Alzheimer – Das langsame Vergessen


Die Alzheimer-Krankheit, eine fatale Gedächtnisschwäche, bereitet vielen Menschen Angst und Sorge

Alzheimer

Vieles ist weiterhin unerforscht. Heute, 100 Jahre nach dem Tod des Entdeckers und Psychiaters Alois Alzheimer, gibt es für diese Krankheit noch immer keine Heilung. Weltweit wird daran geforscht, aber bislang ist kein Durchbruch gelungen.

Es beginnt kaum spürbar: Leichte Vergesslichkeit, nachlassende Urteilsfähigkeit, Orientierungsprobleme, Sprachschwierigkeiten, öftere Geistesabwesenheit lassen ahnen, dass etwas nicht stimmt. Das ist das erste Stadium der Krankheit, der Anfang, wenn das Gehirn beginnt, sich langsam auszuschalten. Und auch der Betroffene spürt das, wird unruhig, ahnt, was auf ihn zukommt, hat Angst und wird vielleicht auch aggressiv.

Im zweiten Stadium folgt der Abschied vom Ich. Der Betroffene erkennt seine Umgebung und mitunter selbst seinen Partner nicht mehr, findet sich nicht zurecht, kann sich nicht sauber halten und nicht allein essen. Der geistige und körperliche Verfall ist jetzt für alle sichtbar. Danach beginnt das dritte Stadium. Dieses kann Jahre dauern, fünf, sechs, sieben Jahre. In dieser Zeit hat der Betroffene die Intelligenz eines Neugeborenen erreicht und erst der Tod setzt der Entmündigung und Entwürdigung einer einstmaligen Persönlichkeit ein Ende.

Diesen Prozess einer ständig fortschreitenden Gehirnschwäche beziehungsweise geistiger Zerrüttung nennt man Alzheimer-Krankheit, Morbus Alzheimer, Demenz oder salopp einfach Alzheimer. Die Krankheit ist mit diagnostischen Methoden nur schwer erkennbar und zurzeit sowie wohl auch in näherer Zukunft in ihrem Verlauf nicht beeinflussbar oder gar heilbar, wenn auch immer wieder neue Nachrichten gemeldet werden, die zu einiger Hoffnung Anlass geben. Allenfalls sind die Symptome durch medikamentöse Gaben von Vitaminen oder durch Medikamente, durch geistige Beanspruchungen und durch eine „rund um die Uhr-Betreuung“ in gewissen Grenzen hinausschiebbar, so dass viele Patienten den Beginn der Erkrankung immerhin um zehn bis vielleicht auch 15 Jahre „überleben“.

Der bekannte Psychiater Emil Kraepelin (1856-1926) hat die Alzheimer-Krankheit nach dem Namen seines relativ früh verstorbenen Schülers Alois Alzheimer (1864-1915) getauft. Über Alzheimers Leben ist heute wenig bekannt. Er soll ein sinnlicher, humorvoller, toleranter und gutmütiger Mann gewesen sein, und sein Bestreben als Arzt war: zu helfen. Mitunter stuft man ihn ein in die Gruppe der konservativen Verfechter der sogenannten Rassenhygiene, die später in Deutschland zur Staatsdoktrin erhoben wurde. Doch das widerspricht eigentlich seinem Curriculum, denn er war mit einer wohlhabenden Jüdin verheiratet, die früh starb. Seine drei Kinder überlebten später nur, weil sie keine sogenannten Volljuden waren. Mit dem Vermögen, das seine Frau ihm hinterliess, war es Alzheimer möglich, seine für die damalige Zeit überaus gewissenhaften und tiefgreifenden Forschungen zu finanzieren, die mit der Berufung an den Lehrstuhl für Psychiatrie in Breslau honoriert wurden. Alzheimer starb, erst 51-jährig, an einer Infektion, die man ein Vierteljahrhundert später mit Penicillin hätte behandeln können.

