den Frieden.
Seit den Anfängen der Zivilisation waren die sich herausbildenden Gruppierungen unter den Menschen darauf bedacht, untereinander Übereinkommen und Verträge abzuschließen, die den willkürlichen Gebrauch der Gewalt vermeiden und in den mit der Zeit auftretenden Streitigkeiten den Versuch einer friedlichen Lösung ermöglichen sollten. Auf diese Weise entstand allmählich neben den Rechtsordnungen der einzelnen Völker ein weiterer Komplex von Normen, der mit dem Namen ius gentium (Recht der Völker) bezeichnet wurde. Im Laufe der Zeit hat es angesichts der geschichtlichen Ereignisse in den verschiedenen Völkern weitere Verbreitung und Präzisierungen erfahren.
Eine starke Beschleunigung erfuhr dieser Prozeß mit der Entstehung der modernen Staaten. Seit dem 16. Jahrhundert bemühten sich Juristen, Philosophen und Theologen um die Erarbeitung der verschiedenen Abschnitte des Völkerrechts, das sie in den grundlegenden Postulaten des Naturrechts verankerten. Auf diesem Weg nahmen allgemeine Prinzipien, die dem innerstaatlichen Recht vorausgehen und es übertreffen und die der Einheit und der gemeinsamen Berufung der Menschheitsfamilie Rechnung tragen, mit zunehmender Kraft Gestalt an.
Eine zentrale Stellung unter all diesen Prinzipien nimmt mit Sicherheit der Grundsatz »pacta sunt servanda« ein: die mit freiem Willen unterzeichneten Abkommen müssen eingehalten werden. Dies ist der Angelpunkt und die unabdingbare Voraussetzung jeder Beziehung zwischen verantwortlich handelnden Vertragsparteien. Ihre Verletzung kann nur eine Situation der Gesetzlosigkeit und daraus folgender Spannungen und Gegensätze einleiten, die durchaus nachhaltige negative Rückwirkungen haben könnte. Der Hinweis auf diese Grundregel erweist sich vor allem bei jenen Anlässen als angemessen, in denen sich die Versuchung bemerkbar macht, lieber auf das Recht des Stärkeren als auf die Kraft des Rechtes zu setzen.
Einer dieser Anlässe war ohne Zweifel das Drama, das die Menschheit während des Zweiten Weltkrieges durchgemacht hat: ein Abgrund von Gewalt, Zerstörung und Tod, wie man ihn niemals zuvor kennengelernt hatte.
Die Befolgung des Rechtes
6. Dieser Krieg mit seinem Schrecken und schauerlichen Verletzungen der Würde des Menschen, zu denen er Anlaß geboten hat, führte zu einer tiefgreifenden Erneuerung der internationalen Rechtsordnung. Ins Zentrum eines weitgehend aktualisierten norm- gebenden und institutionellen Systems wurden der Schutz und die Sicherung des Friedens gestellt. Um über den Frieden und die Sicherheit auf globaler Ebene zu wachen sowie um das Bemühen der Staaten um die Wahrung und Gewährleistung dieser fundamentalen Güter der Menschheit zu ermutigen, richteten die Regierungen eigens eine Organisation ein – die Organisation der Vereinten Nationen – mit einem mit weitreichenden Handlungsvollmachten ausgestatteten Sicherheitsrat. Als Angelpunkt des Systems wurde das Verbot der Gewaltanwendung aufgestellt. Ein Verbot, das nach dem bekannten Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen nur zwei Ausnahmen vorsieht. Die eine bestätigt das natürliche Recht auf legitime Verteidigung, die nach den vorgesehenen Bedingungen und im Bereich der Vereinten Nationen auszuüben ist: folglich auch innerhalb der traditionellen Grenzen der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit.
