Heute kaufe ich mir mal Kinder

Die in Deutschland (noch) verbotene Leihmutterschaft ist ein einziges Minenfeld

Quelle

Die in Deutschland (noch) verbotene Leihmutterschaft ist ein einziges Minenfeld – ethisch, rechtlich und sogar medizinisch. Von Holm Schneider

Drillinge im Brutkasten, die ohne Körperkontakt mit ihrer Mutter heranwachsen; Klinikpersonal, das der Frau, die sie geboren hat, jede Auskunft über die Kinder verweigert – diese Begleiterscheinungen eines aktuellen Rechtsstreits in Kalifornien sorgen im milliardenschweren globalen Kinderwunsch-Markt für Irritationen.

Melissa Cook war 47, als sie zum zweiten Mal einen Leihmuttervertrag unterschrieb. Die alleinerziehende Mutter von vier eigenen Kindern brauchte Geld. Eine Agentur hatte ihr den Kunden vermittelt: C.M., einen alleinstehenden 50-jährigen Postangestellten aus Georgia, der für die Geburt eines Stammhalters 33 000 US-Dollar zahlen würde. Man wolle Eizellen einer jungen Spenderin in einem Glasschälchen mit seinem Samen befruchten und drei ausgewählte, männliche Embryonen in Cooks Gebärmutter einsetzen, hiess es. Sollte sich mehr als ein Embryo einnisten, bekäme sie 6 000 US-Dollar für jedes weitere geborene Kind. Der Vertrag – aufgesetzt von Rechtsanwalt Robert Walmsley – umfasste 75 Seiten.

Cook, die in Los Angeles (Kalifornien) lebt, traf weder mit C.M. zusammen, noch sprachen sie miteinander. Um die Schwangerschaft vereinbarungsgemäss zustande zu bringen, nahm sie zunächst Kontrazeptiva, gefolgt von täglichen Injektionen eines Hormonsuppressors, der ihren Zyklus mit dem der anonymen Eizellspenderin synchronisierte. Danach erhielt sie spezielle Hormonpräparate. Am 17. August 2015 wurden von Dr. Jeffrey Steinberg am Fertility Institute in Los Angeles drei sechs Tage alte Embryonen in ihre Gebärmutter eingebracht. Verstiess ein solcher Embryotransfer bei einer 47-Jährigen nicht gegen medizinische Standards? Steinberg sah keinen Grund dafür.

In den folgenden Wochen erfuhr Cook, dass ihre Krankenkasse für Komplikationen der Leihmutterschaft nicht aufkommen würde, auch nicht für die Kosten eines Schwangerschaftsdiabetes, eines der häufigsten Probleme bei Schwangerschaften in fortgeschrittenem Alter. Schon im September, so ist in Gerichtsdokumenten zu lesen, habe C.M. mitgeteilt, dass er Cooks wöchentliche Arztbesuche nicht länger finanzieren könne, weil er „kein Geld mehr auf der Bank“ habe und sein Job nicht genug einbringe. Als feststand, dass Cook tatsächlich Drillinge erwartete, sei deutlich geworden, dass der Vater in spe damit nicht zurechtkommen werde. Die Bezahlung der Kinderwunsch-Agentur, der Eizellspenderin, des Reproduktionsmediziners und der weiteren Beteiligten habe seine gesamten Ersparnisse aufgezehrt. Ob der bei seinen Eltern lebende, schwerhörige Mann überhaupt in der Lage wäre, mehrere Kinder grosszuziehen, sei von niemandem geprüft worden. In einer E-Mail an Cook verlangte C.M., eines der drei Kinder abzutreiben – zu „reduzieren“, wie es im Jargon der Fortpflanzungsingenieure heisst. Cook weigerte sich. „Ich bin für das Leben und werde keine Schwangerschaft abbrechen lassen. Jedem dieser Babys geht es gut“, schrieb sie zurück. C.M. verwies auf eine Klausel im Vertrag. So etwas sei allein seine Entscheidung. Es stehe ihm zu, auf eine „selektive Reduktion“ zu dringen.

