Politische Visionen

Dass der Lateinamerikabesuch des Papstes auch politische Züge trägt, wurde spätestens deutlich, als Franziskus am Dienstag bei der Predigt in Quito über die Einheit sprach

Guido Horst xp

Von Guido Horst

Die Tagespost, 08. Juli 2015

Dass der Lateinamerikabesuch des Papstes auch politische Züge trägt, wurde spätestens deutlich, als Franziskus am Dienstag bei der Predigt in Quito über die Einheit sprach. Er wollte sie nicht im Sinne der christlichen Ökumene verstanden wissen, sondern durchaus kulturell, sozial und gesellschaftspolitisch. Geschickt machte er sich zum Anwalt der Freiheit, die die Völker Lateinamerikas vor zweihundert Jahren aus der Kolonialherrschaft herausgeführt hat, kritisierte den Machtmissbrauch Einzelner heute und sprach dann über die Inklusion, ein Lieblingswort seiner Verkündigung. Also gegen den “verbreiteten Individualismus”, gegen Hass und Spannungen zwischen gesellschaftlichen Gruppen wie zwischen Ländern, gegen Diktaturen, Ideologien und Sektenwesen. Und für Solidarität, Kommunikation, Dialog, Zusammenarbeit und eine Gemeinschaft, die keinen ausgrenzt, sondern alle als Brüder und Schwestern einbindet. Das sind ganz tiefe Überzeugungen von Jorge Mario Bergoglio, die sich in ihm in seiner Zeit in Argentinien geformt haben und dem Europäer fremd klingen mögen.

Es ist zu erwarten, dass Franziskus heute vor dem zweiten Welttreffen der Volksbewegungen im bolivianischen Santa Cruz de la Sierra seine gesellschaftspolitischen Visionen weiter ausbreiten wird. Auch diese Volksbewegungen sind dem Europäer fremd. In Deutschland würde man wohl von Bürgerbewegungen sprechen. Es sind keine geistlichen Bewegungen, sondern völlig säkulare und politische Assoziationen. Die Landlosen-Bewegung zum Beispiel. Oder die Bewegung für die Rechte der Coca-Bauern, die Evo Morales führt. Als Präsident von Bolivien hat ihm der Papst gestern seine Aufwartung gemacht. Schon im Oktober vergangenen Jahres wurde Morales von Franziskus als “Chef” der Coca-Bauern begrüsst, als der Papst das erste internationale Treffen der Volksbewegungen im Vatikan empfing und eine programmatische Ansprache hielt. Morales war dabei.

Es hilft nichts. Wer Franziskus besser verstehen will, muss auch seine Welt kennen. Und das ist nicht Europa.

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