Stürmischer Empfang

In der ecuadorianischen Hauptstadt Quito hat Papst Franziskus am Sonntag seine Lateinamerikareise begonnen

Von Guido Horst

Quito, Die Tagespost, 06. Juli 2015

Der hochgewachsene Afro-Ecuadorianer in seinem schwarzen Anzug vor dem Eingang eines der besseren Einkaufszentren in Quito trägt am Hut ein goldenes Band. Das steigert seine imposante Erscheinung ins Folkloristische, macht aber deutlich, was den Besucher im Inneren der “mall” erwartet: Qualitätsprodukte zu gesalzenen Preisen in edel gestalteten Boutiquen. Während der schwarze Butler vor dem Eingang auf und ab stolziert, verkauft eine alte Indio-Frau auf dem begrünten Mittelstreifen der Strasse direkt vor dem Einkaufszentrum Zwiebeln und Mandarinen. Eine rundliche Mestizin kehrt daneben das Unterstellhäuschen an einer Bushaltestelle. Schon diese Szene macht deutlich: In Ecuador ist Geld vorhanden.
Es gibt teure Waren – und Menschen, die sie kaufen. Und es gibt arme Menschen. Arme, die nicht hungern, aber einfache Arbeiten verrichten. In der Regel sind sie unter der Minderheit der Ureinwohner oder in der breiten Masse der Mestizen zu finden. Soziale Spannungen sind vorgezeichnet und prägen zurzeit auch den Machtkampf zwischen der von Präsident Rafael Correa geführten Regierung und der Opposition.

Unruhen und Demonstrationen haben in den vergangenen Wochen nicht nur Quito, sondern auch andere ecuadorianische Städte erschüttert. Präsident Correa hat von seinen innenpolitischen Gegnern eine Art Burgfrieden für die Zeit des Papstbesuchs erreicht. Aber in einer Erklärung der nationalen Bischofskonferenz an die Regierung hat die Kirche des Landes dazu aufgerufen, diese Proteste ernst zu nehmen und gerade die Visite von Franziskus zum Anlass zu nehmen, auf die Demonstrationen mit Respekt und im Geist des Dialogs zu reagieren.

In dieses von sozialen und politischen Spannungen gezeichnete Land ist Papst Franziskus am Sonntag aufgebrochen, um ein Wort des Evangeliums zu sagen. Entsprechend programmatisch war dann auch schon seine Ansprache bei der Ankunft auf dem Flughafen weit vor den Toren der Stadt Quito. Von Präsident Correa begrüsst, der den Papst – protokollarisch etwas ungewöhnlich – umarmte und in seiner Rede die Soziallehre der Kirche im Munde führte und lobende Worte für die Umwelt-Enzyklika “Laudato si” fand, erinnerte Franziskus bei seinen Grussworten an den Glauben, der über Jahrhunderte die Identität des Volkes Ecuadors geprägt und gute Früchte getragen habe. Aber auch heute seien im Evangelium die Schlüssel zu finden, um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen – und das vor allem mit Blick auf die schwächsten Brüder und Schwestern und auf die am meisten verletzlichen Minderheiten. “Mit Freude das Evangelium verkünden”, so lautet das Motto des Papstbesuchs in Ecuador. Meist junge Vertreter indigener Bevölkerungsgruppen in bunten Ponchos und traditionellen Trachten hatten Franziskus auf dem Rollfeld erwartet. Der Papst nahm sich Zeit, sie alle einzeln zu begrüssen.

Mit ihren 2, 2 Millionen Einwohnern ist Quito die höchstgelegene Hauptstadt der Welt. Dass sie nur zwanzig Kilometer südlich des Äquators liegt, spürt man dank der Höhe von 2 850 Metern über dem Meeresspiegel nicht. Die Sonne wärmt, aber heiss wird es selten. Beständig fegt der Wind abwechselnd weisse und dunkelgraue Wolken über den strahlend blauen Himmel. Das musste auch Franziskus erfahren. Nach der pünktlichen Landung der Maschine der Alitalia nach dreizehn Stunden Flug bereitete ihm dieses Klima einen “stürmischen Empfang”. Als er aus dem Flugzeug auf die herangerollte Treppe trat, war sein Scheitelkäppchen, der Pileolus, sofort weggeweht. Und beständig schlugen ihm die frischen Brisen den Schulterumhang seines weissen Papstgewands ins Gesicht.

Die Andenstadt hatte sich gemächlich auf den Besuch von Franziskus vorbereitet. In der prächtigen Altstadt, in der noch viele Gebäude aus der Kolonialzeit das Panorama prägen, hingen nur wenige Poster und Plakate mit dem Konterfei des lateinamerikanischen Papstes. Viele Aufbauten und Gerüste, die sich bei den Terminen von Franziskus in Quito in dieser Woche noch in Videowände oder Plattformen für Fernsehteams verwandeln sollen, lagen am Wochenende noch unfertig auf dem Pflaster zentraler Plätze.