Da er wohl nicht nur das höhere Risiko für seine Söhne scheute, das Drillingsschwangerschaften mit sich bringen, sondern schlicht kein Geld für drei Kinder hatte, bot Cook an, das „überzählige“ Baby zu adoptieren und selbst grosszuziehen. Darauf habe C.M. geantwortet: „Hast du den Verstand verloren? Ich werde doch meine Kinder nicht trennen!“

Als Schadensersatzforderungen für ihre Weigerung ins Spiel kamen, ging die bedrängte Leihmutter damit an die Öffentlichkeit. Nach kalifornischem Recht ist eine Abtreibung – mit Ausnahme von Situationen, in denen Lebensgefahr für die Schwangere besteht – nicht mehr erlaubt, sobald die Feten ausserhalb des Mutterleibes lebensfähig wären. Mitte November, in der 16. Schwangerschaftswoche, blieb also für die Tötung eines der Drillinge nur noch wenig Zeit. Der Vater verstehe zwar, akzeptiere jedoch nicht, dass seine Auftragnehmerin dies ablehne, schrieb Anwalt Robert Warmsley am 20. November 2015 an Cook. Er zählte die Rechtsfolgen auf, die ihr Verhalten für sie haben könnte, darunter der Verlust aller finanziellen Ansprüche aus dem Leihmuttervertrag, Schadensersatz in Bezug auf die künftige Betreuung der Kinder und die Kosten eventuell erforderlicher medizinischer Zusatzleistungen. Cook appellierte an C.M., ihr doch zu erklären, weshalb er drei Embryonen einsetzen liess, wenn er nur zwei Kinder wollte. Am 24. November erhielt sie einen weiteren Brief von Warmsley, der von ihr verlangte, bis zum Ende des Tages den Termin für eine „selektive Reduktion“ zu vereinbaren. Cook schwankte, hielt aber – mit beachtlicher medialer Unterstützung – an ihrem Entschluss fest, das Lebensrecht der Drillinge zu verteidigen, auch wenn sie nur die Leihmutter war.

Später, als C.M. sich durchgerungen hatte, alle drei Kinder zu akzeptieren, wollte Cook nicht mehr. Die Schwangere bat ihren Anwalt, vor Gericht ihre Anerkennung als rechtmässige Mutter der Drillinge zu erstreiten, weil diese in ihrem Leib heranwuchsen und von ihr zur Welt gebracht werden würden. „Ich sehe Leihmutterschaften nicht mehr so positiv, wie ich das bisher getan habe“, sagte sie. „Kinder ziehen nämlich besonderen Nutzen aus der Beziehung zur Mutter.“

C.M. bemühte sich derweil beim Familiengericht in Los Angeles um offizielle Anerkennung seiner Vaterschaft. Dort entschied man, beide Seiten anzuhören. C.M. tat nun kund, er sei daran interessiert, alle drei Kinder zu schützen. Nach wie vor sorge er sich auch um die Gesundheit und das Wohlergehen der Leihmutter und er habe den Wunsch, ihr unnötigen, durch einen öffentlichen Auftritt verursachten Stress zu ersparen.

Cook bezeichnete ihre Leihmutterschaft als Minenfeld – ethisch, rechtlich und auch medizinisch. Ihr Vertrag verbiete ihr zum Beispiel, Nagellack zu benutzen oder sich in die Nähe junger Katzen zu begeben, er schreibe vor, wieviel Koffein sie zu sich nehmen dürfe und reduziere sie, kurz gesagt, zu einem „Zuchttier“, das komplett der Willkür von C.M. ausgeliefert sei und weder während der Schwangerschaft noch danach mitzureden habe. Mit Hilfe zweier Anwälte zog sie gegen das kalifornische Leihmutterschaftsgesetz zu Felde – mit schlagkräftigen Argumenten, die einer der beiden Rechtsbeistände, Harold Cassidy, so zusammenfasste: „Dass ein Mann von einer Schwangeren fordern kann, eines der Kinder in ihrem Bauch töten zu lassen, und finanziellen Schadensersatz beanspruchen kann, wenn sie dies ablehnt, ist grausam gegenüber der Mutter. Die Vorstellung, dass im Falle einer Mutter, die anbietet, das von dem Mann zur Tötung freigegebene Kind grosszuziehen, die es liebt und die sein Leben gerettet hat, dieser Mann darauf besteht, das Kind einem Fremden anzuvertrauen, ist grausam gegenüber dem Kind.“ Folglich müsse durch eine einstweilige Verfügung verhindert werden, dass Verwaltungsbeamte eine Geburtsurkunde ausstellten, auf der nicht Cook als Mutter der Kinder eingetragen sei.

