Lieber tot als behindert?
Das Gesetz über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung täuscht falsche Tatsachen vor
Quelle
Dignitas Personae: Vatikan: Kongregation für die Glaubenslehre “Intruktion Dignitas Personae über einige Fragen der Bioethik
Von Bischof Vitus Huonder
Am 5. Juni kommt das revidierte Fortpflanzungsmedizingesetz vors Volk. Dazu werden wir in den Abstimmungsunterlagen gefragt: “Wollen Sie die Änderung vom 12. Dezember 2014 des Bundesgesetzes über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung (Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG) annehmen?” Dies lädt zu einer positiven Antwort ein. Wer möchte sich schon gegen eine wertvolle medizinische Innovation stellen? Das ist doch selbstverständlich, das ist etwas Gutes. Die Medizin ist da, um zu helfen und Leben zu erhalten. Wer kann sich das Verbot einer medizinischen Fortpflanzungshilfe wünschen, gerade in Zeiten des Geburtenrückgangs?
Die Fragestellung führt leider in die Irre. Sie täuscht etwas vor. Sie täuscht ein Gut vor, wo ein Übel besteht. Sie erwähnt nur die Sonnenseite und verschweigt die Schattenseite. Sie vermischt ein Gut mit einem Übel – und zwar so, dass das Übel von den Menschen gar nicht mehr wahrgenommen werden soll. Ehrlicherweise müsste die Frage etwa so lauten: “Wollen Sie die Änderung vom 12. Dezember 2014 des Bundesgesetzes über die Tötung von Embryonen annehmen?” Dazu die Erklärung: “Embryonen sind Menschen im Anfangsstadium des Lebens.” Im Klartext würde die Frage also lauten: “Wollen Sie die Änderung vom 12. Dezember 2014 des Bundesgesetzes über die medizinisch unterstützte Tötung von Menschen im Anfangsstadium des Lebens annehmen?”
Im Text der Vorlage wird vom Einsetzen der Embryonen gesprochen. Dabei wird abermals etwas Entscheidendes verschwiegen, nämlich die Frage, was nach einer negativen genetischen Untersuchung passiert. In den Unterlagen steht: “Dabei dürfen pro Behandlung höchstens zwölf Embryonen entwickelt werden.” Aber es steht nichts darüber, was mit den elf weiteren Embryonen geschieht, nachdem einer zum Einsatz gekommen ist. Gesagt wird nur: “Nicht sofort eingesetzte Embryonen können für eine spätere Behandlung eingefroren werden.” Das ist ja sehr menschenwürdig! Ein Leben auf Reserve im Kühlschrank, falls die neuen Herren der Schöpfung eines Tages erlauben, dass es aufgetaut wird.
Nicht der Lüge verfallen
Die Lüge, das Vortäuschen falscher Tatsachen oder Wirklichkeiten, ist in sich etwas Teuflisches. Satan wird Vater der Lüge genannt (Joh 8,44). Denn er täuscht dem Menschen etwas vor, was nicht ist. Er täuscht etwas vor, was zur Vernichtung und zum Tod führt. Das ist die Lehre aus der Paradiesesgeschichte. Und wir müssen auch heute sehr darauf achten, dass wir nicht dem Geist der Lüge verfallen. Wir müssen uns immer wieder darum bemühen, die Lebensverachtung und Menschenverachtung, die im Laufe der Geschichte verschiedene Formen annehmen, als solche zu erkennen. In diesem Fall müssen wir erkennen, dass uns Lebensverachtung und Menschenverachtung durch staatliche Gesetze als Kampf gegen das Leid, als Fortschritt und erstrebenswertes Gut angepriesen werden.
Beim Fortpflanzungsmedizingesetz geht es nicht um das Verhindern von Leid, sondern um die Eliminierung derer, die leiden. Demgegenüber warnt die Kirche mit Nachdruck vor der Anmassung, die eigenmächtige vorgeburtliche Selektion als Fortschritt oder Ausdruck humaner Medizin zu betrachten. Eine solche Denkart nennt das Dokument “Dignitas personae” der Kongregation für die Glaubenslehre (2008) “niederträchtig und höchst verwerflich”. In diesem Text heisst es: “Wenn man den menschlichen Embryo als blosses Labormaterial behandelt, kommt es zu einer Veränderung und Diskriminierung des Begriffs der Menschenwürde. (…) So anerkennt man nicht mehr den ethischen und rechtlichen Status von Menschen, die mit schweren Pathologien oder Behinderungen behaftet sind. Man vergisst, dass kranke und behinderte Personen nicht eine Art Sonderkategorie bilden, weil Krankheit und Behinderung zum Menschsein gehören und alle persönlich angehen, auch wenn man nicht direkt davon betroffen ist. Eine solche Diskriminierung ist unsittlich und müsste als rechtlich unannehmbar betrachtet werden.”
Beschönigte Unkultur
Ich glaube, diese Worte helfen uns heute mehr denn je beim rechten Umgang mit den Möglichkeiten der Wissenschaft. Selbstverständlich ist die Medizin ein Segen für die Menschheit. Aber das Problem ist der Punkt, an dem die bestmögliche Behandlung zum Versuch einer völligen Beherrschung wird, zu Selektion und Tötung. Und in einem grösseren Zusammenhang gedacht: Was ist das für eine Gesellschaft, die das Leid derart fürchtet, dass sie den Leidenden lieber tötet, noch vor der Geburt, statt ihn in Nächstenliebe anzunehmen? Was ist das für eine Kultur, die sagt: “Lieber tot als krank, lieber ausgelöscht als behindert.”
Nein, das ist keine menschenfreundliche Kultur. Und im Grunde wissen wir das auch. Zumindest spüren wir, dass etwas faul ist. Darum versucht man nämlich, uns diese Unkultur mit technisch klingenden Beschönigungen und mit Lügen unterzujubeln.
Dr. theol. habil. Vitus Huonder ist Diözesanbischof des Bistums Chur.
Schreibe einen Kommentar