Es schien, als hätten die Einwohner der ecuadorianischen Hauptstadt noch Luft abzulassen gehabt, bevor sie sich dem hohen Gast aus Rom zuwenden sollten: Am Samstag hatte das Fussballfieber – wie wohl viele Gegenden Lateinamerikas – auch Quito ergriffen. Am Nachmittag lief das Endspiel der “Copa América”, des amerikanischen Pendants zur Fussballeuropameisterschaft. Und als Chile im Elfmeterschiessen den eigentlichen Favoriten Argentinien demütigte, tönte die Übertragung in voller Lautstärke aus fast allen Läden, Cafés und Restaurants. Viele Einwohner Quitos hatte das Endspiel hingerissen – auch wenn sich Indios und Mestizen nicht so leidenschaftlich erregen wie die rein spanischstämmigen Ecuadorianer.

Am Sonntag dann kehrte Ruhe ein. Sicherheitskräfte errichteten die weiträumigen Absperrungen um einige Zonen, in denen sich Franziskus bewegen wird, der Verkehr, der sich in den Tagen zuvor noch wie ein zäher Strom durch die Hauptverkehrsadern gequält hatte, kam zum Erliegen – und erstaunlich viele Einwohner Quitos holten ihre Fahrräder heraus und radelten durch die verkehrsberuhigten Zonen der Innenstadt. Im Gegenzug für die Verkehrseinschränkungen revanchierte sich die Stadtverwaltung mit einem kostenlosen Verkehr der Buslinien für die Zeit des Papstbesuchs. Allein für die grosse Freiluftmesse im Park Bicentenario am heutigen Dienstag stehen dreitausend Busse bereit. Aber die Stadtverwaltung empfahl, mit dem Fahrrad zur Papstmesse zu fahren, und stellte für das System der öffentlichen Leihräder, auf die man an zahlreichen Stellen der Innenstadt steigen kann, dreihundert neue Fahrräder zur Verfügung. Wie gesagt, Geld ist in Ecuador vorhanden. Dem Export von Erdöl sei es gedankt.

Quito ist eine durch und durch katholische Stadt. Überall läuten am Sonntag die Kirchenglocken wie in den katholischen Hochburgen Bayerns. Der Bau der prächtig ausgestatteten Kirche San Francisco, in der der Papst heute mit den Vertretern der Zivilgesellschaft zusammentrifft, begann sofort nach der Gründung der heutigen Stadt im Jahr 1534 durch den Konquistador Sebastián de Belalcázar. Wundervolle Kirchen aus der Kolonialzeit machen Quito zum Rom der Anden.

Die über einstündige Fahrt zur Apostolischen Nuntiatur in der Stadt, in der der Papst während seines Aufenthalts in Quito wohnen wird, wurde dann wirklich zu einem “stürmischen Empfang”, diesmal nicht durch den Wind, sondern durch die Menschen. Den Weg über die Stadtautobahn nach Quito legte Franziskus in einem grauen Mittelklassewagen zurück. Auch hier schon hatten sich Gruppen und Zuschauer am Rande der Fahrbahn eingefunden. Für die Fahrt durch die Stadt stieg Franziskus dann in ein weisses, an den Seiten offenes Papamobil um. Und nun wurde es ein Triumphzug durch die Massen, die die Strassen säumten. Immer wieder flogen Blumen, auch in das Papamobil hinein – angespannte Augenblicke für die Leibwächter und den Sicherheitsdienst. Am Ende dann drängten sich dichte Trauben von Wartenden vor der Nuntiatur. Ein sichtlich erschöpfter Papst grüsste zum letzten Mal die begeistert rufenden, singenden und klatschenden Menschen. Den Schätzungen der örtlichen Medien zufolge war eine Million auf den Beinen, um dem Papst aus Rom einen jubelnden Empfang in Quito zu bereiten.

Doch Papst Franziskus hat den offiziellen Teil seines Besuchs in Ecuador gestern in einer anderen Stadt begonnen, in Guayaquil, mit einem Besuch beim Heiligtum zur Göttlichen Barmherzigkeit und einer Messe im Samanes-Park, zu der 1, 5 Millionen Menschen erwartet wurden. Guayaquil, die grösste Stadt Ecuadors und eine Flugstunde von Quito entfernt, liegt an der Pazifikküste. Für Franziskus hat eine anstrengende Woche begonnen, die ihn im Anschluss an Ecuador noch nach Bolivien und Paraguay führen wird.

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