Patriotismus statt Kommunismus

Gewaltige politische Erwartungen begleiten die Kubareise von Papst Franziskus – Dieser verfolgt eine eigene Strategie

Virgen del Cobre: Muttergottes der Freiheit

Von Oliver Maksan

Der Papst in Kuba: Franziskus wusste, wie er an einen Nerv der Staatsideologie der Castros rühren konnte.

Die Tagespost, 21. September 2015

Papst Franziskus war die Last der Erwartungen förmlich anzusehen, als er am Samstagnachmittag mit ernster Miene die Gangway des Flugzeugs hinabstieg, das ihn nach Kuba gebracht hatte. Was würde er, der als Katalysator, Raumgeber, Vermittler der kubanisch-amerikanischen Annäherung gilt, sagen?

Würde er die USA von der Plaza de Revolucion in Havanna aus unter den Blicken der dort abgebildeten Revolutionäre Che Guevara und Camillo Cienfuegos kämpferisch zum Ende des Embargos aufrufen? Dessen Folgen sind nach kubanischer Lesart verantwortlich für den grössten Genozid der Geschichte, wie Plakate in der Stadt behaupten. Andere erwarteten von ihm, dass er sich für die Dissidenten stark machen würde, die als politische Häftlingen in Kubas Gefängnissen sitzen. Und schliesslich erhoffte sich Kubas gastgebende Kirche päpstliche Rückendeckung für mehr Religionsfreiheit. Viel Gepäck also auf den Schultern eines bald achtzig-jährigen Mannes.

Sein Gastgeber, Kubas Staatschef Raúl Castro, griff in seiner Begrüssungsansprache noch auf dem Rollfeld des Flughafens ein Wort des Papstes auf. Diese Wirtschaft tötet, zitierte er aus dem Antrittsschreiben Evangelii gaudium. Offensichtlich versuchte er, den Papst zu vereinnahmen. Davor hatten nicht zuletzt Kubas Dissidenten und Exil-Kubaner gewarnt. Sie glaubten, der Papst leihe durch seinen Besuch seine globale Autorität einem korrupten Regime und führe ihm Frischluft zu.

Doch Papst Franziskus verfolgte von der ersten Minute seines Besuchs souverän seine eigene Agenda. In seiner Erwiderung auf Castro sprach er wie schon Papst Johannes Paul II. 1998 von der Seele Kubas. Die Insel müsse ein Ort der Begegnung und des Dialogs werden. “Seit einigen Monaten sind wir Zeugen eines Ereignisses, das uns mit Hoffnung erfüllt: des Prozesses der Normalisierung der Beziehungen zwischen zwei Völkern nach Jahren der Entfremdung”, so Franziskus, der schon am Flughafen von den begeisterten Sprechchören einen Vorgeschmack auf die Begeisterung bekommen würde, die ihm in Havanna entgegenschlagen sollte. “Es ist ein Prozess, es ist ein Zeichen für den Sieg der Kultur der Begegnung, des Dialogs. Ich ermuntere die verantwortlichen Politiker, weiter auf diesem Weg voranzuschreiten.”

Neben einer weiteren Verbesserung des Verhältnisses zu den USA predigte Franziskus in chiffrierter, aber zu verstehender Weise auch eine Öffnung nach innen. Offensichtlich war, dass der Papst Kubas einseitig erzählter Revolution von 1959 eine neue Lesart hinzufügen wollte. Seine Ansprache war voller Anspielungen auf die Geschichte und das patriotische Gefühl der Kubaner. Er sprach von den Veteranen des Unabhängigkeitskrieges von Spanien Ende des 19. Jahrhunderts, die motiviert durch ihren Glauben und ihren Patriotismus, darum gebeten hätten, die Jungfrau möge die Patronin von Kuba als einer “freien und souveränen Nation” sein. Er werde die im Heiligtum El Cobre in Santiago de Cuba verehrte Patronin des Landes bitten, dass dieses auf den “Wegen der Gerechtigkeit, des Friedens, der Freiheit und der Versöhnung voranschreite.”