Die andere Ausnahme besteht im kollektiven Sicherheitssystem, das dem Sicherheitsrat die Zuständigkeit und Verantwortung auf dem Gebiet der Aufrechterhaltung des Friedens mit Entscheidungsvollmacht und weitgehender Ermessensfreiheit zuspricht.
Das mit der Charta der Vereinten Nationen ausgearbeitete System hätte »künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges bewahren« sollen, »die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat« .4 Die Spaltung der internationalen Gemeinschaft in einander feindlich gegenüberstehende Blöcke, der Kalte Krieg auf einem Teil des Erdballs sowie die in anderen Regionen ausgebrochenen gewaltsamen Konflikte haben jedoch in den nachfolgenden Jahrzehnten ein zunehmendes Abrücken von den Prognosen und Erwartungen der unmittelbaren Nachkriegszeit verursacht.
Eine neue internationale Ordnung
7. Dennoch muß man anerkennen, daß die Organisation der Vereinten Nationen trotz der Grenzen und Verzögerungen, die großteils auf Versäumnisse ihrer Mitglieder zurückzuführen sind, durch die Aufbereitung des kulturellen und institutionellen Bodens für den Aufbau des Friedens bedeutend dazu beigetragen hat, die Achtung der Menschenwürde, die Freiheit der Völker und den Anspruch auf Entwicklung zu fördern.
Die nationalen Regierungen werden eine starke Ermutigung für ihre Tätigkeit aus der Feststellung schöpfen, daß die Ideale der Vereinten Nationen insbesondere durch die konkreten Solidaritäts- und Friedensgesten vieler Menschen, die in Nichtregierungsorganisationen und in Menschenrechtsbewegungen arbeiten, weit verbreitet sind.
Es handelt sich um einen bedeutsamen Ansporn zu einer Reform, die die Organisation der Vereinten Nationen für die Erreichung ihrer noch immer gültigen satzungsgemäßen Ziele funktionsfähig machen soll: »Die Menschheit braucht jedoch heute, angesichts einer neuen und schwierigeren Phase ihrer authentischen Entwicklung, … einen höheren Grad internationaler Ordnung« .5 Die Staaten müssen dieses Ziel als eine klare moralische und politische Verpflichtung ansehen, die Klugheit und Entschlossenheit verlangt. Ich erneuere den Wunsch, den ich 1995 ausgesprochen habe: »Es ist notwendig, daß die Organisation der Vereinten Nationen sich immer mehr aus dem kalten Stadium einer administrativen Institution zu dem eines moralischen Zentrums erhebt, in dem sich alle Nationen der Welt zu Hause fühlen und ihr gemeinsames Bewußtsein entfalten, sozusagen eine ,,Familie der Nationen” zu sein« .6
Die unheilvolle Plage des Terrorismus
8. Nur mit Mühe kann das Völkerrecht heute Lösungen für die Konfliktsituationen anbieten, die von der veränderten Gestalt der gegenwärtigen Welt herrühren. Unter den Trägern dieses Konfliktpotentials finden sich oft nicht-staatliche Akteure: Gruppen, die aus dem Zerfall der Staaten hervorgegangen sind, sei es in Verbindung mit Unabhängigkeitsforderungen oder im Zusammenhang mit rücksichtslosen kriminellen Organisationen. Eine Rechtsordnung von Normen, die im Laufe der Jahrhunderte ausgearbeitet wurden, um die Beziehungen zwischen souveränen Staaten zu regeln, tut sich schwer, Konflikten entgegenzutreten, in denen auch Gruppen agieren, die sich nicht nach den herkömmlichen Wesensmerkmalen der Staatlichkeit erfassen lassen. Dies gilt insbesondere im Fall terroristischer Vereinigungen.
Die Plage des Terrorismus ist in diesen Jahren aggressiver geworden und hat abscheuliche Massaker verübt, die den Weg des Dialogs und der Verhandlung immer hindernisreicher machten, da sie besonders im Nahen Osten die Gemüter erbittert und die Probleme verschärft haben.
Um erfolgreich zu sein, kann sich jedoch der Kampf gegen den Terrorismus nicht bloß in Unterdrückungs- und Strafaktionen erschöpfen. Es ist unbedingt erforderlich, daß der – gleichwohl notwendige – Rückgriff auf Gewalt begleitet ist von einer mutigen, nüchternen Analyse der Beweggründe, die den terroristischen Anschlägen zugrunde liegen. Zugleich muß der Einsatz gegen den Terrorismus auch auf der politischen und pädagogischen Ebene seinen Ausdruck finden: einerseits durch Beseitigung der Ursachen von Unrechtssituationen, die häufig Auslöser blutigster Verzweiflungstaten sind; andererseits dadurch, daß man sich für eine Bildung einsetzt, die von der Achtung vor dem menschlichen Leben unter allen Umständen inspiriert ist. Die Einheit des Menschengeschlechtes ist in der Tat stärker als zufällige Entzweiungen, die Menschen und Völker voneinander trennen.
Im notwendigen Kampf gegen den Terrorismus ist das Völkerrecht nun aufgerufen, juridische Prozeduren zu erarbeiten, die mit wirksamen Mechanismen zur Vorbeugung, Kontrolle und Bekämpfung von Verbrechen ausgestattet sind. Die demokratischen Regierungen wissen jedenfalls sehr wohl, daß die Anwendung von Gewalt gegenüber Terroristen den Verzicht auf die rechtsstaatlichen Prinzipien nicht rechtfertigen kann. Politische Entscheidungen, die ohne Rücksicht auf die Grundrechte des Menschen den Erfolg suchen, wären inakzeptabel: Der Zweck heiligt niemals die Mittel!
Der Beitrag der Kirche
9. »Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden« (Mt 5, 9). Wie könnte dieses Wort, das zum Einsatz im unermeßlich weiten Feld des Friedens auffordert, so starken Widerhall im Herzen des Menschen finden, wenn es nicht einer Sehnsucht und einer Hoffnung entspräche, die unzerstörbar in uns lebendig sind? Und aus welchem anderen Grund sollen die Friedensstifter Söhne Gottes genannt werden, wenn nicht deshalb, weil Gott von Natur aus der Gott des Friedens ist? Eben darum enthält die Heilsbotschaft, deren Verbreitung in der Welt die Kirche dient, Lehrelemente von grundsätzlicher Bedeutung für die Erarbeitung der Prinzipien, die für ein friedliches Zusammenleben zwischen den Völkern notwendig sind.
Die geschichtlichen Ereignisse lehren uns, daß der Aufbau des Friedens nicht von der Achtung einer sittlichen und rechtlichen Ordnung absehen kann, gemäß dem antiken Sprichwort: »Serva ordinem et ordo servabit te« (Halte die Ordnung ein, und die Ordnung wird dich erhalten). Das internationale Recht muß der Vorherrschaft des Gesetzes des Stärkeren den Boden entziehen. Sein Hauptzweck besteht darin, »die materielle Stärke der Waffen durch die moralische Stärke des Rechtes« 7 zu ersetzen, indem es angemessene Sanktionen gegen die Gesetzesbrecher sowie adäquate Entschädigungen für die Opfer vorsieht. Das muß auch für jene Regierenden gelten, die unter dem inakzeptablen Vorwand, es handle sich um innere Angelegenheiten ihres Staates, die Würde und die Rechte des Menschen ungestraft verletzen.