Alzheimer hatte in der Städtischen Irrenanstalt Frankfurt am Main eine 50-jährige Patientin behandelt, der nur wenig mehr als die Erinnerung an ihren Vornamen geblieben war. Es war die Patientin, die Alzheimer berühmt machen sollte: Auguste Deter. Ihr Ehemann brachte sie in die Anstalt, nachdem sie sich innerhalb eines Jahres stark verändert hatte. Sie war eifersüchtig geworden, konnte einfache Aufgaben im Haushalt nicht mehr verrichten, versteckte Gegenstände, fühlte sich verfolgt und behelligte aufdringlich die Nachbarschaft. Das Krankenblatt von Auguste D. wurde 1996 im Archiv der psychiatrischen Klinik in Frankfurt am Main wiedergefunden.[

Aus den Aufzeichnungen Dr. Alzheimers lesen wir:

„Wie heissen Sie?“
„Auguste.“
„Familienname?“
„Auguste.“
„Wie heisst ihr Mann?“ – (Auguste zögert, antwortet schliesslich)
„Ich glaube… Auguste.“
„Ihr Mann?“
„Ach so.“
„Wie alt sind Sie?“
„51.“
Wo wohnen Sie?“
„Ach, Sie waren doch schon bei uns.“
„Sind Sie verheiratet?“
„Ach, ich bin doch so verwirrt.“
„Wo sind Sie hier?“
„Hier und überall, hier und jetzt, Sie dürfen mir nichts übel nehmen.“
„Wo sind Sie hier?“
„Da werden wir noch wohnen.“
„Wo ist Ihr Bett?“
„Wo soll es sein?“„
„Was essen Sie?“
„Spinat.“
„Was essen Sie jetzt?“
„Ich esse erst Kartoffeln und dann Kren.“
„Schreiben Sie eine fünf.“
Sie schreibt: „Eine Frau“
„Schreiben Sie eine Acht.“
Sie schreibt: „Auguste“:

Beim Schreiben sagt Auguste wiederholt: „Ich habe mich sozusagen verloren“. In den nächsten Wochen bestätigten weitere geduldige Befragungen die schwere geistige Verwirrung. Die Patientin jammerte oft und sagte „ach Gott“. Alzheimer stellte fest, dass die Patientin keine Orientierung über Zeit oder Aufenthaltsort mehr hatte, sich kaum an Einzelheiten aus ihrem Leben erinnern konnte und oft Antworten gab, die keinen Bezug zur Frage hatten und auch sonst ohne Zusammenhang blieben. Ihre Stimmungen wechselten rasch zwischen Angst, Misstrauen, Ablehnung und Weinerlichkeit. Man konnte sie nicht allein durch die Räumlichkeiten der Klinik gehen lassen, da sie dazu neigte, allen anderen Patienten ins Gesicht zu fassen, und dafür von diesen geschlagen wurde.

Es war nicht das erste Mal, dass Alzheimer einem schwer verwirrten Patienten begegnete. Früheren Fällen mit ähnlichen Befunden hatte er aber keine Bedeutung beigemessen, weil die Patienten oft annähernd 70 Jahre oder älter waren. Auguste Deter machte ihn neugierig, denn zum Zeitpunkt ihrer Einlieferung war sie erst 50 Jahre alt. Alzheimer gab dem Krankheitsbild den Namen „Krankheit des Vergessens“. Wort für Wort hielt Alzheimer in der mehrtägigen Befragung seiner verwirrten Patientin fest. Sorgfältig prüfte er die intellektuellen und sprachlichen Fähigkeiten der Kranken, ihre Reflexe, die Organfunktionen. Eine Diagnose stellte er nicht – konnte er auch nicht, er war wie seine Kollegen, die er hinzuzog, ratlos. Fünf Jahre später starb die Kranke, und Alzheimer notierte gewissenhaft: „Allgemein verblödet“ und „völlig stumpf“. Danach sezierte er ihr Gehirn und entdeckte einen „eigenartigen Krankheitsprozess“: Beträchtliche Teile der Hirnrinde, die Gedächtnis, Orientierung und das Gefühlsleben ermöglichen, waren stark verändert. Die Besonderheit aber lag darin, dass es sich um eine Demenz handelte, bei der keine Arteriosklerose im Gehirn vorlag. 1906 veröffentlichte Alzheimer seine vorbildlich zu nennende Fallstudie „Eine eigenartige Krankheit der Hirnrinde“. Sie wurde archiviert und – vergessen. Kaum ein Fachkollege mochte sich mit dem tristen Leiden näher befassen, das zudem nur wenig Reputation versprach. Und auch ein dreiviertel Jahrhundert später galt die Krankheit als eine exotische, selten auftretende Altersdemenz (Altersschwachsinn), die in den Lehrbüchern mit ein paar Zeilen abgetan wurde, obschon allein in Deutschland zu dieser Zeit Hunderttausende von ihr betroffen waren.