Als die Drillinge am 22. Februar 2016 zur Welt kamen, wurden sie Melissa Cook sofort weggenommen. Ein Richter hatte inzwischen dem Vater das Sorgerecht zugesprochen. Man gestattete der Leihmutter nicht, die Kinder auf der Frühgeborenen-Station zu besuchen. Sie habe vom Klinikpersonal weder das genaue Gewicht erfahren noch über das Gedeihen der Babys Auskunft erhalten, berichtete Cassidy. Doch die Leihmutter, die sich wie eine echte Mutter verhielt, sorgte für Diskussionen. Darf man einer Frau nach der Geburt wirklich sagen, das, was mit den Kindern geschieht, gehe sie nichts an? War eine solche Erfahrung mit der Bezahlung abgegolten? War ein derartiger Vertrag eigentlich verfassungskonform? Cook focht den Richterspruch an. Das kalifornische Berufungsgericht entschied, der Vater, der Tausende von Kilometern entfernt bei seinen betagten Eltern lebt, dürfe die Kinder nicht mitnehmen, solange in dieser Sache kein abschliessendes Urteil ergangen sei. Rechtsanwalt Cassidy bewertet dies als Teilerfolg. Ärzte und Pflegepersonal der Klinik sind verunsichert. Der Ausgang ist völlig offen.

Aber betrifft ein solcher Streit in den USA uns überhaupt? In Deutschland ist Leihmutterschaft verboten. „Die Mutter eines Kindes ist die Frau, die das Kind geboren hat“, steht im Bürgerlichen Gesetzbuch. Doch so eng wollen es viele heute nicht mehr sehen. Immer mehr deutsche Paare versuchen sich ihren Kinderwunsch mit Hilfe einer Leihmutter im Ausland zu erfüllen, meist in der Ukraine, in Indien oder Kalifornien. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit einer Grundsatzentscheidung ein homosexuelles Paar aus Berlin als rechtliche Eltern eines Kindes anerkannt, das der Samenspender und sein Partner durch eine unverheiratete kalifornische Leihmutter austragen liessen. Die Leihmutter habe keine Elternstellung, urteilte der BGH. Sechs Juraprofessoren aus München und Augsburg, die 2013 den Entwurf eines „zeitgemässen Gesetzes für Fortpflanzungsmedizin“ vorlegten, befürworten Leihmutterschaft und halten das deutsche Embryonenschutzgesetz für überholt. Das ukrainische Reproduktionsmedizinzentrum BioTexCom beruft sich auf seiner Internetseite gar auf einen „ersten Fall der Leihmutterschaft“, der im Alten Testament (Genesis 16) dokumentiert sei. Schon Abraham habe seine Dienerin Hagar, die ihm Ismael gebar, als Leihmutter benutzt. Die künstliche Befruchtung, vom 2013 verstorbenen Nobelpreisträger Robert Edwards ersonnen, um Ehepaaren in einer Ausnahmesituation zu helfen, hat sich inzwischen zu einer Lifestyle-Technologie für jedermann entwickelt, ohne dass die persönlichen und gesellschaftlichen Folgen bis zum Ende bedacht worden wären. Denn in der Politik ist es heute unüblich, beispielsweise auf Bischöfe zu hören, die um solches Nachdenken bemüht sind, stattdessen geht es mehr und mehr um die Abarbeitung massloser Wunschzettel des 21. Jahrhunderts.

Leihmutterschaft ist und bleibt eine Form der Ausbeutung von Frauen, auch wenn diese viel Geld dafür bekommen. Darin ist sich die katholische Kirche sogar mit Alice Schwarzer einig. Doch auch diejenigen, die mittels Samen- und Eizellspende gezeugt werden, suchen irgendwann nach ihrer Identität. Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff ging in ihrer Dresdner Rede 2014 so weit, solche Kinder als „Halbwesen“ zu bezeichnen. Das sind sie sicher nicht. Aber sie sind zu einer Ware geworden, die man für Geld einkaufen kann.

Können wir damit leben? Und falls nicht: Wo bleibt unser Protest dagegen?

Der Autor ist Kinderarzt, Genforscher und Buchautor

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel