Die Kirche als Zeichen der Barmherzigkeit Gottes
Nach der Proklamation der Bulle erklärte Papst Franziskus, warum er das Heilige Jahr will
Volksmissionen, Missionare der Barmherzigkeit und vor allem die Beichte wieder entdecken: Papst Franziskus verbindet das “Jahr der Barmherzigkeit” mit Impulsen zur Neuevangelisierung.
Rom, Die Tagespost, 13. April 2015
Dass der Impuls bis in die Ortskirchen gehen soll, hat Franziskus jetzt in seiner Bulle zur Ankündigung des ausserordentlichen Heiligen Jahrs der Barmherzigkeit auf ganz praktische Weise deutlich gemacht: Vom 8. Dezember 2015 bis zum 20. November 2016 – das ist der zeitliche Rahmen des Jubiläums der Barmherzigkeit – soll in jeder Bischofskirche oder in einer Konkathedrale oder in einer anderen bedeutenden Kirche jedes Bistums der Welt eine Heilige Pforte offenstehen. Nach Dafürhalten des Ortsbischofs kann auch in besonders gut besuchten Wallfahrtskirchen eine solche Pforte geöffnet werden.
Der Rahmen war eher bescheiden: Kardinäle und Bischöfe der Kurie waren in das Atrium vor der Petersbasilika gekommen und die Heilige Pforte des Petersdoms war mit einem Blumengebinde geschmückt, als Papst Franziskus vor der Vesper zum Barmherzigkeitssonntag die Bulle nicht nur dem Apostolischen Protonotar und den Erzpriestern der drei grossen Patriarchalsbasiliken Roms überreichte, sondern auch Repräsentanten anderer katholischer Riten, Kirchenregionen und Kontinente. Um symbolisch die ganze Weltkirche anzusprechen, übergab Franziskus je eine Ausgabe der Bulle dem Präfekten der Kongregation für die Bischöfe, Kardinal Marc Ouellet, dem Präfekten der Kongregation für die Evangelisierung der Völker, Kardinal Fernando Filoni, und dem Präfekten der Kongregation für die Ostkirchen, Kardinal Leonardo Sandri. Stellvertretend für den ganzen Osten erhielt sie der in Hongkong geborene Sekretär der Kongregation für die Evangelisierung der Völker, Erzbischof Savio Hon Tai-Fai. Für den afrikanischen Kontinent wurde sie vom Sekretär des Päpstlichen Rates für die Kultur, Erzbischof Barthélemy Adoukonou aus Benin, in Empfang genommen. Für die Ostkirchen überreichte Franziskus die Bulle an Monsignor Khaled Ayad Bishay von der koptischen Patriarchalkirche von Alexandrien.
Die Zeremonie im Atrium des Petersdoms dauerte nicht lange, aber die Reichweite dieser schlichten Handlung ist doch beachtlich. Der Apostolische Protonotar, Monsignore Leonardo Sapienza, der an normalen Tagen seinen Dienst in der Präfektur des Päpstlichen Hauses tut, las nur Auszüge aus der Bulle vor, denn aus dem Ankündigungsdokument zum Heiligen Jahr ist eine halbe Enzyklika geworden.
Nicht nur, wenn es um “ihre” Heilige Pforte geht, auch für die Fastenzeit des Jahres 2016 müssen sich die Diözesen in der Welt etwas einfallen lassen. Dann will der Papst “Missionare der Barmherzigkeit” in die Ortskirchen entsenden, Prediger und Beichtväter, die von Sünden lossprechen können, deren Vergebung dem Papst beziehungsweise den Tribunalen des Heiligen Stuhls vorbehalten ist. Es sollen “Volksmissionen” stattfinden. Die Sonderemissäre des Papstes werden nicht das Strafgericht Gottes predigen, sondern die Vergebung und Barmherzigkeit des Herrn anbieten. Dementsprechend findet sich an dieser Stelle der Bulle der Aufruf an Schwerverbrecher, an die Angehörigen krimineller Vereinigungen und an solche, die sich der Korruption schuldig gemacht haben, die Verstocktheit des Herzens aufzugeben. Nach dem synodalen Prozess zu Ehe und Familie, der im Dezember dieses Jahres zumindest für die Ortskirchen abgeschlossen sein wird, heisst es dann für alle Diözesen der Welt, nochmals die Ärmel hochzukrempeln. Schliesslich wollen auch Wallfahrten und Pilgerreisen zu den Heiligen Stätten in Rom vorbereitet sein, die zu jedem Heiligen Jahr gehören, auch wenn der Papst möchte, dass ein starker Akzent auf den Feiern in den Ortskirchen liegt.
Der Petersdom war am Samstagabend gut gefüllt, auch diplomatische Vertreter der Staaten waren anwesend – es hatte sich schliesslich herumgesprochen, dass bei dieser Vesperfeier ein besonderer Anlass im Mittelpunkt stand. In seiner Predigt ging Franziskus hauptsächlich auf das nun offiziell angekündigte Heilige Jahr ein und stellte die Frage, warum denn die Kirche heute ein Jubiläum der Barmherzigkeit begehe. Seine Antwort: “Ganz einfach, weil die Kirche in dieser Zeit grosser epochaler Veränderungen gerufen ist, die Zeichen der Gegenwart und Nähe Gottes vermehrt anzubieten. Dies ist nicht die Zeit für Ablenkung, sondern im Gegenteil um wachsam zu bleiben und in uns die Fähigkeit, auf das Wesentliche zu schauen, wieder zu erwecken. Es ist die Zeit für die Kirche, den Sinn des Auftrags wieder neu zu entdecken, den der Herr ihr am Ostertag anvertraut hat: Zeichen und Werkzeug der Barmherzigkeit des Vaters zu sein.”
Das Heilige Jahr, so Franziskus weiter, solle den Wunsch lebendig halten, “die vielen Zeichen der Zärtlichkeit begreifen zu können, die Gott der ganzen Welt anbietet, vor allem denen, die in Leid sind, die allein und verlassen und auch ohne Hoffnung sind, vom Vater Vergebung zu erlangen und sich von ihm geliebt zu wissen.” Das Heilige Jahr solle zugleich ein Jahr der Freude sein, ein Jahr der Freude darüber, “dass wir von Jesus wieder gefunden wurden, der als Guter Hirt gekommen ist, uns zu suchen, weil wir uns verirrt hatten”. Es solle ein Jubiläum sein, “um die Wärme seiner Liebe zu spüren, wenn er uns auf seine Schultern nimmt, um uns zum Haus des Vaters zurückzubringen”. Umkehr, Bekehrung, Vergebung – ein Dreiklang, der sich immer wieder in den Worten des Papstes findet, wenn er von der Barmherzigkeit Gottes spricht. Die Barmherzigkeit Jesu Christi verwandle die reuigen Sünder – und diese selbst können somit “zu Zeugen der Barmherzigkeit werden”. Das sei der Grund für das Jubiläum, denn dies sei die Zeit der Barmherzigkeit. Es sei eine gute Zeit, sagte Franziskus abschliessend, “um die Wunden zu heilen, um nicht müde zu werden, denen zu begegnen, die darauf warten, die Zeichen der Nähe Gottes zu sehen und mit der Hand zu berühren, um allen, um allen, den Weg der Vergebung und der Versöhnung anzubieten.”
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