Die Alzheimer-Krankheit wird nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eines der grössten medizinischen Probleme der Zukunft werden. Gegenwärtig sind in Deutschland schätzungsweise 1,6 Millionen Menschen von ihr betroffen, wobei die Dunkelziffer sehr hoch ist. Da die Lebenserwartung weiter steigt, kommen jährlich etwa 70.000 hinzu. Von dem grossen Leiden der Erkrankten und der sie pflegenden Angehörigen nimmt die Öffentlichkeit auch heute nur wenig Notiz, denn es findet überwiegend im privaten Kreis oder hinter den Mauern alterspsychiatrischer Klinikabteilungen statt. Nicht zuletzt hat jedoch das Bekanntwerden von immer mehr prominenten Alzheimer-Erkrankten die Forscher zum Kampf aufgerufen. So werden jetzt auch in Deutschland hierfür vermehrt Mittel zur Verfügung gestellt, und im Dezember 1996 wurde in Frankfurt am Main das erste Zentrum zur Erforschung der Alzheimer-Krankheit gegründet. In mehreren Forschungsprojekten wollen Kliniken und das Max-Planck-Institut für Hirnforschung Ansatzpunkte zur Früherkennung und für mögliche Therapien finden. Einen Vorkämpfer hierfür gab es schon: Alois Alzheimer.

Was sagt nun die Kirche zur Alzheimer Krankheit – zum langsamen Vergessen?

Papst Franziskus hat zu einer intensiveren Pflege und Betreuung von Demenz-Kranken aufgerufen, aber auch zu mehr Hilfestellungen für deren Familien. Es gehe dabei nicht nur um medizinische Behandlung, sondern auch um menschliche Pflege und Zuwendung, die der Würde der Patienten Rechnung trage. Das sagte der Papst jüngst vor einem Fachkongress im Vatikan.

Auch kranke und gebrechliche Menschen behielten stets ihren Wert, ungeachtet aller Diskriminierungen, betonte der Papst in seiner Ansprache an die Teilnehmer. Mit der gestiegenen Lebenserwartung der Menschen nähmen auch Demenzerkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson zu. Sie bildeten eine besondere Herausforderung an Medizin, Forschung und an die menschliche Betreuung, die optimalerweise in den Familien erfolgen sollte. Diese drei Sektoren müssten vertrauens- und respektvoll zusammenarbeiten, denn die Alternative sei ein „kaltes physisches Sicherstellen“, betonte der Papst.

Gerade die Kirche habe eine besondere Verpflichtung in diesem Bereich, Kranke spielten für sie stets eine ganz besondere Rolle. Die Kirche müsse daher vor der Gesellschaft ein Beispiel dafür geben, dass alte Menschen trotz ernsthafter Gebrechlichkeit „immer wichtig, ja unverzichtbar sind“, unterstrich der Papst. „Sie tragen das Gedächtnis und die Weisheit des Lebens in sich, um sie anderen weiterzugeben. Und sie nehmen voll an der Mission der Kirche teil.“

rv 22.05.2016 ap

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