Nicht heroisch, aber beachtlich

‘Noch nie standen Palliativmedizin und Hospizarbeit derart im Fokus öffentlichen Interesses wie jetzt’

stefan rehder Von Stefan Rehder

Die Tagespost, 12. Juni 2015

Auch wessen eigene Vorstellung von einer sachgerechten rechtlichen Neuregelung der Suizidhilfe über das hinausgeht, was im Bundestag mehrheitsfähig scheint, kann für den bisherigen Verlauf der von Gesundheitsminister Gröhe angestossenen Debatte dankbar sein. Noch nie standen Palliativmedizin und Hospizarbeit derart im Fokus öffentlichen Interesses wie jetzt. Noch nie wurde der sich durch alle Parteien ziehende Wille, spürbare Verbesserungen bei der Versorgung und Begleitung Schwerstkranker und Sterbender zu erzielen, so ernsthaft und bestimmt vorgetragen wie jetzt. Zwar liesse sich argumentieren, angesichts sprudelnder Steuereinnahmen verlange dies von den Abgeordneten keinen Heroismus. Doch wenn, woran es keinen Zweifel geben kann, der von Gröhe vorgelegte Entwurf eines Hospiz- und Palliativgesetzes Eingang in das Bundesgesetzblatt findet, wird vielen Menschen zu mehr Lebensqualität auf ihrer letzten Wegstrecke verholfen und ihr Sterben erleichtert. Das sollte bei aller berechtigten Kritik im Detail nicht vergessen werden.

Nicht unterschlagen werden darf ferner, dass die Abgeordneten in der ethisch bedeutsamen Frage der rechtlichen Regelung der Suizidhilfe dem Volk gerade nicht aufs Maul schauen. Das gilt selbst für die, die Suizidhilfevereinen nicht das Handwerk legen, sondern sie bloss regulieren wollen. Laut einer Allensbach-Umfrage aus dem vergangenen Jahr wünschen 67 Prozent der Deutschen sogar die Einführung der “Tötung auf Verlangen”. Man kann zwar aus guten Gründen der Ansicht sein, ein strafrechtliches Verbot der “geschäftsmässigen Beihilfe” zum Suizid greife zu kurz, um der Pflicht des Staates, das Leben seiner Bürger zu schützen, gerecht zu werden, muss aber zugleich konstatieren, dass ein solches Verbot ein Mehr an Lebensschutz gegenüber der jetzigen Regelung bedeuten würde. Angesichts der Stimmungsbarometer – in Redaktionsstuben und an Stammtischen – mag auch dies noch nicht heroisch sein. Mutig und beachtlich ist es doch.

Kritisieren muss man anderes. Allem voran die oft nur mangelhaft ausgeprägte Bereitschaft, relevante Aspekte ergebnisoffen zu durchdenken. In der gegenwärtigen Debatte wird dies an zwei Stellen besonders deutlich. Da ist zunächst die Weigerung, Ergebnisse der Suizidpräventionsforschung zur Kenntnis zu nehmen. Diesen zufolge korreliert – um es vorsichtig zu formulieren – die ganz überwiegende Mehrheit der Suizide mit psychischen Erkrankungen, welche die Freiheit des Suizidenten einzuschränken oder gar zu verunmöglichen in der Lage sind. Trotzdem wird vielfach weiter so getan, als sei die Selbsttötung Ausdruck der Selbstbestimmung, die Staat und Gesellschaft respektieren müssten und nicht etwa ein entsetzliches Drama, das es mit allen Mittel zu verhindern gelte. Da ist sodann die wiederkehrende Behauptung, es sei “undenkbar”, die Beihilfe zu einer Tat schwerer zu ahnden als diese selbst. Alles andere werfe die “Systematik” des Strafrechts über den Haufen. Abgesehen davon, dass es lächerlich ist, positives Recht in den Rang eines Dogmas zu erheben, steht hinter der “Systematik” ja die Absicht, für Gerechtigkeit zu sorgen. Gerechtigkeit waltet dort, wo Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt wird. Bei einem Suizid liegen die Dinge aber völlig anders als etwa bei einem Raubüberfall. Denn während bei Ersterem Täter und Helfer auf Dasselbe (nämlich ein ihnen fremdes Gut) zielen und nur ihr Beitrag dazu ein anderer ist, zielen der Suizident und sein Gehilfe auf etwas völlig Verschiedenes. So will der Suizident sein Leben beenden, der Gehilfe aber das eines Anderen. Die Rechtssystematik verletzen daher jene, die die Suizidhilfe wie jede andere Beihilfe behandeln wollen.

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