In Blitzlichtgewittern
Drei Wochen lang hat die römische Bischofssynode zu Ehe und Familie die Aufmerksamkeit der Medien gefesselt
Grundlegendes hat man dort nicht verabschiedet. Aber der Erwartungsdruck auf die Kirche ist gewachsen: Dass der Papst zu “Reformen” schreitet, die die “Kräfte der Beharrung” nicht zulassen wollen.
von Guido Horst
Es war ein wunderschöner Oktober. Ein Regentag – und ansonsten blauer Himmel, weisse Wölkchen, Sonnenschein, mittags wurde es nochmals richtig warm. In nicht endenden Schlangen drängen die Menschen durch die vier Zugänge auf den Petersplatz. Dann das Foto mit Blick auf die mächtige Fassade der Basilika. Ob in jenen Tagen viele in diesen Heerscharen aus allen Völkern wussten, dass zur gleichen Zeit dahinter, und nochmals hinter dem Petersdom, in der Synodenaula des Vatikans mit ihrem geschwungenen Dach, eine gewichtige Versammlung der katholischen Weltkirche stattgefunden hat? Mit etwa 280 Kardinälen und Bischöfen aus allen Kontinenten und zahlreichen Experten und Beobachtern? Wohl kaum.
Doch es gab auch Ausnahmen. Gewisse Teile des Bildungsbürgertums im Westen hatten den Medien entnommen, dass sich die römische Bischofssynode unter Vorsitz des Papstes mit einer Frage beschäftigen musste, die im fernen Februar 2014 der alt gediente Kurienkardinal Walter Kasper dem “roten Senat” des Papstes, dem zum so genannten Konsistorium versammelten Gremium der Purpurträger der katholischen Kirche, vorgelegt hatte: Ob denn im Einzelfall ein zivil wiederverheiratetes Paar, bei dem der eine oder beide durch ein nach Christi Lehre und katholischer Sakramententheologie unauflösliches Eheband an einen früheren Partner gebunden sind, dennoch zur Kommunion gehen kann, wenn vorher ein Weg der Läuterung beschritten worden ist. Der Vatikansprecher und Medienbeobachter Pater Federico Lombardi SJ, Kurienleute – natürlich auch Kardinal Kasper –, aber selbst der Papst würden jetzt eifrig protestieren. Halt! Nein: Es ging bei den Bischofssynoden 2014 und 2015 nicht hauptsächlich um die Kommunionzulassung der wiederverheirateten Geschiedenen, sondern um die christliche Ehe und Familie und deren Beitrag für Mission und Evangelisierung in der heutigen Welt. Richtig. Aber diese Welt hat nun einmal ihre eigenen Gesetze. Auch die Gesetze einer globalen Medienindustrie, die vereinfacht, zuspitzt und stets das Neue sucht. Und etwas Neues wäre es schon gewesen, wenn die katholische Kirche jetzt ihre pastorale Praxis bei den wiederverheirateten Geschiedenen ändern würde. Vielleicht lag bei der Bild-Zeitung die entsprechende Schlagzeile schon bereit: “Kirche sanktioniert Scheidung”.
So waren Anfang Oktober Reporter, Fernsehleute und andere Medienleute nach Rom gereist, um diesen historischen Augenblick nicht zu verpassen. Und auch manche Rombesucher wussten Bescheid, dass sich eine Bischofssynode offensichtlich zum zweiten Mal mit “Reformen” zu Liebe, Sex und Partnerschaft befasst. Die Synodalen tagen abgeschirmt unter dem geschwungenen Dach der Audienzhalle, Journalisten und Kameras waren nicht zugelassen. Die in Rom versammelten Medien müssen sich in den ersten Synodentagen die Zeit vertreiben. Also fischen sich die Reporter mit Kamera und Mikrophon Touristen aus der Menge auf und um den Petersplatz heraus und stellen meistens Paaren die üblichen Fragen: Ob sie wüssten, dass in Rom derzeit eine Familiensynode stattfinde, wie sie zur katholischen Ehelehre stünden und welche Änderungen sie sich wünschten. Der erste Befund: Niemand der Befragten weiss genau, was das heisst, dass im Vatikan eine Synode tagt – auch dann, wenn sich die Befragten als durchaus gläubige Katholiken outen. Die Antworten auf die zweite Frage sind eher vage, bringen aber alle zum Ausdruck, dass die Kirche etwas der Zeit hinterherhinken würde. Und nach den Änderungswünschen befragt, ist keiner in der Lage, den Sachstand richtig wiederzugeben. Da ist davon die Rede, dass auch die Wiederverheirateten wieder zur Kirche gehen dürfen oder man den Geschiedenen erlauben möge, am Altar Eucharistie zu feiern. Irgendwie hat die internationale Berichterstattung über den seit zwei Jahren laufenden synodalen Prozess zu Ehe und Familie zwar den Fokus auf Trennung, Scheidung, Wiederverheiratung gelegt – ohne aber das Wissen über die katholische Ehelehre zu vertiefen. Auch das gehört zu den Gesetzen der globalen Medienwelt.
Drei Wochen später sickern die ersten Ergebnisse der Bischofsversammlung durch. Es ist Samstagabend. Im Pressesaal des Vatikans teilt man die von den Synodenvätern endgültig abgestimmte “Relatio finalis” aus. In Hotels und Botschaften bitten Bischöfe unterschiedlicher Herkunft die Journalisten ihrer Länder zum erläuternden Gespräch. So viel steht bald fest: Die katholische Lehre wurde auch auf der jüngsten Synode nicht im Entferntesten berührt. Es bleibt dabei, dass die Kirche für alle offen ist, gerade auch für Menschen mit Verletzungen, Lebensbrüchen – und natürlich ebenso für Paare, die (noch) nicht in einer geregelten ehelichen Beziehung leben. Nach wie vor gilt für zivil Wiederverheiratete das Gebot – wenn sie denn katholisch sind –, möglichst jeden Sonntag eine Messe zu besuchen. Geschiedene und von ihrem Partner getrennt Lebende können, wenn sie – das gilt für jeden – durch das Busssakrament vorbereitet sind, die Eucharistie empfangen. Nach wie vor sind die Seelsorger gehalten, im Einzelgespräch und in der Beichte die konkrete Situation, die Gefühlslage und die Vorgeschichte ihres Gegenübers zu beachten. Dass die Prediger um die rechten Worte ringen müssen, um “ihren Leuten“ das Evangelium zu verkünden, war schon immer so und wird auch so bleiben. Für Wiederverheiratete einen Weg der Umkehr und Busse generell, als Regel für den Einzelfall, mit der Ermöglichung des Kommunionempfangs zu verbinden, war bisher nicht vorgesehen und ist es jetzt auch nicht. Das “Forum internum“ als geschützter Raum der Seelenführung bleibt erhalten. Und wenn eine Familie entdeckt, dass jemand in ihrem Kreis homosexuell empfindet, gilt weiterhin das Respekt-Gebot des Katechismus der Katholischen Kirche aus dem Jahr 1992. Es fällt nicht so einfach, die eigentliche Frucht am Ende des fürs Erste nun abgeschlossenen synodalen Prozesses zu Ehe und Familie auf den Punkt zu bringen.
Ein besonderes Problem haben die deutschen Bischöfe. Sie wollen ein Hirtenwort zu Ehe und Familie verfassen. Schon vor der letzten Synode hatten sie sich mit grosser Mehrheit darauf festgelegt, die Kasper-Position festzuklopfen. Wenn schon nicht in Rom, dann wenigstens im eigenen Land. Fieberhaft arbeitet man im Bonner Medienhaus der Deutschen Bischofskonferenz daran, dies publizistisch vorzubereiten. Die Unterabteilung “Katholische Nachrichten-Agentur“ bläst jede Stimme heraus, die sich für die Kommunionzulassung der zivil Wiederverheirateten im Einzelfall ausspricht. Nach der Synode ist vor der Synode: Stichworte wie “Unterscheidung der Geister“, “Barmherzigkeit“, “Man kann doch nicht mehr von Sünde sprechen“ sind die Ingredienzen, mit dem der Kasper-Cocktail angerichtet wird.
Noch am letzten Arbeitstag, am Tag der Schlussabstimmungen, treten die deutschsprachigen Synodalen in einem Hotel beim Vatikan vor Medienvertreter. Dunkle Nacht hat sich über Rom gelegt. Kardinal Walter Kasper ist nicht erschienen, sein Weg der Busse und Umkehr der zivil Wiederverheirateten mit anschliessender Kommunionzulassung hat es nicht in den Abschlussbericht geschafft. Kardinal Christoph Schönborn stellt zu Beginn der Pressekonferenz das entscheidende Wort in den Raum, mit dem, wie er sagt, der schriftliche Niederschlag der Synodenarbeit zu lesen und zu verstehen sei: die “Unterscheidung“. Die Unterscheidung der Lebenslagen, die Unterscheidung jedes einzelnen Schicksals in der seelsorglichen Begleitung, die Unterscheidung im Sinne einer Einzelfallprüfung. Kardinal Reinhard Marx aus München räumt ein, dass das Schlussdokument der Synodalen nicht alle Fragen zum Thema wiederverheiratete Geschiedene kläre. Die “Relatio finalis“ bezeichnet er dennoch als “wirklichen Schritt nach vorn“. Es fordere “stärkere Integration“ von Menschen in schwierigen Situationen und ermutige auch die Priester, “wirklich zu begleiten und dann auch hinzuführen zu einer stärkeren Integration“. Die Synode gebe einen “positiven Impuls“, um das Thema Ehe und Familie voranzubringen, sagt der Kardinal. Er sei “sehr glücklich darüber, dass wir hier einen Schritt vorangekommen sind“. Die Synode habe insgesamt den “Weg des Papstes“ gestützt, auch wenn das Abschlussdokument an manchen Stellen ein “Kompromisstext“ sei. Das Ergebnis ermögliche dem Papst, “einen Weg weiter zu gehen“. Für das weitere Überlegen seien “keine Türen geschlossen, sondern Türen geöffnet“ worden. Das Wort von der “Tür, die nun ein Spalt breit offen ist“, ist häufiger zu hören, wofür sie offen sein soll, hingegen nicht.
Kardinal Schönborn erklärt, dass man auf der Synode auch habe lernen müssen, so etwa von den afrikanischen Bischöfen in Sachen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Im Laufe der Beratungen über die Situation homosexueller Menschen habe sich gezeigt, dass die kulturellen und politischen Umstände zu unterschiedlich seien, um in dieser Frage zu einen Konsens unter den Synodalen zu gelangen, meint der Kardinal. Die Afrikaner hätten ihren Mitbrüdern deutlich gemacht, dass es für sie politisch unmöglich sei, mit einem Kirchendokument in ihre Heimat zurückzukehren, das homosexuelle Partnerschaften aufwerte. Und es sei eben eine Synode über die Ehe von Mann und Frau gewesen, da gehöre die Homosexualität nun einmal nicht hinein, so Schönborn.
Nach Hause zurückgekehrt, gaben die drei auf die Synode delegierten Bischöfe aus Deutschland bereits am Tag darauf Pressekonferenzen in ihrer Heimat. Kardinal Marx in München, Erzbischof Heiner Koch in Bonn und Bischof Bode in Osnabrück. Es gilt, in deutschen Landen die Deutungshoheit über den Ausgang der römischen Versammlung zu gewinnen.
Noch am Schlusstag der Synode wird deutlich, dass die Versammlung knapp an einer Riesenpeinlichkeit vorbeigeschrammt ist: Ganze achtzig Nein-Voten erhielt bei der abschliessenden Stimmabgabe in der Synodenaula der Paragraf 85, der zur Frage der zivil wiederverheirateten Geschiedenen das Thema “objektive Situation“ und “subjektive Schuldfähigkeit“ behandelt. Ganz knapp hat die Versammlung bei diesem Punkt die nötige Zweidrittel-Mehrheit erreicht. Wäre sie verpasst worden, hätte das die ganze Relatio verpfuscht, die Synode blamiert und dem Papst sehr geschadet. Doch diese Katastrophe ist allen erspart geblieben – knapp, aber doch bindend: 178 Ja-Stimmen haben gereicht, 177 wären nötig gewesen.