In meiner Ansprache an das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Corps am 13. Januar 1997 habe ich das Völkerrecht als ein erstrangiges Instrument für die Schaffung des Friedens anerkannt: »Das internationale Recht war lange Zeit ein Recht des Krieges und des Friedens. Ich glaube, daß es mehr und mehr dazu berufen ist, ausschließlich zu einem Recht des Friedens zu werden, wobei der Friede als Voraussetzung für Gerechtigkeit und Solidarität verstanden werden soll. In diesem Kontext muß die Moral das Recht fruchtbar machen; sie kann sogar dem Recht in dem Maße vorgreifen, wie sie ihm die Richtung dessen, was gerecht und gut ist, aufzeigt« .8
Im Laufe der Jahrhunderte hat die Kirche durch die philosophische und theologische Reflexion zahlreicher christlicher Denker einen erheblichen Lehrbeitrag zur Ausrichtung des Völkerrechts auf das Gemeinwohl der ganzen Menschheitsfamilie erbracht. Vornehmlich in der Geschichte der Gegenwart haben die Päpste nicht gezögert, die Bedeutung des internationalen Rechtes als Gewähr für den Frieden zu unterstreichen, in der Überzeugung, daß »für die Menschen, die Frieden stiften, die Saat der Gerechtigkeit ausgestreut wird« (Jak 3, 18). Auf diesem Weg engagiert sich die Kirche mit den ihr eigenen Mitteln – im unvergänglich hellen Licht des Evangeliums und mit der unentbehrlichen Hilfe des Gebetes.
Die Zivilisation der Liebe
10. Zum Abschluß dieser Überlegungen halte ich es jedoch für notwendig, daran zu erinnern, daß für die Aufrichtung des wahren Friedens in der Welt die Gerechtigkeit ihre Vervollständigung in der Liebe finden muß. Gewiß ist das Recht der erste Weg, der eingeschlagen werden muß, um zum Frieden zu gelangen. Und die Völker sollen zur Achtung dieses Rechtes erzogen werden. Man wird aber nicht das Ende des Weges erreichen, wenn nicht die Liebe die Gerechtigkeit ergänzt. Gerechtigkeit und Liebe erscheinen manchmal wie gegensätzliche Kräfte. In Wahrheit sind sie nur die zwei Gesichter ein und derselben Wirklichkeit, zwei Dimensionen der menschlichen Existenz, die sich gegenseitig vervollständigen müssen. Die geschichtliche Erfahrung kann dies bestätigen. Sie zeigt, wie es der Gerechtigkeit oft nicht gelingt, sich vom Groll, vom Haß und nicht einmal von der Grausamkeit zu befreien. Die Gerechtigkeit allein genügt nicht. Im Gegenteil, sie kann bis zur Selbstverneinung gehen, wenn sie sich nicht jener tieferen Kraft öffnet, die die Liebe ist.
Deswegen habe ich die Christen und alle Menschen guten Willens immer wieder an die Notwendigkeit der Vergebung erinnert, um die Probleme sowohl der einzelnen wie auch der Völker zu lösen. Es gibt keinen Frieden ohne Versöhnung! Ich wiederhole es auch bei dieser Gelegenheit, wobei ich besonders die Krise vor Augen habe, die in Palästina und im Mittleren Osten weiter um sich greift: Eine Lösung für die sehr ernsten Probleme, unter denen die Bevölkerungen jener Regionen schon allzu lange zu leiden haben, wird man nicht finden, solange man sich nicht entschließt, die Logik der einfachen Gerechtigkeit zu überwinden, um sich auch der Logik der Vergebung zu öffnen.
Der Christ weiß, daß die Liebe der Grund ist, weshalb Gott mit dem Menschen in Beziehung tritt. Und ebenso ist es die Liebe, die Gott sich als Antwort vom Menschen erwartet. Die Liebe ist darum auch die erhabenste und vornehmste Beziehungsform der Menschen untereinander. Die Liebe soll daher jeden Bereich des menschlichen Lebens beseelen und sich desgleichen auf die internationale Ordnung ausdehnen. Nur eine Menschheit, in der die »Zivilisation der Liebe« herrscht, wird sich eines wahren und bleibenden Friedens erfreuen können.
Zu Beginn eines neuen Jahres möchte ich die Frauen und Männer aller Sprachen, Religionen und Kulturen an den antiken Leitspruch erinnern: »Omnia vincit amor« (Die Liebe besiegt alles). Ja, liebe Brüder und Schwestern in jedem Teil der Welt, am Ende wird die Liebe siegen! Ein jeder bemühe sich, diesen Sieg zu beschleunigen. Denn nach ihm sehnt sich im Grunde das Herz aller.
Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 2003.
JOHANNES PAUL II.
1Insegnamenti, V (1967), S. 620.
2 1) 1968: 1. Januar: Weltfriedenstag
2) 1969: Menschenrechte, der Weg zum Frieden
3) 1970: Erziehung zum Frieden durch Versöhnung
4) 1971: Jeder Mensch ist mein Bruder
5) 1972: Willst du den Frieden, so arbeite für die Gerechtigkeit
6) 1973: Der Friede ist möglich
7) 1974: Der Friede hängt auch von dir ab!
8) 1975: Versöhnung, der Weg zum Frieden
9) 1976: Die echten Waffen des Friedens
10) 1977: Wenn du den Frieden willst, verteidige das Leben
11) 1978: Nein zur Gewalt – Ja zum Frieden
3Die Themen der weiteren 25 Weltfriedenstage lauteten:
1) 1979: Zum Frieden erziehen, um zum Frieden zu gelangen
2) 1980: Die Wahrheit, Stärke des Friedens
3) 1981: Schütze die Freiheit, dann dienst du dem Frieden
4) 1982: Der Friede, Gottes Geschenk, dem Menschen anvertraut
5) 1983: Der Dialog für den Frieden: Eine Forderung an unsere Zeit
6) 1984: Der Friede entspringt einem neuen Herzen
7) 1985: Frieden und Jugend zusammen unterwegs
8) 1986: Der Friede, Wert ohne Grenzen. Nord-Süd, Ost-West: Ein
einziger Friede
9) 1987: Entwicklung und Solidarität: Zwei Schlüssel zum Frieden
10) 1988: Religionsfreiheit, Bedingung für friedliches Zusammenleben
11) 1989: Um Frieden zu schaffen, Minderheiten achten
12) 1990: Friede mit Gott, dem Schöpfer, Friede mit der ganzen
Schöpfung
13) 1991: Wenn du den Frieden willst, achte das Gewissen jedes
Menschen
14) 1992: Die Gläubigen vereint im Aufbau des Friedens
15) 1993: Willst du den Frieden, komm den Armen entgegen
16) 1994: Aus der Familie erwächst der Friede für die Menschheits-
familie
17) 1995: Die Frau: Erzieherin zum Frieden
18) 1996: Bereiten wir den Kindern eine friedliche Zukunft
19) 1997: Biete die Vergebung an, empfange den Frieden
20) 1998: Aus der Gerechtigkeit des einzelnen erwächst der Frieden
für alle
21) 1999: In der Achtung der Menschenrechte liegt das Geheimnis
des wahren Friedens
22) 2000: »Friede auf Erden den Menschen, die Gott liebt«
23) 2001: Dialog zwischen den Kulturen für eine Zivilisation der
Liebe und des Friedens
24) 2002: Kein Friede ohne Gerechtigkeit, keine Gerechtigkeit ohne
Vergebung
25) 2003: »Pacem in terris« : Eine bleibende Aufgabe
4Präambel.
5Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, Nr. 43: AAS 80 (1988), S. 575.
6Johannes Paul II., Ansprache an die 50. Vollversammlung der Vereinten Nationen, New York (5. Oktober 1995), Nr. 14: Insegnamenti, XVIII/2 (1995), S. 741.
7Benedikt XV., Aufruf an die Oberhäupter der kriegführenden Völker (1. August 1917): AAS 9 (1917), S. 422.
8Nr. 4: Insegnamenti, XX/1 (1997), S. 97.
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