Seht wie sie einander lieben Johannes 17.21
Die missionarische Identität des Priesters in der Kirche
Das Wissen um den radikalen Wandel der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten muss die besten kirchlichen Kräfte dazu bewegen, sich um die Ausbildung der Priesteramtskandidaten zu kümmern.
Ansprache von Benedikt XVI. an die Teilenhmer der Vollversammlung der Kongregation für den Klerus
Montag, 16. März 2009
Meine Herren Kardinäle, verehrte Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt!
Ich freue mich, euch in einer Sonderaudienz am Vorabend meiner Abreise nach Afrika begrüssen zu dürfen. Ich werde mich dorthin begeben, um das “Instrumentum laboris” der Zweiten Sonderversammlung der Synode für Afrika zu überreichen, die hier in Rom im kommenden Oktober stattfinden wird. Ich danke dem Präfekten der Kongregation, Herrn Kardinal Cláudio Hummes, für die freundlichen Worte, mit denen er eure gemeinsamen Empfindungen zum Ausdruck gebracht hat, und ich danke auch für den schönen Brief, den ihr mir geschrieben habt.
Mit ihm begrüsse ich euch alle, die Oberen, Offizialen und Mitglieder der Kongregation, und danke euch von Herzen für all die Arbeit, die ihr im Dienst eines so wichtigen Bereichs des Lebens der Kirche verrichtet.
Das Thema, das ihr für diese Vollversammlung gewählt habt – “Die missionarische Identität des Priesters in der Kirche: eine der Ausübung der ›tria munera‹ innewohnende Dimension” –, gestattet einige Überlegungen für die Arbeiten dieser Tage und für die reiche Frucht, die diese sicherlich tragen werden. Wenn auch die ganze Kirche missionarisch ist und jeder Christ kraft der Taufe und der Firmung “quasi ex officio” (vgl. KKK 1305) den Auftrag erhält, den Glauben öffentlich zu bekennen, so unterscheidet sich das Amtspriestertum jedoch auch unter diesem Gesichtspunkt ontologisch und nicht nur dem Grade nach vom Taufpriestertum, das auch allgemeines Priestertum genannt wird. Für ersteren nämlich ist der apostolische Auftrag massgebend: “Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!” (Mk 16,15). Dieser Auftrag ist, wie wir wissen, nicht einfach nur eine Aufgabe, die Mitarbeitern anvertraut ist; seine Wurzeln liegen tiefer und reichen viel weiter zurück.
Die missionarische Dimension des Priesters entspringt seiner sakramentalen Gleichgestaltung mit Christus, dem Haupt: Daraus folgt eine tiefempfundene und vollkommene Treue zur “apostolica vivendi forma”, wie sie in der kirchlichen Überlieferung genannt wird. Sie besteht in der Teilhabe an einem “neuen Leben” im geistlichen Sinne, an jenem “neuen Lebensstil”, den Jesus, der Herr, eingeführt hat und den die Apostel sich zu eigen gemacht haben. Durch die Handauflegung des Bischofs und das Weihegebet der Kirche werden die Kandidaten zu neuen Menschen, zu “Priestern”. In diesem Licht wird deutlich, daß die »tria munera« in erster Linie ein Geschenk sind und erst in zweiter Linie ein Amt. Sie sind zunächst einmal Teilhabe an einem Leben und daher eine “potestas”. Sicher, die lange kirchliche Tradition hat die Wirkkraft des Sakraments zu Recht von der konkreten Lebenssituation des einzelnen Priesters losgelöst; dadurch werden die rechtmässigen Erwartungen der Gläubigen adäquat geschützt. Aber diese richtige lehrmässige Klarstellung mindert nicht das notwendige, ja unverzichtbare Streben nach moralischer Vollkommenheit, das in jedem wirklich priesterlichen Herzen wohnen muss.
Um dieses Streben der Priester nach geistlicher Vollkommenheit, von dem die Wirksamkeit ihres Dienstes entscheidend abhängt, zu unterstützen, habe ich entschieden, ein besonderes “Jahr des Priesters” auszurufen, das vom kommenden 19. Juni bis zum 19. Juni 2010 dauern wird. In dieses Jahr fällt nämlich der 150. Todestag des heiligen Pfarrers von Ars, Johannes Maria Vianney, ein wahres Vorbild des Hirten im Dienst der Herde Christi. In Absprache mit den Diözesanbischöfen und den Oberen der Ordensinstitute wird eurer Kongregation die Förderung und Koordinierung der verschiedenen geistlichen und pastoralen Initiativen obliegen, die nützlich sein können, um die Bedeutung der Rolle und der Sendung des Priesters in der Kirche und in der heutigen Gesellschaft immer besser wahrnehmbar zu machen.
Die Sendung des Priesters findet, wie das Thema der Vollversammlung hervorhebt, “in der Kirche” statt. Eine solche kirchliche, gemeinschaftliche, hierarchische und doktrinelle Dimension ist absolut unverzichtbar für jede wahre Sendung, und sie allein gewährleistet ihre geistliche Wirkkraft. Die vier erwähnten Aspekte müssen stets als eng miteinander verbunden betrachtet werden: Die Sendung ist “kirchlich”, weil niemand sich selbst verkündigt oder in die Welt trägt, sondern im eigenen Menschsein und durch das eigene Menschsein muss jeder Priester sich bewusst sein, daß er einen anderen, Gott selbst, in die Welt trägt. Gott ist der einzige Reichtum, den die Menschen letztendlich in einem Priester finden wollen. Die Sendung ist “gemeinschaftlich”, weil sie in einer Einheit und Gemeinschaft stattfindet, die nur am Rande auch wichtige Aspekte sozialer Sichtbarkeit besitzt. Diese entspringen andererseits wesentlich der Vertrautheit mit Gott. Der Priester ist berufen, darin Experte zu sein, damit er die ihm anvertrauten Seelen mit Demut und Vertrauen zur selben Begegnung mit dem Herrn führen kann. Die “hierarchische” und die “doktrinelle” Dimension schliesslich legen nahe, die Bedeutung der kirchlichen Disziplin (das Wort ist eng verbunden mit dem Wort “discipulus” – Jünger) und der anfänglichen Ausbildung und ständigen Weiterbildung in der Lehre, und nicht nur in der Theologie, hervorzuheben.
Das Wissen um den radikalen Wandel der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten muss die besten kirchlichen Kräfte dazu bewegen, sich um die Ausbildung der Priesteramtskandidaten zu kümmern. Insbesondere muss es die Hirten anspornen, ständig für ihre ersten Mitarbeiter Sorge zu tragen, sowohl durch die Pflege wirklich väterlicher menschlicher Beziehungen, als auch durch die Fürsorge um ihre ständige Weiterbildung, vor allem unter lehrmässigem und geistlichem Aspekt. Die Sendung hat ihre Wurzeln insbesondere in einer guten Ausbildung, die vorangetragen wird in Gemeinschaft mit der ununterbrochenen kirchlichen Tradition, ohne Brüche oder Versuchungen einer Diskontinuität. In diesem Sinne ist es wichtig, bei den Priestern, besonders bei den jungen Generationen, eine korrekte Rezeption der Texte des Zweiten Ökumenischen Vatikanischen Konzils zu fördern, die im Licht der gesamten Lehre der Kirche interpretiert werden müssen. Als dringend notwendig erweist sich auch die Wiedererlangung eines Bewusstseins, das die Priester anspornt, präsent, identifizierbar und erkennbar zu sein – sowohl im Glaubensurteil als auch in den persönlichen Tugenden als auch in der Kleidung – im kulturellen und im karitativen Bereich, die seit jeher das Herzstück der Sendung der Kirche darstellen.
Als Kirche und als Priester verkündigen wir Jesus von Nazaret, den Herrn, den gekreuzigten und auferstandenen Christus, den Herrscher über die Zeit und die Geschichte, in der frohen Gewissheit, dass diese Wahrheit den tiefsten Erwartungen des menschlichen Herzens entspricht. Im Geheimnis der Fleischwerdung des Wortes, in der Tatsache also, dass Gott ein Mensch wie wir geworden ist, liegt sowohl der Inhalt als auch die Methode der christlichen Verkündigung. Die Sendung hat hier ihren wirklichen vitalen Mittelpunkt: in Jesus Christus. Die Zentralität Christi bringt die richtige Wertung des Amtspriestertums mit sich, ohne das es keine Eucharistie und erst recht keine Sendung, ja selbst die Kirche nicht gäbe. In diesem Sinne ist es notwendig, darüber zu wachen, dass die “neuen Strukturen” oder pastoralen Einrichtungen nicht für eine Zeit gedacht sind, in der man ohne das Weiheamt “auskommen” muss, wobei von einem falschen Verständnis der rechten Förderung der Laien ausgegangen wird. In diesem Fall würde man nämlich die Voraussetzungen schaffen für eine noch grössere Verwässerung des Amtspriestertums, und die angeblichen “Lösungen” würden sich in dramatischer Weise decken mit den eigentlichen Ursachen der gegenwärtigen Problematiken, die mit dem Amt verbunden sind.
Ich bin sicher, dass die Arbeit der Vollversammlung, unter dem Schutz der “Mater Ecclesiae”, in diesen Tagen diese kurzen Überlegungen vertiefen kann, die ich der Aufmerksamkeit der Herren Kardinäle sowie der Erzbischöfe und Bischöfe zu unterbreiten mir erlaube. Auf alle rufe ich die überreiche Fülle der himmlischen Gaben herab und erteile als deren Unterpfand euch und den euch nahestehenden Personen von Herzen einen besonderen Apostolischen Segen.
© Copyright 2009 – Libreria Editrice Vaticana
Kongregation für den Klerus
Dokumente: des II. Vatikanischen Konzils
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