Man möchte den Rest lesen. Die Frucht der Arbeit von zwei Jahren ist ja immerhin über drei lange Kapitel und 94 Paragrafen verteilt. Doch die “Relatio finalis“ gibt es nur auf Italienisch – nicht auf Englisch, nicht auf Französisch, nicht auf Spanisch – und erst recht nicht auf Deutsch. So behilft man sich mit eigenen Übersetzungen der “heiklen Punkte“ (Paragraf 84 bis 86, der Umgang mit den wiederverheirateten Geschiedenen). Schon in den Schlussstunden der Bischofsversammlung war deutlich geworden, dass das Generalsekretariat der Synode mit dem Prozedere völlig überfordert war. Nachdem die Redaktionskommission Hunderte von Änderungsanträgen in das finale Dokument eingearbeitet hatte, teilte man die Schlussfassung zur Abstimmung an die Synodalen aus – aber nur auf Italienisch. Bischöfe aus Europa oder ferneren Erdteilen, die des Italienischen nicht mächtig sind, trommelten eilig Studenten aus den römischen Kollegien ihrer Länder zusammen, um sich wenigsten die wesentlichen Teile der Relatio übersetzen zu lassen. Am Sonntag dann kam die Synodenmaschinerie ganz ins Stocken: Die Übersetzung des Schlussberichts in die üblichen Sprachen steht bis heute aus (Andruck dieses Hefts: am 31. Oktober). Und so wie es aussieht, wird das auch noch einiges dauern.
So blieb es also erst einmal Sache der Medien, die Botschaft der Synode in die Welt zu tragen – mit der üblichen Verkürzung auf die Kommunionzulassungs-Frage. Das schafft Verunsicherung – zumal Zeitungen und Fernsehen in der Regel nicht präzise berichteten. Fragen tun sich auf. Auch bei Katholiken. Die sich ja wie alle über ihre Lokalzeitung, das Fernsehen oder Online-Dienste zum Welt- und Kirchengeschehen informieren.
Nach der Verunsicherung der Gläubigen nach dem zweijährigen synodalen Prozess befragt, meinte Kardinal Kurt Koch vom vatikanischen Einheitsrat wenige Tage nach der Bischofsversammlung gegenüber der Würzburger “Tagespost“: “Der Heilige Vater hat sich bisher nicht geäussert, in welche Richtung er weitergehen will. Viele Synodenväter haben gewünscht, dass der Heilige Vater ein eigenes Schreiben verfassen wird. Auch ich hoffe dies, damit die angesprochene Verunsicherung überwunden werden kann.” Hoffen auf Papst Franziskus. Der hat indes noch zwei weitere Fässer aufgemacht.
Auch die Veranstaltung zum fünfzigjährigen Bestehen der römischen Synode war ein Akt der Bischofsversammlung. Bei diesem Festakt hat der Jesuiten-Papst klar seinen Willen erklärt, das Prinzip der Synodalität im Leben der Kirche zu stärken, auf dem Weg einer “heilsamen Dezentralisierung” voranzuschreiten – und eine Neuausrichtung des päpstlichen Primats zu unterstützen.
Beides wurde während der Synodentage genauso stark diskutiert wie die so genannten “Reformen“ in der kirchlichen Pastoral. Nicht nur in den Medien, sondern auch bei den Gläubigen. Heruntergebrochen auf die Alltagsgespräche des normalen Publikums hat das für viele einen gesteigerten Erwartungsdruck zur Folge: Rom sei unter Papst Franziskus dabei, “sich zu bewegen“, Dinge zu ändern, zu ermöglichen, was bisher nicht möglich war. Und wenn das nicht geschehe, liege es an den “Kräften der Beharrung“, die den angeblichen Reformkurs bremsen wollten. Wenn diese Lesart der römischen Entwicklungen die Stimmgabel der öffentlichen Wahrnehmung bleibt, ist dem eigentlichen Anliegen des Papstes, der Evangelisierung und Mission, kein Dienst erwiesen.
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