Päpstliche Eiszeiten

Oder wie man den Sommer in Rom übersteht

Rom, 23. Juli 2015, zenit.org, Tania Schultz

Rocca Priora, Winter 1551. Die gedämpfte Stille der Festung unter dem Schneemantel wird durch Glockengeläut gebrochen. Die Kirchen des Dorfes rufen im Gleichklang alle arbeitsfähigen Bürger zur Arbeit. Männer wie Frauen und Kinder, die älter als sechs Jahre sind, gerüstet mit Schaufeln, Säcken, Eimern und Körben, sammeln den Schnee der umliegenden Gipfel, um ihn anschliessend in tiefen Gruben zwischenzulagern.

Auf Stroh und Erde gebettet werden die Eisblöcke und der gepresste Schnee nachts mit Pferdekarren in das 25 km entfernte Rom gezogen, wo spezielle Keller bereitstehen. Nach jedem Schneefall wiederholt sich das Zeremoniell – bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Erfindung der Kältemaschine die mühselige Eisernte ersetzte.

Die nahezu ganzjährigen Schneefelder haben den höchsten Ort der Castelli Romani (768 m) berühmt gemacht, garantierten sie doch das begehrte Sorbet für Päpste, Kardinäle und Adel während der heissen Sommermonate. Man nannte Rocca Priora auch den “Eiskeller Roms”. Die Gier nach dem natürlichen “Kühlaggregat” war so gross, dass die Apostolische Kammer im Jahr 1654 für Rom ein alleiniges Kaufrecht im Kirchenstaat durchsetzte.

Einst war Speiseeis der Oberschicht vorbehalten, weil die Beschaffung teuer war. Es wurde nicht nur als Dessert, sondern auch – in herberem Gout – zur Neutralisierung des Gaumens zwischen den einzelnen Gängen serviert. Mit Honig verfeinerte Fruchtpürees aus Waldbeeren, reifem Steinobst, Zitronen oder aus aromatischen Feigenkakteen wurden mit geschabtem Eis vermischt und als Sorbets gereicht.

Bartolomeo Scappi (1500 bis 1577), der “Michelangelo unter den Köchen”, sorgte für das leibliche Wohl von nicht weniger als sechs Päpsten und hinterliess der Nachwelt die ersten Speiseeis-Rezepte der Geschichte. Insbesondere Julius III., der wegen seines prinzengleichen Lebensstils aus der Reihe der asketischen Gegenreformationspäpste herausstakte – ein wahrer Gourmand und Freund der Künste – war versessen auf die kühlen Kreationen seines “cuoco segreto”. Er liess eigens eine Eisgrotte in seiner Privatresidenz, der eleganten Villa Giulia in Rom anlegen. Sein als Wassertheater beschriebener Garten war die Kulisse zahlreicher Staatsempfänge und Bankette, die sich an lauen Sommerabenden über Stunden hinzogen.

Das Kochbuch Scappis gibt einige Details der Gaumenfreuden seiner hochkultivierten Zeitgenossen preis. Für die Zubereitung das von ihm kreierten Kirschparfait empfiehlt er frische Sauerkirschen in heissem Zuckerwasser zu blanchieren (halb Zucker, halb Kirschen), sie abkühlen zu lassen, mit dem eingedicktem Kirschsaft zu übergiessen, gewürzt mit einem Schuss Rosenwasser, und die Fruchtgeleemischung anschliessend zu frieren. Ein paar Jahrzehnte zuvor (1530) war das erste primitiven Kühlungsverfahren entwickelt worden: die Herabsetzung der Temperatur bis zu -5,3 Grad durch die Beigabe von Salpeter. In einem grossen Holzbottich wurde Wasser oder Eis zusammen mit dem Nitrat gegeben. Darin stellte man das Zinkgefäss mit dem Fruchtpüree. Unter ständigem Rotieren mit einer Handkurbel fror die süsse Masse langsam zu einer cremigen Masse. Somit waren die Sorbets zu dicken, süsseren und nicht mehr wässrigen Cremes geworden, die aus beliebigen Zutaten hergestellt werden konnten. Wenig später wurden Rezepte mit Eiern, Milch und Sahne experimentiert, das erste Milchspeiseeis. Es bot eine geeignete Basis für Mischungen aus frischen Nüssen und getrockneten Feigen, vergorenen Passitotrauben, karamellisierten Zimtapfelkompott, gehackten Pistazien, Schokolade und anderen Köstlichkeiten. Im 18. Jahrhundert wurden sogar riesige Eisbomben, oft in Form von Kunstwerken, an den Tafeln der Oberschicht Mode.

Speiseeis ist allerdings keine Erfindung der Papsthöfe. Die Anfänge reichen weit zurück in das zweite vorchristliche Jahrtausend. Die Technik der Eisernte und Lagerung in Gruben wurde in China und im Orient entwickelt. Dort wurden gesägtes Gletschereis und gepresster Schnee hunderte von Kilometern mit Pferdekarren oder Kamelkarawanen in die Städte transportiert, um Getränke zu kühlen und Fruchtpürees der Herrscher zu frieren. Auch die antiken Griechen und Römer reichten eine Mischung aus Schnee, Früchten, Honig und Rosenwasser als besondere Erfrischung auf den Gastmählern. Der luxussüchtige Kaiser Nero liess sich Eisblöcke vom Monte Terminillo und vom Vesuv herbeischleppen. Er soll sich sogar den Magen durch den übermässigen Verzehr von Sorbets verkühlt haben.

Im frühen Mittelalter geriet diese Speise im Westen wieder in Vergessenheit. Erst um die Jahrtausendwende wurde sie von Arabern in Sizilien, dem zukünftigen Zentrum der europäischen Eismode, erneut eingeführt, und zwar in verfeinerter Rezeptur: man süsste die Eismischung nun mit Rohrzucker und bereitete Sorbets aus dem Saft von Zitrusfrüchten, deren Kultivierung an den sonnigen Abhängen des Ätna vorangetrieben wurde. Von arabisch Sherbet, süsser Schnee, leitet sich wahrscheinlich die italienische Bezeichnung sorbetto ab. Noch heute pflegen die Sizilianer zum Frühstück ihr süsses Brioche in kühles Fruchtsorbet zu tunken, das cremolato. Seinen internationalen Triumph feierte das italienische Speiseeis jedoch erst auf französischem Boden. Der sizilianischen Eismacher Procopio avancierte zum Koch am Hofe des Sonnenkönigs und eröffnete 1686 den ersten Eissalon in Paris, das berühmte Café Procope.

Nur wer den feucht-heissen Sommer Roms kennengelernt hat, weiss den aussergewöhnlichen Luxus einer Erfrischung des Gaumens, zumal in einer Epoche ohne Kühlschränke und Klimaanlagen, zu schätzen. In diesen Tagen, in denen das Thermometer nahezu 40 Grad erreicht und der Asphalt glüht, sind alle Bürger der Stadt – die Mitarbeiter von Zenit eingeschlossen – glücklich, dass der Speiseeissegen heute nicht mehr nur für Papst und Adel vorbehalten ist.

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