“An Johannes Paul II. anknüpfen”

Ein Gespräch mit Pfarrer Gerald Murray, der in New York die für die UNO zuständige Pfarrei der Heiligen Familie leitet

Von Oliver Maksan

Die Tagespost, 16. September 2015

Pfarrer Murray, nächste Woche wird der Papst in den USA erwartet. Was für eine Kirche heisst ihn da willkommen?

Nun, es ist eine Übergangsphase für die katholische Kirche in den Vereinigten Staaten. Denn die grosse spanische Einwanderung der letzten Jahrzehnte hat die Kirche lateinamerikanischer gemacht. Das hängt natürlich sehr vom jeweiligen Teil des Landes ab. Aber es gibt viele Gemeinden, die vor dreissig Jahren keine hispanischen Mitglieder hatten und jetzt viele haben. Das verändert natürlich die katholische Kirche in unserem Land. Sie bringen eine starke katholische Identität mit und sind der Kirche eng verbunden.

Die Volksfrömmigkeit ist stark. Das Problem ist, genügend spanischsprachige Seelsorger zu finden. Ausserdem müssen wir sehen, dass unsere katholischen Schulen auch für einkommensschwache Zuwanderer zugänglich sind. Da immer mehr Laien und weniger Geistliche unterrichten, steigen die Kosten. Das erhöht die Personalkosten und wird über Schulgebühren weitergegeben. Viele Zuwanderer können sich das aber nicht leisten. Das ist aber ein Problem, weil unsere kirchlichen Schulen eines der wichtigsten Instrumente der Evangelisierung sind.

Die US-amerikanische Kirche ist wie alle Kirchen der westlichen Welt nicht von einem Wertewandel ihrer Mitglieder verschont geblieben. Wie wirkt sich das aus?

Natürlich stark. Die Scheidungsraten unter amerikanischen Katholiken sind fast so wie die von Nicht-Katholiken. Dasselbe gilt für die Abtreibungszahlen und den Gebrauch künstlicher Verhütungsmittel. Das ist eine grosse Herausforderung für uns. Die Ermutigung, die uns Papst Franziskus bringen wird, unseren Glauben in Gänze zu praktizieren, ist deshalb sehr willkommen.

Viele Katholiken nehmen den Papst als in Fragen der Sexualmoral eher liberal wahr. Ist das auch die Einschätzung amerikanischer Katholiken?

Der Papst hat die katholische Lehre über die Sexualmoral bestätigt. Aber er tut das nicht mit der Leidenschaft oder dem Interesse, wie das Papst Johannes Paul II. getan hat, der ja ein Moralphilosoph und -theologe war. Der Eindruck, den die Leute vom Papst haben, ist oft der, den sie haben wollen. Wenn er vom Umweltschutz oder sozialer Gerechtigkeit spricht, dann ist man gerne dabei, weil es einer linksliberalen Weltanschauung zu entsprechen scheint. Aber wenn er von der Beichte spricht oder vom Teufel oder traditionellen Geschlechterrollen in der Familie, dann ist es schon nicht mehr so. Es wird aber zweifellos interessant sein zu sehen, was der Papst während seines Besuchs betont und worauf sich die Öffentlichkeit fokussiert.

Worauf wird, worauf sollte der Papst den Schwerpunkt legen?

Er kommt ja anlässlich des Weltfamilientreffens. Es wäre deshalb wichtig, dass er sich zur Familie äussert. Viele Familien sind zusammengebrochen. Ausserdem hat sich die Definition der Familie selbst verändert. Nach einem Urteil unseres Obersten Gerichts besteht eine Familie nicht mehr länger aus einem Vater, einer Mutter und ihren Kindern, sondern auch aus zwei Leuten desselben Geschlechts, die Kinder adoptieren können. Das sind grosse pastorale Herausforderungen für die Kirche. Er wird aber sicher auch über Einwanderung und die Klimaerwärmung sprechen. Auch die Flüchtlingsfrage wird ein Thema sein.

Papst Franziskus wird nachgesagt, dass er einen weniger kulturkämpferischen Ansatz der Kirche wünscht. Wie lässt sich das in Einklang bringen mit den Herausforderungen, die Sie beschrieben haben?

Wir werden Leute nicht dadurch überzeugen, dass wir einfach die katholische Lehre bestätigen. Wir werden die Lehre in einer freundlichen und liebevollen Weise präsentieren müssen, aber gleichzeitig dürfen wir nicht geschockt sein, wenn die Leute die Lehre zurückweisen und vielleicht sogar uns selbst. Nehmen Sie die Homo-“Ehe”. Die vorherrschende Meinung in Europa und den USA geht in eine befürwortende Richtung. Die Leute denken deshalb, dass wir verrückt sind, weil wir das nicht mitmachen. In Afrika oder Lateinamerika ist das übrigens schon wieder ganz anders. Dort will man das Wesen der Ehe nicht verändern. Wir müssen also unsere Art zu reden anpassen, aber nicht, was wir sagen. Wir müssen klar machen, dass unsere Lehre auf Liebe zu Gott und seiner Schöpfung, nicht auf Hass auf andere Menschen beruht.

Wenn Sie selbstkritisch zurückblicken: Hat sich die US-Kirche in Fragen der Homo-“Ehe” und ähnlichem manchmal im Ton vergriffen?

Die Leute, die für Abtreibung und Homo-“Ehe” sind, sind schon dann beleidigt, wenn man nicht ihrer Meinung ist. Das ist eine Debatten-Methode. Sie wollen keine inhaltliche Diskussion, sondern nur klar machen, dass sie ein Recht auf diese Dinge haben. Ausserdem stimmen wir schon in der Definition von Ehe und Familie nicht überein. Das ist keine gute Gesprächsvoraussetzung.

Die Zustimmung zu Papst Franziskus in den USA nimmt Umfragen zufolge ab, je weiter politisch rechts jemand steht. Warum ist das so?

Viele Konservative sind unglücklich mit der letzten Enzyklika des Papstes, die sich sehr kritisch über die freie Marktwirtschaft und die Sünden des Kapitalismus geäussert hat. Das war ja auch schon so im Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium nach Pontifikatsbeginn so. Die Ansichten des Papstes dazu gründen vor allem auf seiner Erfahrung aus Argentinien. Er ist ja kein weitgereister Mann. Die argentinische Form des Kapitalismus kann man aber kaum als freie Marktwirtschaft bezeichnen. Ich hoffe, dass er, wenn er hier in die USA kommt, die Vorteile schätzen wird, die eine freie Marktwirtschaft den Menschen gibt. Die Tatsache, dass Einwanderer mit den Füssen abstimmen und oft grosse persönliche Risiken eingehen, um in die USA zu kommen, zeigt ja, dass es dafür Gründe geben muss.

Sind die US-Medien je nach politischer Positionierung auch geteilter Auffassung, was dieses Pontifikat betrifft?

Ja. Die Mainstream-Medien berichten wohlwollend über den Papst. Es gibt Fragen, die sie gerne betonen wie den Klimaschutz und ähnliches, weil sie dieser Meinung sind. Viele sind auch einfach eingenommen von der liebenswürdigen Persönlichkeit von Papst Franziskus, der christliche Nächstenliebe so in den Mittelpunkt stellt. Die konservativen Medien sind da eher skeptisch. In diesem Bereich wird der menschengemachte Klimawandel stark bezweifelt. Und wie gesagt wird auch kritisch gesehen, wie der Papst die Marktwirtschaft sieht. Es wäre hier wichtig, wieder an die Lehre Johannes Pauls II. anzuknüpfen, die die Vereinbarkeit von Christentum und freiem Markt betont hat.

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