Damit war schon mit der Ansprache am Flughafen das Leitmotiv der päpstlichen Reise vorgegeben: Patriotismus statt Sozialismus. Franziskus wusste, dass er so an einen Nerv auch der Staatsideologie der Castros rühren konnte. Denn von Anfang an wohnte dem Tropen-Kommunismus eine starke Betonung des kubanischen Nationalismus inne. Viele Beobachter meinen sogar, dass die Revolution erst später eine kommunistische Wendung genommen habe. Die ursprüngliche Revolution von 1959 sei von Patriotismus, dem Wunsch nach nationaler Souveränität gegenüber den USA und dem Bemühen um soziale Gerechtigkeit geprägt gewesen. Auch Katholiken hätten sich damit identifizieren können. Erst das amerikanische Embargo und die missglückte Invasion der Schweinebucht, die von Exilkubanern getragen wurde, hätten die Castros in die Arme der Sowjets und deren anti-christlichem Kommunismus getrieben. Bis heute aber sei das Erbe des kubanischen Nationalismus in der kubanischen Staatsideologie lebendig. Das zeige sich nicht zuletzt daran, dass die höchste Auszeichnung des Landes nach dem Vater des kubanischen Nationalgedankens, dem 1853 verstorbenen Priester Felix Varela, benannt ist.

Die Begegnung des Papstes mit enthusiastischen Jugendlichen am Sonntagabend in Havannas Altstadt fand deshalb nicht zufällig in einem nach Varela benannten katholischen Kulturzentrum statt. Ein katholischer Student begrüsste den Pontifex dort mit einer emotionalen Ansprache, die ebenfalls voller Bezugnahme auf die Grossen der kubanischen Geschichte war. Der Student, Sohn eines Mitglieds der kommunistischen Partei und einer katholischen Mutter, begeisterte den Papst sichtlich, als er ihm von dem Wunsch seiner Generation berichtete, ein Kuba zu sehen, in dem alle Platz hätten – “dächten sie auch, wie sie dächten“. Der Papst griff die deutlichen Worte des Studenten auf. In einer improvisierten, vom vorbereiteten Text abweichenden Ansprache lud er die Jugendlichen ein, eine Kultur “gesellschaftlicher Freundschaft” zu verwirklichen.

“Dem Papst geht es bei seinem Besuch mit der kubanischen Ortskirche darum, eine auf Patriotismus und Katholizismus basierte Zivilgesellschaft zu schaffen”, meint der britische Papstbiograph und Lateinamerika-Experte Austen Ivereigh im Gespräch mit dieser Zeitung in Havanna. “Anders als die katholische Kirche in Polen will Kubas Kirche das Regime nicht direkt angreifen, sondern es zu Reformen bewegen. Dieser Linie folgt jetzt auch Papst Franziskus. Er will die ursprüngliche Revolution von ihrer marxistischen Übernahme befreien. Darum geht es bei seinem Besuch.”

Doch Franziskus war nicht nur als Weltpolitiker nach Kuba gekommen, sondern vor allem als Hirte. Das zeigte sich in einem privaten Besuch bei Ex-Staatschef Fidel Castro, vor allem aber bei der feierlichen, von kubanischen Klängen begleiteten Sonntagsmesse auf dem Platz der Revolution. Dort hatten sich am Morgen über 200 000 Gläubige versammelt, unter ihnen Argentiniens Staatspräsidentin Christina Kirchner, die sich offenbar im Glanz des grossen Sohnes der Nation sonnen wollte. Papst Franziskus zelebrierte die Liturgie gesammelt und ernst. Auch die mitfeiernde Menge liess sich davon anstecken. Nach der Kommunion etwa war es lange still. “Ich hätte nicht geglaubt, dass meine Landsleute so gesammelt und still sein können”, meinte eine Ordensfrau nach der Messe. “Aber Franziskus beeindruckt sie offenbar.”

Rein geistlicher Natur war auch seine Begegnung mit Priestern, Ordensleuten und Seminaristen in Havannas Kathedrale. Auch hier wich er vom vorbereiteten Manuskript ab. “Die Heilige Mutter Kirche muss arm sein. Der Herr wünscht sie sich arm, so wie die Junfrau Maria arm war”, predigte der Papst ganz auf der Linie seines Pontifikates. Überhaupt erlebten die Menschen während der ersten beiden Tage auf Kuba einen hellwachen Papst, der genau wusste, was er wollte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel